Umtata. So lässt sich der traditionelle Neustifter Kirtag in Döbling an. Die Musik ist volkstümlich – und nach kürzester Zeit singt jeder mit.
Alle Heurigen im Umkreis sind ausgebucht. Dass es so einen Zulauf gibt, das ist angesichts der aktuellen Corona-Situation ungewöhnlich. Immerhin sorgte der Kirtag schon im Vorfeld für Irritationen.
Der Grund: Die abgespeckte Variante. Das riesige Straßenfest ist abgesagt, man kann nur an reservierten Tischen in den Heurigen direkt feiern. Offiziell ist die Corona-Pandemie der Grund für die Schmalspur-Variante.
Hinter den Kulissen dürfte aber Unmut innerhalb des Winzervereins der Grund für die Neuerfindung des Kirtags sein. Zum einen wird die Vereinnahmung der traditionell türkisen (ursprünglich schwarzen) Veranstaltung durch die Blauen kritisiert.
Zum andern wandelte sich das Familienfest durch Sauf-Orgien und Radau in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Döblinger Ballermann.
Tatsächlich teilt sich die Polit-Elite von ÖVP und FPÖ das Fest untereinander auf. Was als Erstes auffällt: Die seit ein paar Jahren modernen türkisen Stutzen als ÖVP-Erkennungszeichen fehlen heuer.
Auf festen Beinen
Auch Döblings Bezirksvorsteher Daniel Resch, der mit dem türkisen Landtagspräsidenten Manfred Juracka, der ÖVP-Gemeinderatsvorsitzenden Elisabeth Olischar und Nationalrat Andreas Ottenschläger feiert, verzichtet darauf.
Resch setzt auf grüne Stutzen und schwarze Schuhe. „Das ist das Koalitions-Outfit“, sagt er. Diese stehe nämlich auf festen Beinen. Schwarz statt türkis ist übrigens kein Statement, denn: „Gibt es jemanden, der ernsthaft türkise Schuhe trägt?“
Die Veranstaltung habe für ihn aber generell nichts mit Parteipolitik zu tun. „Es ist einfach ein Kirtag“, sagt er. Im Hintergrund spielt die Band. „Ein Prosit der Gemütlichkeit.“
Zeitgleich kommt man wenige hundert Meter weiter bei der FPÖ nicht ganz ohne Polit-Positionierung aus. Die blaue Prominenz hat sich beim Heurigen Eischer versammelt – und da wurde gegen SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig (an sich ein gern gesehener Gast am Kirtag, diesmal blieb er aber fern) gewettert.
Vor allem Ludwigs Vorschlag, Afghanen in Wien aufzunehmen, stieß Ex-Bundesparteichef Norbert Hofer – Nachfolger Herbert Kickl kam nicht – sauer auf. (Vielleicht war es auch der Spritzer.)
Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp ließ sich jedenfalls kräftig feiern – und konnte sich sowohl über manch freundschaftlichen ÖVP-Besuch freuen als auch über Zuspruch aus der Gay-Community. Oder wie es ein FPÖ-Anhänger (eindeutig zweideutig) formulierte: „Nur ihr Blauen rettet uns den Arsch.“
„Es lebe...“
Insgesamt ging es sehr festlich zu. Die Gäste kamen in Tracht und ließen sich aufs Brauchtum ein. Das Highlight: der Umzug der Hauerkrone. (Außenstehende würden ihn vielleicht als Laternenumzug für Erwachsene bezeichnen.)
Einer – wer genau und warum, weiß niemand –, schreit dabei „Es lebe...“ und fügt danach die Namen von anwesenden wichtigen Personen ein.
Für den Witz des Tages sorgt der 82-jährige ehemalige Bezirkschef Adi Tiller (ÖVP), der auf die Nennung seines Namens trocken „Zum Glück lebt er noch“ in die Menge rief.
Was sagen die Gäste abseits des Polit-Schaulaufens? „Dafür, dass der Kirtag eigentlich abgesagt worden ist, ist es extrem lustig“, sagt eine Frau beim „ersten“ Spritzer.
Am Nebentisch bestellt jemand Jägermeister. Und nach jeden Schlager der Live-Band wird gepfiffen.
Der Neustifter Kirtag hat eine lange Tradition. Nach einer Missernte im Jahr 1752 konnten die Wiener Weinbauern ihre Steuern nicht zahlen. Mit einer Erntedankkrone baten sie Kaiserin Maria Theresia um Steuerfreiheit.
Die Kaiserin erließ ihnen nicht nur die Zahlungen, sondern gab ihnen auch die Krone zurück – mit der Auflage, jedes Jahr einen Kirtag abzuhalten.
Der Umzug der Hauerkrone, der seither jährlich stattfindet, wurde von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet. Das erklärt vielleicht auch, warum der Mann so euphorisch bei deren Präsentation geschrien hat. Umtata.
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