Missbrauch von 12-Jähriger: Acht Verdächtige waren amtsbekannt
Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) hatte bereits vor Bekanntwerden der Übergriffe auf ein zwölfjähriges Mädchen Kontakt mit einigen Familien der mutmaßlichen Täter. „Wir kennen acht der insgesamt 17 Verdächtigen“, sagte Sprecherin Ingrid Pöschmann.
Die Burschen, die zum Tatzeitpunkt zwischen 13 und 18 Jahre alt waren, sollen sich an einer Zwölfjährigen in einem Stiegenhaus, einem Hotelzimmer und einer Wohnung vergangen haben. Gegen einen wird wegen Vergewaltigung ermittelt, gegen die anderen wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen.
Eine Vorgeschichte, was sexuelle Übergriffe betrifft, ist der MA 11 bei keinem der Verdächtigen bekannt. Aufgefallen sind in der Vergangenheit zumindest zwei der Burschen wegen gewalttätigen Verhaltens, Eltern von anderen Kindern hatten damals Anzeige erstattet. In fast allen Familien, mit denen die MA 11 bereits vor den Übergriffen zusammenarbeitete, habe es „wirtschaftliche Probleme“ gegeben. „Die Familien haben teilweise direkt mit uns Kontakt aufgenommen. Eine große Herausforderung ist für viele die Inflation und deren Folgen“, so Pöschmann.
Vernachlässigung und Gewalt
In einigen Familien habe es auch Gefährdungsmeldungen gegeben – wegen Vernachlässigung, psychischer und physischer Gewalt gegenüber den Kindern.
„In den Fällen, in denen der Kinderschutz nicht gewährt werden konnte, haben wir eingegriffen“, sagt Pöschmann. Bei der MA 11 liegt auch eine Suspendierung eines Verdächtigen vor. „Einer der Burschen wurde aus der Schule genommen und für vier Monate suspendiert. Mittlerweile geht er aber wieder zur Schule“, betont die Sprecherin.
Gefährdungsabklärungen
Derzeit laufen Gespräche mit den Familien von 16 der 17 Beschuldigten. „Es finden nun Gefährdungsabklärungen statt. Es geht um die Frage, was brauchen die Jugendliche nun, um ihr Verhalten zu ändern“, so die Sprecherin der MA 11. Die Maßnahmen dafür werden individuell auf den Betroffenen abgestimmt, möglich seien zum Beispiel verschiedene Therapieangebote oder Anti-Gewalt-Trainings.
Für Jugendliche gab es auch in den vergangenen Jahren schon ausreichend Behandlungsangebote. Anders sah das aber bis vor Kurzem bei Tätern unter 14 Jahren aus. Bisher war es etwa den Psychotherapeuten des Verein Limes – der mit verurteilten jugendlichen Straftätern arbeitet – bei Kindern unter 14 Jahren lediglich möglich, Diagnosen zu stellen. Das soll sich nun zumindest in Wien ändern. Die MA 11 erarbeitete gemeinsam mit dem Verein Limes ein Behandlungsprogramm speziell für übergriffige Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren.
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2015 wurden 71 unter 18-Jährige wegen Vergewaltigung angezeigt. Im vergangenen Jahr waren es 150.
Verurteilungen
169 Jugendliche wurden laut Statistik Austria 2022 wegen eines Sexualdeliktes verurteilt – darunter 16 wegen Vergewaltigung, 28 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (unter 14),
acht wegen geschlechtlicher Nötigung.
Gruppentherapie
Für Minderjährige, die bereits sexuelle Grenzverletzungen begangen haben, wird es künftig eine Gruppentherapie geben. „Es geht da zum Beispiel um sexuell motivierte Gewalthandlungen. Auch Kinder, die Missbrauchsdarstellungen anfertigen oder versenden, fallen in diesen Bereich“, erklärt Hannes Kolar, psychologischer Leiter der MA 11.
Mit Workshops will man sich an Betroffene wenden, die zwar ein sexuell auffälliges Verhalten zeigen, aber noch keine übergriffigen Handlungen gegenüber anderen gesetzt haben. „Das sind etwa Kinder, die ihre Genitalien herzeigen oder andere berühren“, so Kolar. Zudem gebe es die Möglichkeit von Einzeltherapiesitzungen. Bisher erhielten zwei Kinder einzelne Therapiestunden.
Kolar betont aber, dass sich Eltern von betroffenen Kindern nicht direkt an den Verein Limes wenden können. „Es muss zuvor eine Gefährdungsmeldung geben, und von der MA 11 Zwangsmaßnahmen gesetzt werden, entweder in Form der Unterstützung der Erziehung oder eine volle Erziehung“, sagt der Experte.
Ist das Kindeswohl innerhalb der Familie gefährdet, kann die MA die Maßnahme „Unterstützung der Erziehung“ verhängen – darunter fallen etwa Familienintensivbetreuung, Hort- und Kindergartenbetreuung oder Therapien. „Volle Erziehung“ bedeutet die Herausnahme von Minderjährigen aus ihrer Familie, zur Sicherung des Kindeswohls.
Bei allen Therapieformen werden Bezugspersonen, wie Eltern oder WG-Betreuer, stark eingebunden, betont Simader vom Verein Limes.
Personaltechnisch sieht Kolar bei dem Verein Limes keine Probleme. „Ich glaube, der Verein Limes wird bei den Therapieangeboten mit dem jetzigen Personalstand auskommen. So stark sexualisiertes Verhalten in der Altersgruppe gibt es dann auch nicht. In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Thema viel größer, als es in der Realität ist. Aber wir müssen natürlich präventiv reagieren, bevor diese Kinder als Erwachsene durch ihr Verhalten eine Belastung für unsere Gesellschaft darstellen“, so Kolar.
Starten wird das Programm, sobald der Vertrag endgültig unterzeichnet ist. „Wir sind in der finalen Phase“, heißt es.