Mord an Hadish: „Die Familie muss gejagt werden“

Mord an Hadish: „Die Familie muss gejagt werden“
Bei einem Treffen der Familien des getöteten Mädchens in Tschetschenien kam es erneut zu Drohungen.

Dutzende Männer stehen sich in einem großen Innenhof gegenüber. Die meisten halten die Köpfe gesenkt. Es ist ein denkwürdiges Treffen, das hier in Tschetschenien stattfindet: Es sind die (männlichen) Angehörigen der im Mai in Wien ermordeten Hadish und die des mutmaßlichen Täters, dem 16-jährigen Robert K.; sie treffen sich zu einem Ritual. Und dabei fallen auch folgende Worte durch einen Verwandten des Mädchens: „Wir vergeben seinen (Robert K.’s, Anm.) Verwandten in Tschetschenien. Aber seine Familie in Österreich muss gejagt werden. Sie hat bei der Tat mitgeholfen.“

Wenig Spielraum

Das Video wurde auf dem Youtube-Kanal „InfoChechen.com“ veröffentlicht, und bereits mehr als 60.000-mal geklickt. Und es wurde hier anscheinend ganz bewusst publiziert – das Video soll gesehen werden. Auch wenn das Wort „ Blutrache“ konkret nicht fällt. Die Andeutungen lassen wenig Spielraum für Interpretationen. Denn „vergeben wird allen von eurem Stamm. Außer diesen vier (gemeint sind der mutmaßliche Täter, seine Eltern und der jüngere Bruder, Anm.).“

Auch Robert K.’s Rechtsanwältin Liane Hirschbrich wird thematisiert. Sie sei die „widerlichste und schlimmste jüdische Anwältin, die den Ruf der Tschetschenen in der ganzen Welt“ ruiniere. „Ich nehme diese Drohungen gegen mich ernst“, sagt sie. Sie versteht nicht, dass die Opferfamilie und ihr Anwalt Nikolaus Rast diese Drohungen relativieren würden. „Es ist bedauerlich, dass der Kollege in dieser tragischen und daher auch sehr emotionalen Angelegenheit Öl ins Feuer gießen muss.“ Hadishs Familie in Österreich hatte mehrfach betont, keine Blutrache zu wollen.

Es ist nicht die erste Drohung gegen Hirschbrich. In Textnachrichten und am Telefon wurde sie mehrfach bedroht. Zuletzt, nachdem Robert K. seine Aussage änderte und von Stimmen sprach, die ihm die Tat befohlen hätten. „Wir haben auch Stimmen gehört: Tötet diese Hirschbrich. Und wir werden diesen Stimmen Folge leisten! Bald!!!“

Blutrache

Monster

Das tschetschenische Video zeigt eigentlich ein Versöhnungsritual, erklärt Maynat Kurbanova, eine tschetschenische Journalistin, die in Österreich lebt: „Die Familie des Beschuldigten sucht die Familie des Opfers auf und bittet um Vergebung.“ Das sei ein üblicher Vorgang. Und tatsächlich meldet sich zuerst ein Familienangehöriger von Robert K. zu Wort. Er distanziert sich von der Tat, nennt Robert K. „ein Monster“ und bittet um Vergebung.

Doch die Anschuldigungen der Opferfamilie wiegen schwer – und lassen sich zu großen Teilen nicht belegen. So spricht der Mann davon, dass das Mädchen nach seinem Tod in eine Waschmaschine gesteckt worden sei. Die Schändung einer Leiche gilt als besonderer Affront.

Blutrache wird im tschetschenischen Regelwerk „Adat“ geregelt. Der ehemalige österreichische Asylgerichtshof stellte dazu fest: „Vor allem in Tschetschenien (...) tritt Blutrache seit den 1990er-Jahren wieder vermehrt auf. (...) Die Blutrache wurde von den Männern der involvierten Familie, in einigen besonderen Fällen sogar von den Männern des gesamten Clans ausgerufen. Die Fehde erstreckte sich über alle männlichen Verwandten des Täters.“

Mitarbeit: B. Vortisch

 

Tschetschenisches Regelwerk

Adat: Als Adat wird das tschetschenische Gewohnheitsrecht bezeichnet, das schon seit Jahrhunderten gilt. Ein Teil davon ist auch die Blutrache. So ist etwa geregelt, dass nur Familienangehörige des Opfers Blutrache ausüben dürfen – keinesfalls Freunde oder Bekannte. Opfer der Racheakte sind ausschließlich Männer. „An Frauen und Kindern darf keine Blutrache ausgeübt werden“, sagt die tschetschenische Journalistin Maynat Kurbanova. Es sind auch vereinzelte Fälle dokumentiert, in denen nicht der Täter zum Ziel der Blutrache wurde, sondern ein enger (männlicher) Verwandter.

Weisenrat: Der oberste Rat der Tschetschenen in Österreich, Schaikhi Musaitov, hat schon im Mai einen Blutrache-Aufruf verurteilt: „Die Gemeinschaft in Österreich vertraut ganz klar dem Rechtsstaat, und ist auch überzeugt davon, dass hier ein faires Urteil fallen und dass der Täter mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft wird.“

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