Perfide Parkplatzfalle: Happy End für Abzock-Opfer aus Wien
Am Anfang war der Schock. 395 Euro seien binnen drei Tagen zu bezahlen – der rote Stempelaufdruck am Briefkopf war unmissverständlich: „Finale Frist vor Besitzstörungsklage“. Nie hätte Shakir M. (Name von Redaktion geändert) gedacht, dass ihm als Busfahrer der Wiener Linien je so etwas passieren könnte.
Der 42-Jährige war einen Monat davor, und ohne es zu ahnen, in eine Parkplatzfalle geraten - und stand nun gehörig unter Druck. Zahlen? Abwarten? Verhandeln? Eine Klage und damit weit höhere Kosten riskieren? Nach einigen schlaflosen Nächten entschied sich der Familienvater für die Risikovariante.
Und der Poker zahlte sich am Ende aus.
Der KURIER begleitet diesen Fall bereits seit Mitte Mai, als die vielleicht perfideste Parkfalle Wiens erstmals aufpoppte. Konkret geht es um eine aufgelassene Tankstelle in der Ottakringer Hasnerstraße, die über eine breite Ein- und Ausfahrt verfügt. Während auf den versperrten Toren groß Schilder mit der Aufschrift „Tankstelle außer Betrieb“ prangen, sind jene mit „Parken verboten“ und einem Abschleppsymbol vergleichsweise winzig.
Gewiss kein Zufall, denn auf den beiden Flächen vor der Gehsteigabschrägung und damit auf der Straße soll ja für möglichst viele Fahrzeuge die Falle zuschnappen. Gefilmt werden dann alle, selbst wenn man nur kurz anhält.
Drastische Fälle
„Wir sind dort acht Minuten gestanden, weil wir uns vor einem Fußballspiel am Samstag schnell eine Jause gekauft haben“, schildert M. Und erwähnt einen Umstand, der am Ende wohl ausschlaggebend war: „Eine Person ist im Fahrzeug geblieben.“ Also Halten (unter zehn Minuten) auf öffentlicher Straße, dazu jemand, der das Auto wegfahren hätte können – eigentlich laut Straßenverkehrsordnung erlaubt.
Am selben Tag, als M. die horrende Geldforderung erhielt, erschienen auch die ersten Berichte über diesen neuen Strafen-Hotspot mit Dutzenden Opfern – und weit drastischeren Fällen: So habe laut Heute ein Lenker ebendort seine 76-jährige Mutter bloß aussteigen lassen; eine pensionierte Richterin sei gar nur zwei Minuten dort gestanden. Und beide blechten.
Angesichts dessen die Nerven zu bewahren, ist durchaus bemerkenswert. Denn die Profiteure solcher Geschäftsmodelle sorgen mit ihren Schreiben für den nötigen Druck: Nach einer Woche würden aus den 395 dann 495 Euro als Abschlagszahlung für eine Besitzstörungs- und Unterlassungsklage.
Druck und Tricks
Wer nicht flüssig ist, darf gnädigerweise eine Ratenzahlung beantragen, dann wären es achtmal 90 Euro – also in Summe 720 Euro! Und unvermeidlich die Drohung, dass es bei „weiteren gerichtlichen Schritten“ ja „erheblich höher“ wird und „weit über 2.000 Euro“ fällig würden.
Das mag an sich stimmen, falls man den Prozess verliert – unkorrekt sind aber andere Angaben: Dass es „zweifelsfrei eine Besitzstörung“ gewesen sei, ist ebenso nicht richtig wie die behauptete „glasklare Sach- und Rechtslage“.
Und dann muss auch noch die Polizei herhalten: „Ihre Daten haben wir von der Polizei, diese beauskunftet Kennzeichen im Falle von Besitzstörung.“ Dabei prüft die Exekutive den Sachverhalt inhaltlich gar nicht, sondern nur grundsätzlich, ob ein „berechtigtes rechtliches Interesse“ vorliegt.
Dass bei derlei Tricks viele (und man darf annehmen, viele mit migrantischen Namen) einknicken und gleich zahlen, ist Kalkül.
Strafe verdoppelt
Und für Shakir M. verdoppelte sich kurz darauf zudem der Betrag (und der Ärger): Denn er hatte – noch bevor die erste Zahlungsaufforderung eintrudelte – vor der Tankstelle ein zweites Mal gehalten. Womit es schon um fast 800 Euro ging.
Zu diesem Zeitpunkt waren selbst Experten noch unschlüssig: ÖAMTC-Chefjurist Martin Hoffer etwa meinte damals, dass ein solcher Fall von Doppelbestrafung eher nicht durchgehen sollte, aber man bei Bezirksgerichten wegen Einzelfallentscheidungen nie sicher sein könne. Doppelt deshalb, weil ja nur Polizei und MA67 das Parkverbot vor der Tankstelle sanktionieren dürfen; ein zusätzlich geltend gemachter gestörter Besitz wegen einer verstellten Zufahrt habe wohl „extreme Pönalwirkung“.
„Keine Besitzstörung“
Erst diesen Herbst klärte dann die Richterschaft genau diesen Sachverhalt auf. Georg Kodek, Präsident des Obersten Gerichtshofs, brachte in einem Aufsatz das „Schikaneverbot“ ins Spiel: Wer auf öffentlichem Grund vor einer Hausausfahrt anhält und im Auto sitzen bleibt, begehe keine Besitzstörung. Und auch Peter Weiß, Vizepräsident am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, erklärte, dass solche Forderungen „von uns am Gericht korrigiert“ würden.
So weit kam es im Fall M. aber gar nicht. Er ließ sich einschlägig beraten, wies die Firma auf das Verbleiben im Auto hin – und zahlte eben nicht. Womit plötzlich der Fallensteller unter Druck war, da dieser innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Besitzstörung Klage einreichen müsste.
"Allerletzte Frist"
Und M. erhielt tatsächlich ein weiteres Briefchen: Nicht etwa die Klage, sondern eine „allerletzte Frist“ und als „Entgegenkommen“ noch einmal das längst verstrichene Erstangebot von 395 Euro. „Da wusste ich, dass sie mich gar nicht klagen werden“, sagt M., der erst vor einigen Wochen endgültig aufatmen konnte, als alle Fristen definitiv vorüber waren. Und jetzt sogar überlegt, wie ein anderer Leidensgenosse in den Gegenangriff überzugehen.
Denn der Prozesskostenfinanzierer Jufina hat für einen Wiener, der bei besagter Tankstelle ebenso mit einer Besitzstörungsklage bedroht war, eine Gegenklage im Streitwert von 5.000 Euro wegen Datenschutzverletzung eingereicht. Immerhin geht es um verbotene Videoüberwachung des öffentlichen Raums.
Tatsächlich läuft in der Causa auch „ein amtswegiges Prüfverfahren“, wie der Leiter der Datenschutzbehörde, Matthias Schmidl, mitteilt. Auch das kann den Parkplatzfallenstellern teuer kommen, weil nun eine Strafe in Höhe von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes droht. So schnell kann sich das Blatt wenden.
„Diesen Typen muss man das Handwerk legen. Sie verstehen leider nur eine Sprache“, sagt M. abschließend. Zum Geld darf er auch die grauen Haare ob der vielen Aufregung behalten.
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