Mit dem Alltagspoeten durch Wien, wo der Schmäh und der Grant wohnen
Frau: „Jetzt hams Wien scho wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt.“ – Älterer Herr: „Najo, anderswo isses halt noch gschissener.“
Wenn man dem Wiener eines nicht vorwerfen kann, ist das wohl überschwänglicher Patriotismus. Dafür grantelt, motschkert oder raunzt er ganz gerne – was aber nicht zwangsläufig heißt, dass er schlecht gelaunt ist. Zugegeben: Der Wiener ist nicht immer leicht zu verstehen.
Seit sieben Jahren durchstreift Andreas Rainer nun schon die Stadt, um typische Wiener Dialoge, diese einmalige Kombination aus Schmäh und Grant, einzufangen. Als „Wiener Alltagspoet“ hat er mittlerweile 180.000 Follower auf Instagram. Nun erschien sein neues Buch „Wie man die lebenswerteste Stadt der Welt überlebt“.
"Ich möchte die Stadt besser verstehen"
Das neue Werk enthält mehr Text vom Autor selbst – die Dialoge dienen eher als Rahmenhandlung, um Wien-typische Themen wie das Kaffeehaus, den Würstelstand, die Öffis oder den Tod abzuhandeln. „Es ist ein bisschen ein anderes Format. Ich habe das Buch vor allem geschrieben, weil auch ich als Wiener die Stadt besser verstehen möchte“, erklärt Rainer.
Schließlich sei sie voller Widersprüche – etwa dass sie gleichzeitig als lebenswerteste und unfreundlichste Stadt der Welt gilt. Sinnbildlich sei für ihn übrigens auch die Reaktion der Einheimischen: „Die Wahl zur unfreundlichsten Stadt wird abgefeiert, als wäre Österreich Fußballweltmeister geworden.“
Das Buch richte sich jedenfalls an Zugereiste wie an Einheimische – schlicht an alle, die Wien besser verstehen wollen.
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Im Schwarzen Kameel: Deutscher Tourist winkt seit zehn Minuten. – Kellner: „Grüß Gott, mit Winken werd ich auch nicht schneller, leider.“
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Gerade in Wirts- und Kaffeehäusern wird oft die typische Wiener Melange serviert: die Mischung aus Schmäh und Grant. „Eigentlich könnte man denken, dass die beiden im Widerspruch zueinander stehen“, sagt Rainer. „Aber nein: Eines existiert nicht ohne das andere.“ Werde man zur Zielscheibe, könne man oft schwer unterscheiden: „War das jetzt unfreundlich oder eigentlich doch lustig?“
Im Anhang des Buchs bietet der Autor auch ein Glossar mit gängigen Wiener Begriffen. Etwa:
Bahöl, der: Auch wenn Wiener es meistens gemütlich angehen, sind sie schnell auf 180. Etwa bei der ultimativen Geduldsprobe an der Supermarktkassa
Gspusi, das: Begriff für eine lockere Affäre. Man kann ein Gspusi haben oder jemandes Gspusi sein
Hetz, die: Wiener Ausdruck für Spaß haben
Pompfinebrer, der: Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens
Spompanadeln, die: Verhaltensweisen, die unnötige Verzögerungen hervorrufen
Strizzi, der: Zuhälter oder kleiner Ganove
Tschick, die/der: Nichts drückt den Todesgleichmut der Wiener besser aus als das tägliche Packerl Zigaretten
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Älterer Herr am Naschmarkt: „Heast, gehen S’ an Schritt zu Seite.“ – Junge Frau: „Würd das nicht ein bisschen freundlicher gehen?“ – Älterer Herr: „Des fang i ma gar ned an.“
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Es sei eben gerade der spezielle Schmäh, der den Grant auch wieder charmant mache, so Rainer. Um die Wiener nicht unnötig zu reizen, hat er ein paar Tipps für Zugereiste, um die gängigsten Fettnäpfchen zu vermeiden.
Wer etwa in einem Kaffeehaus nur „einen Kaffee“ bestelle, oute sich als unwissender Außenseiter. Ähnlich verhalte es sich am Würstelstand: „Eine ,Eitrige‘ bestellt sicher nur der Tourist, der das im Reiseführer gelesen hat“, sagt Rainer und lacht.
Sollte man unvorsichtigerweise doch den Grant eines Einheimischen erregt haben, hat der Autor auch einen Überlebenstipp parat: „Man darf die Wiener einfach nicht allzu ernst nehmen.“ Fürchten müsse man sich vor ihnen jedenfalls nicht.
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Schulklasse auf Wienwoche. Lehrer: „Die psychisch labilen Wiener in der U-Bahn bitte nicht anstarren.“
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Ein spezielles Verhältnis haben die Wiener übrigens zu ihren Öffis – und hier ortet er wieder einen der vielen Widersprüche: „Wir haben kein Problem, Stunden im Kaffeehaus zu vertrödeln. Aber wehe, die nächste U-Bahn kommt erst in ein paar Minuten.“ Es gehöre fast zum guten Ton, über die Öffis zu klagen. „Obwohl ich nicht weiß, ob es eine Stadt mit einem besseren Öffinetz gibt als Wien“, fügt Rainer hinzu.
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U6, Station Alser Straße. Die nächste U-Bahn kommt in sechs Minuten. Ältere Dame: „Na herst, woher kummt der denn, aus Australien?“
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Einen besonders schlechten Ruf habe die Linie U6 – zu Unrecht, wie der Autor meint.
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In der U6. Frau: „Sind Sie positiv oder warum tragen Sie eine Maske?“ – Mann: „Keine Sorge, ist nur wegen der U6.“
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Touristen würde er sogar empfehlen, einmal mit der U6 durch die Stadt zu fahren, sagt Rainer: „Man kann gut aus dem Fenster schauen und kriegt mehr vom Alltagsleben mit als im ersten Bezirk oder in Schönbrunn.“
KURIER Talk mit Andreas Rainer
In der U6 höre er auch viele der Dialoge, die er dann veröffentlicht: „Hier ist es sicher lustiger als in einem Villenviertel in Döbling.“ Oft reicht aber einfach ein Spaziergang durch die Stadt, um den Charme seiner Bewohner hautnah zu erleben.
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An einer Kreuzung im 8. Bezirk. Frau rennt bei Rot über die Straße. Älterer Herr: „Da Friedhof hat eh nu an Platz.“
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Und da sind wir auch schon bei DEM Thema in Wien: dem Tod. In welcher anderen Stadt kann man sonst im Bestattungsmuseum probeliegen oder am Friedhof in eine Kurkonditorei gehen? „Trotzdem ist ein Begräbnis in Wien alles andere als eine Kabarettveranstaltung, sondern sehr schwermütig“, sagt Rainer. „Ich vermute, dass wir uns über den Tod lustig machen, damit er weniger bedrohlich klingt. Das gelingt uns aber nur bedingt.“
Ob es ihm dafür gelungen ist, beim Schreiben seines Buches Wien besser zu verstehen? „Man kann die ganzen Widersprüche nicht auflösen“, erwidert Rainer. Wo er aber sicher sei: Wien ist nicht nur (über-)lebenswert – es ist gerade aufgrund seiner Eigenheiten auch liebenswert.
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