Mittelaltermarkt in Wien: Mit Kanonenkugeln, aber ohne Kartoffeln
In einem Kreis stehen die mit Fähnchen geschmückten Zelte um die Feuerstelle. Dazwischen eine überzeugend echt aussehende Kanone aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Sich das Mittelalter und die Frühe Neuzeit vorzustellen, ist normalerweise fast unmöglich. Hier am Mittelaltermarkt des Heeresgeschichtlichen Museums, zwischen einer Rüstungsschmiede und historisch aussehenden Gastro-Ständen, aber fällt es einem ganz leicht.
Die Gastro-Stände bieten historisch angehauchte Stärkungen
Aber erst die Menschen verwandeln das Areal hinter dem Heeresgeschichtlichen Museum an diesem Wochenende zu einer echten Zeitreise, die vom Mittelalter bis zu Napoleon reicht. Fantasie und Fiktion sind beim Fest aber nicht eingeladen. Den 15 Reenactment-Gruppen geht es nämlich um eine möglichst authentische Inszenierung von konkreten historischen Ereignissen.
Nur die Brille bleibt
Nichts dem Zufall überlassen will etwa die „Cronacher Ausschuss Compagnie“ aus Kronach in Bayern. Seit Jahren kommen sie zum Mittelaltermarkt „Montur und Pulverdampf“ nach Wien. Geschlafen wird dabei im Lager. Auf Stroh. Zugedeckt mit Rinderfellen.
„Ich war nie ein Camper. Aber das hier macht Spaß“, sagt Karl-Heinz Pohl von den Cronachern. Seine zivile orange Warnjacke tauscht er für dieses besondere Wochenende mit einem rot-schwarzen Gewand aus dem 17. Jahrhundert. Auch seine Zigaretten werden die Marktbesucher nicht zu Gesicht bekommen. Nur seine blaue Kunststoffbrille wird er in diesem Jahr nicht ablegen. Das sei einer kürzlich erfolgten Augenoperation geschuldet, sagt er. „Normalerweise werden moderne Stoffe, Plastik oder Reißverschlüsse nicht geduldet.“
Zeitreise
Unter dem Motto „Montur und Pulverdampf“ gibt es am 9. und
10. Juli im Heeresgeschichtlichen Museum (3., Arsenal) eine spektakuläre Zeitreise durch sieben Jahrhunderte Militärgeschichte
Programm
Zu erleben gibt es einiges – die Highlights: Feldlager, Artillerievorführung, Schaukämpfe, Mittelaltermarkt, Handwerk und Musik. An beiden Tagen gibt es für mutige Burgfräulein und tapfere Ritter ein Kinderprogramm
4.000 Gäste pro Tag werden erwartet.
Am Samstag gibt es Programm von 9 bis 22 Uhr, am Sonntag von 9 bis 20.45 Uhr
Für historisch Gewandete ist der Eintritt kostenlos
Einfach kaufen kann man historische Gewänder deshalb nicht. Nach Vorlagen müssen Schneidereien die Kleidungsstücke nähen. Das könne dann schon einmal 700–800 Euro kosten, sagt Peter Matthias Forßbohm vom „Lützowschen Freikorps“ aus Leipzig. Seine Frau habe deshalb auch schon selbst Hand angelegt. Zumindest für die Gewänder der Kinder.
„Nach dem Wehrdienst wollte ich nie mehr eine Uniform anziehen.“ Sein Firmensitz – im normalen Leben ist Forßbohm Bauunternehmer – befinde sich allerdings auf dem Gelände, auf dem sich 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig vollzog. Und so sei die Reenactment-Gruppe sprichwörtlich zu ihm gekommen. Seitdem ist Reenactment zur Familiensache geworden. Kinder und mittlerweile sogar ein Enkelkind sind dabei.
Chris betreibt mit seiner Lebensgefährtin einen Stand am Mittelaltermarkt. Jedes Wochenende ziehen sie damit auf einen anderen Markt
Dass die beiden Gruppen aus Deutschland kommen, sei nicht ungewöhnlich, sagt Chris, der mit seiner Lebensgefährtin einen Bogenstand betreibt und von Markt zu Markt zieht. „Die Reenactment-Tradition ist dort viel älter.“
„Arduinnas Gefährten“ aus Maria Anzbach ist eine Gilde aus Bogenschützen
Leitner Günter, Rufname James, hat die Gruppe gegründet
Der Boom sei aber auch nach Österreich übergeschwappt. Auch hier gibt es mittlerweile Gruppen: „Arduinnas Gefährten“ aus Maria Anzbach etwa. Die Gilde hat sich von „Robin Hood“ inspirieren lassen und tritt regelmäßig zum Bogenschießen an.
Vorzüge der Gegenwart
Aber auch der Wiener Kulturverein „Eulenspiel“. Die Lagergruppe beschäftigt sich unter anderem mit historischen Tänzen aus der Zeit um 1300. Weil auch diese Gruppe historisch akkurat auftritt, werden während der zwei Markttage etwa keine Kartoffeln verspeist. Die gibt es erst seit der Entdeckung Amerikas, sagt Tanzleiterin Eva Orlich.
Auf die Details wird hier zwischen Zelten, Feuerstellen und Kanonen nämlich geachtet. Einen „Aperol Spritz“ am historischen Marktstand können die Besucher aber schon bestellen. Schließlich hat auch die Gegenwart ihre Vorzüge.
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