Missbrauchsvorwurf: Lehrer von Unterricht abgezogen

Der Umbau des Stadtschulrates zum "Servicecenters" kostete 600.000 Euro. Doch die jetztige Entscheidung ist kein Service an den Kunden - den Schülern und Eltern.
Nach massiven Vorwürfen, Schüler in seinem früheren beruflichen Umfeld sexuell missbraucht zu haben, darf ein Lehrer nun vorerst nicht mehr an einem Wiener Gymnasium unterrichten.

Es hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Da haben Sie eine Lawine losgetreten“, sagt ein Vater zum KURIER. Sein Sohn besucht jenes Gymnasium in Wien, in dem ein Lehrer tätig ist, dem sexueller Missbrauch von Minderjährigen vorgeworfen wird.

Wie die Mutter eines Viertklässlers schildert, wurde der Lehrer am Montag bis auf Weiteres vom Unterricht abgezogen. Auch von der Klassenreise nach Berlin, die er organisiert hatte (der KURIER berichtete), sei er frühzeitig heimbeordert worden. Die Mutter sagt auch, dass der 56-Jährige bei Kindern und Eltern sehr beliebt sei. „Von den Lehrern meines Sohnes ist er der mit Abstand beste Pädagoge und der einzige, der die Kinder für den Stoff begeistern konnte.“ Wie viele andere Eltern des Wiener Gymnasiums kann sie nicht glauben, dass dieser Mann Kinder missbraucht haben soll.

Mehrere Zeugen

Wie berichtet, wird der Pädagoge von einem ehemaligen Schüler wegen Missbrauchs geklagt. Der heute 56-Jährige soll den Kläger in den 1980er-Jahren im Internat Kalksburg in Wien über Jahre hinweg sexuell gefügig gemacht haben. Mittlerweile haben sich mehrere mutmaßliche Opfer beim KURIER gemeldet. Aus seiner Zeit im öffentlichen Gymnasium in Wien sind bisher keine Vorwürfe aufgetaucht.

Die Elternvertreter der einzelnen Klassen wurden am Sonntag via eMail von der Klage in Kenntnis gesetzt. Nicht von der Schule, nicht vom Stadtschulrat (der seit November 2013 von den Vorwürfen wusste), sondern offenbar vom Elternverein, der vom KURIER auf die Problematik angesprochen worden war.

Im Juni findet die Verhandlung gegen den Lehrer statt.
Er hat die Anschuldigungen in einem Interview nicht dezidiert zurückgewiesen.

Herr Thomas (Name der Redaktion bekannt), wird kommende Woche als Zeuge in einem Zivilprozess Aussagen. Geklagt wird ein Lehrer, der in den 1980er-Jahren als Erzieher am Kollegium Kalksburg einen Schüler sexuell missbraucht haben soll. Auch Herr Thomas meldete sich als Opfer des nunmehr 56-jährigen Mag. S. beim KURIER. „Ich wurde von Mag. S. auch missbraucht“, erklärt er (der KURIER berichtete). „Als Kind war ich in den Sommerferien immer mehrere Wochen im Ferienhort am Wolfgangsee“, sagt der heute 47-Jährige. „Begonnen hat alles unter dem Titel der Aufklärung und Hygiene, wo er einem wie irrtümlich auf die Geschlechtsteile gegriffen hat. Da hat S. sondiert, welche Buben körperlich schon so weit waren.“ Und die, die besonders zuneigungsbedürftig gewesen seien, habe S. mit ins Zimmer genommen. „Ich wurde vier Jahre lang von ihm missbraucht, und ich könnte noch fünf weitere Betroffene nennen.“ 1980 soll Herr Thomas, als 13-Jähriger, bei einer Zugreise durch Österreich ebenfalls von S. missbraucht worden sein. „Auch andere Buben waren betroffen. Die waren alle aus Kalksburg.“ Der 47-Jährige beschreibt seinen mutmaßlichen Peiniger als eigentlich hervorragenden Pädagogen, der sehr engagiert gewesen und auf die Bedürfnisse seiner Schüler eingegangen sei.

KURIER: Herr Thomas, weiß Ihre Frau von den Vorfällen?

Herr Thomas: Meine Frau hat die Geschichte mit S. mehr oder weniger von Anfang an – also seit wir uns kennengelernt haben, gewusst. Sie wolle ihn damals gleich anrufen und zur Rede stellen, sie kannte ihn ja persönlich. Das ist ungefähr elf Jahre her. Aber ich habe ihr davon abgeraten.

Wieso haben Sie das Thema angesprochen?

Ich hatte lange Zeit Schwierigkeiten, eine Beziehung aufzubauen. Ich war mit meiner Frau gemeinsam in Therapie und da haben wir auch dieses Thema angesprochen. Dort habe ich gelernt offen darüber zu reden. Ich habe auch mit meinen Kollegen - ich arbeite an einer Schule und in einem Privatunternehmen - offen darüber gesprochen.

Haben Sie sich erst in der Therapie an die Vorfälle erinnert?

Bei mir ist es nicht so, wie bei dem Herrn, der S. klagt, dass ich den Missbrauch Jahrzehntelang verdrängt habe. Ich habe immer gewusst, was damals geschehen ist. Für mich war es absolut präsent. Als ich den Artikel über S. im KURIER gelesen habe, habe ich mich aber entschlossen, darüber zu reden.

Sie wollen den ehemaligen Schüler, der wegen Missbrauchs klagt, unterstützen?

Wenn der Kläger es will, gehe ich als Zeuge (mittlerweile hat sich Herr Thomas beim Anwalt des Klägers gemeldet, Anm.). Ich habe keinerlei Ansprüche. Ich will kein Geld. Ich will den Kläger unterstützen.

Warum haben Sie nicht selbst vor Jahrzehnten rechtliche Schritte gesetzt?

Ich habe vor langer Zeit darüber nachgedacht. Aber mir war klar, wenn ich ihm das vorwerfe, streitet er alles ab. Aussage gegen Aussage. Und ich habe dann vielleicht auch noch eine Verleumdungsklage am Hals.

Hatten Sie seither Kontakt zu Mag. S.?

S. war ja weiterhin Leiter des Tagesheimes in Kalksburg und auch nach 1988 hat er dort die Betreuertreffen vom Wolfgangsee organisiert. Da war ich auch dabei.

Sie haben mit ihm zusammengearbeitet, obwohl er Sie missbraucht hatte?

Ich habe, als ich älter war, im Ferienhort am Wolfgangsee unter S. als Betreuer gearbeitet. Er war dort ja mittlerweile pädagogischer Leiter. Etwa von zwölften bis zum 15 Lebensjahr bin ich von ihm dort missbraucht worden. Später habe ich selbst als Betreuer dort gearbeitet. Er war sozusagen mein Chef.

Wie darf man sich den persönlichen Umgang in so einer Situation vorstellen?

Die Zusammenarbeit mit ihm war nicht schlecht. Er war ja pädagogischer Leiter und ist in dieser Funktion mit Kindern nicht mehr so zusammengekommen. Er hat mehr die Pläne und Dienste der anderen Betreuer organisiert und darin war er sehr gut. Ob es zu dieser Zeit seinerseits noch Übergriffe gab, kann ich nicht sagen.

Kommentare