Ein beliebtes Vehikel für Bürgerinitiativen, um ihre Anliegen durchzubringen, ist die Petition. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein vergleichsweise junges, direktdemokratisches Instrument. Das Petitionsrecht wurde erst im Jahr 2013 eingeführt.
Damit wurde eine niederschwellige Form der Mitbestimmung geschaffen: Wiener haben die Möglichkeit, über Petitionen konkrete, schriftlich formulierte Anliegen an den Gemeinderat heranzutragen. Voraussetzungen dafür gibt es im Wesentlichen nur zwei.
Erstens muss das Anliegen eine Angelegenheit der Wiener Gesetzgebung oder der Verwaltung betreffen. Und zweitens müssen mindestens 500 Wiener, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, die Petition unterzeichnen, damit sie tatsächlich im Rathaus behandelt wird. Das ist physisch oder online möglich und steht (im Unterschied zum Wahlrecht) auch in Wien lebenden Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft offen - und die machen bereits beinahe ein Drittel der Bevölkerung aus. Für sie ist es die einzige Möglichkeit, ihre Stimme im demokratischen Prozess zu äußern.
Reizthema Verkehr
Im Rathaus befasst sich der Petitionsausschuss mit den Petitionen – und das sind gar nicht so wenige: Insgesamt weist die Stadt aktuell 273 laufende sowie abgeschlossene Petitionen aus. Die meisten – konkret 44 – gab es im Jahr 2013. Heuer könnte dieser Wert aber getoppt werden: 2021 wurden bereits 32 Petitionen registriert. Die beliebtesten Themen: Verkehr und Stadtplanung.
Inhaltlich über Anliegen entscheiden kann der Ausschuss allerdings nicht. Seine Aufgabe ist es, Empfehlungen auszusprechen und Stellungnahmen einzuholen.
Dabei kam es aus Sicht der Initiative „Platz für Wien“ (PfW), die 57.760 Unterschriften für eine „klimagerechte, verkehrssichere Stadt“ gesammelt hat, vor Kurzem zu Problemen. Stein des Anstoßes: Der Petitionsausschuss hatte alle Bezirksvorsteher aufgefordert, sich zu den Forderungen von PfW zu äußern. Aus sechs roten Bezirken langten jedoch wortidente Stellungnahmen ein.
Für die Aktivisten ist das ein No-Go – sie fühlen sich von den Bezirken offenbar nicht ernst genommen. Sie beklagen sich über "Verhöhnung von Bürger*innen" und eine "demokratiepolitische Farce".
Reformbedarf
Demokratieforscherin Tamara Ehs ortet grundsätzlichen Verbesserungsbedarf beim Petitionsrecht: Man habe sich bei der Einführung nicht überlegt, wie man mit den Anliegen der Bürger verfahren will, sagt sie: „Es wurde kein Umgang damit gefunden, der demokratischen Ansprüchen gerecht wird.“ Weil nicht nur Wahlberechtigte Petitionen starten und unterstützen können, ist logischerweise auch die Tätigkeit des Petitionsausschusses rein konsultativ, sprich: Er kann Empfehlungen aussprechen, aber nichts entscheiden.
Und so sind engagierte Bürger vom Gutdünken der zuständigen Politiker abhängig – mit unterschiedlichem Ergebnis.
„Man sieht ganz klar, dass Bezirke mit grünen Bezirksvorstehern eine andere politische Kultur im Umgang mit Bürgerinitiativen pflegen“, so Ehs. Die SPÖ müsse im Gegensatz zum aus Bürgerprotesten hervorgegangenen Ex-Koalitionspartner erst lernen, Bürgerinitiativen als Bereicherung des politischen Prozesses wahrzunehmen.
Auch das zeigt sich am Umgang mit PfW: Während die wortgleichen Stellungnahmen für die grüne Vize-Vorsitzende des Petitionsausschusses, Jennifer Kickert, „nicht angemessen“ sind, findet die rote Ausschussvorsitzende Andrea Mautz-Leopold nichts dabei. „Dass Politiker einer Fraktion in ihren Stellungnahmen zu einer ähnlichen oder der gleichen Einschätzung kommen, ist naheliegend“, sagt Mautz-Leopold.
Erste Versuche
Doch auch in der SPÖ bewegt sich etwas. In Margareten führte die frühere Bezirkschefin Susanne Schaefer-Wiery 2020 die Bürger-Mitbestimmung über die Verwendung des Bezirksbudgets ein. Und Jürgen Czernohorszky ließ als Jugendstadtrat die Kinder- und Jugendstrategie der Stadt in einem partizipativen Prozess erarbeiten. Nunmehr für Klimaschutz und Demokratie zuständig, kündigte er im Juni an, im kommenden Jahr in Margareten, Simmering und Ottakring partizipative Klimabudgets als Pilotprojekt umzusetzen.
„Es wird einiges ausprobiert“, sagt auch Ehs, mit dem Petitionsinstrument habe man in Wien aber nach wie vor nicht umzugehen gelernt. Die Stadt müsse sich darum letztlich überlegen, meint die Expertin, ob man dieses aufwerten oder gleich abschaffen will, um stattdessen die Hürden für Volksbefragungen und Volksbegehren auf Gemeindeebene zu senken.
Weiterentwicklung
Handlungsbedarf sieht auch die Grüne Jennifer Kickert, vor allem im Umgang der Politik mit Bürgeranliegen, der Information über bestimmte Vorhaben und der frühzeitigen Einbindung der Bevölkerung. Der Ausschuss selbst versuche möglichst parteiübergreifend, einen guten Umgang mit den unterschiedlichsten Anliegen der Petitionen zu etablieren. „Und in vielen Fällen gelingt das“, sagt Kickert.
Im rot-pinken Koalitionspakt ist ein Ausbau des Petitionsrechts festgeschrieben. Unter anderem sollen Petitionen künftig Fachausschüssen zur weiteren Behandlung zugewiesen werden. Das ist nicht viel – aber viel Spielraum hat die Stadt auch nicht, will sie Petitionen als Sprachrohr für Nicht-Staatsbürger beibehalten. Denn das Wahlrecht ist Bundessache.
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