Das Tauziehen um Wien im Nationalratswahlkampf
Mietenparadies mit hoher Lebensqualität oder Kriminalitätshotspot und Sozialmagnet zugleich: Die Bewertungen über Wien spaltet sich während eines Nationalratswahlkampfes traditionell in Schwarz und Weiß. So auch heuer.
Auf der einen Seite die SPÖ, die die positiven Seiten des roten Wiens hervorstreicht, auf der anderen Seite ÖVP, FPÖ und Grüne, die in der Bundeshauptstadt das perfekte Beispiel dafür gefunden haben wollen, warum die Sozialdemokratie nicht funktioniert. Die Neos nehmen eine Sonderrolle ein, immerhin regieren sie in Wien mit. Die schlimmsten verbalen Scharmützel finden großteils auf Wien-Ebene statt – wohl auch, weil sich die jeweiligen Vertreter weniger staatstragend geben müssen, als jene, die sich im Bund Hoffnungen auf das Kanzleramt machen.
Ton verschärft
In den Tagen vor der Ausstrahlung des ORF-Sommergesprächs mit SPÖ-Bundesparteichef Andreas Babler, das heute (21.05 Uhr, ORF 2) zu sehen ist, hat sich der Ton zusehends verschärft. Was allerdings weniger mit dem TV-Auftritt an sich, sondern hauptsächlich mit aktuellen Entwicklungen zu tun hat.
Erst sorgten etliche Straßenkämpfe in Wien für Schlagzeilen – und für massig Kritik. Danach gingen die Wogen hoch, nachdem der Fall einer syrischen Familie mit sieben Kindern bekannt wurde, die in Wien pro Monat 4.600 Euro an Sozialgeld erhält.
Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer spricht von „Leistungsungerechtigkeit“ und kann sich vorstellen, einen Misstrauensantrag gegen den roten Sozialstadtrat Peter Hacker einzubringen.
Die Stadt-Blauen rund um Dominik Nepp haben ihrerseits eine Sondersitzung des Landtags am 4. September einberufen, weil Wien ein „Selbstbedienungsladen“ sei, was einer „Verhöhnung“ arbeitender Menschen gleichkomme.
Eigner Wirkungsbereich
Die Grünen stellen sich in dieser Frage zwar gegen den türkisen Koalitionspartner im Bund – die Probleme seien unter anderem der „schlechten Zusammenarbeit der beteiligten Einrichtungen, also der (mehrheitlich ÖVP-regierten) Länder, den Sozialversicherungsträgern, dem AMS und der Bildungsdirektionen“ geschuldet, so Sozialsprecher Markus Koza.
Auf Stadtebene findet man dafür ganz andere Dinge an der roten Hauptstadt kritikwürdig. „Andreas Babler und die SPÖ fordern österreichweit laufend Maßnahmen, die im eigenen Gestaltungsbereich, etwa in Wien, nicht umgesetzt werden“, sagt Parteivorsitzende Judith Pühringer. Sie führt dabei unter anderem die Erhöhung der städtischen Gebühren für Wasser, Abfall und Parken ins Treffen, die diese Woche kommuniziert wurden. In ihren Augen unverständlich, weil Babler in der Vergangenheit selbst „immer laut nach Preisbremsen gerufen“ hätte. Die Teuerungen riefen auch Nepp auf den Plan, der einmal mehr seinen Lieblingsspitznamen für Ludwig, bemühte, nämlich „Räuber Rathausplatz“.
Auch Bablers Ruf nach dem „Recht auf ein analoges Leben“ findet Pühringer scheinheilig. Bei Unternehmen der Stadt Wien stehe „Altersdiskriminierung an der Tagesordnung“, da es bei Öffi-Tickets der Wiener Linien, bei Stromrabatt-Aktion von Wien Energie oder der WIPARK-Karte Vorteile gäbe, wenn man online bucht.
Rückenwind
Ludwig setzt im Gegenzug auf eine ganz andere Strategie, nämlich auf jene der Positiv-PR, und kommuniziert vorrangig über die Vorzüge der Stadt, manchmal samt Handlungsanleitung für den Bund. Internationale Studien, in denen Wien Bestnoten ausgestellt werden, liefern den passenden Rückenwind: So kam die Beratungsfirma Deloitte zum Schluss, dass das Wohnen in Wien im EU-Vergleich am leistbarsten ist, laut britischem Economist lebt man überhaupt in der lebenswertesten Stadt der Welt.
Erst am Freitag erklärte Ludwig via Soziale Medien, dass die Stadt Wien der größte Lehrausbilder in Wien sei und vorzeige, „wie es geht“. Während in Wien eine Zunahme von Lehrlingen verzeichnet werde, sei in Österreich 2023 nämlich ein neues Langzeittief bei der Zahl an Lehrbetrieben erreicht worden, so der Bürgermeister.
Auch bei der Renaturierung sei die Stadt Vorreiterin, ließ Ludwig bei einem Spaziergang mit Babler am Liesingbach wissen, der derzeit in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird.
Wiens pinker Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr hingegen ist als Integrations-, und Bildungsstadtrat für die derzeit heißesten Eisen zuständig. Er zeigt darum Probleme in Wien, wie etwa die prekären Zustände an den Schulen, auf, sieht aber den Bund als Schuldigen – inklusive erbitterter Auseinandersetzung mit Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP), wer denn seine Hausaufgaben nicht gemacht hätte. Nämlich der jeweils andere.
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