Michael Häupl: "In Wien haben mehr Leute begriffen, dass Corona gefährlich ist"
Eigentlich wollte der KURIER schon im vergangenen Herbst, anlässlich des zehnjährigen Jubiläums - und beinahe zeitgleichen Endes - der rot-grünen Stadtkoalition, mit Michael Häupl sprechen.
Während der Koalitionsgespräche und der Regierungsbildung wollte sich der wortgewaltige Bürgermeister außer Dienst und heutige Präsident der Wiener Volkshilfe jedoch nicht öffentlich zu Wort melden.
Jetzt haben wir das nachgeholt.
KURIER: Wie geht es Ihnen?
Michael Häupl: Danke, sehr gut. Mein größtes gesundheitliches Problem ist momentan, dass ich mein Gewicht halte. Jetzt warte ich aufs Impfen.
Wissen Sie schon, wann Sie drankommen?
Nein, ich stehe auf der Liste und wenn ich gerufen werde, komme ich. Nicht vorher.
Haben Sie Verständnis dafür, dass sich der eine oder andere Bürgermeister früher impfen ließ?
Ich will da nicht allzu hart ins Gericht gehen. Das Kernproblem liegt darin, dass einfach zu wenig Impfstoff da ist.
Am Sonntag gab es unschöne Bilder von den Demonstrationen. Was denken Sie sich, wenn Sie so etwas sehen?
Ich finde das furchtbar, weil hier Leute, die zu Recht Sorgen haben, von Rechtsradikalen ausgenutzt werden. Befeuert von einem offensichtlich völlig ausgeklinkten Klubobmann der Freiheitlichen Partei. Das hat ja schon fast Trump-Züge, was er an Hetze betreibt. Ich verstehe gewisse Sorgen, aber das führt uns nicht zu Lösungen.
Wie kann man diese Vereinnahmung durch Rechtsextreme verhindern?
Indem man die Grundprinzipien der Aufklärung nutzt: größtmögliche Transparenz und Wahrheit. Das ist schon eine vornehme Aufgabe der Politik: Nicht Angst zu schüren, sondern Angst zu nehmen.
Ist das im vergangenen Jahr zu wenig passiert?
Seitens der Regierung ist schon viel mit Angst gearbeitet worden.
Wie erklären Sie sich, dass der dichteste Ballungsraum bei den Infektionszahlen besser da steht als die meisten anderen Bundesländer?
Ich habe den Eindruck, dass in Wien mehr Menschen begriffen haben, dass Corona gefährlich ist. Und dass die Kontrollen gut funktionieren.
Einwanderer
Geboren in Altlengbach (NÖ) zog es Michael Häupl zum Studium der Biologie und Zoologie nach Wien.
Politiker
1983 wurde er SPÖ- Gemeinderat, 1988 Umweltstadtrat, von 1994 bis 2018 war er Bürgermeister Wiens.
Kämpfer
Nach überstandener Krebserkrankung wurde Häupl 2020 Präsident der Volkshilfe Wien.
Wäre es nicht logischer, dass die Menschen am Land mehr aufeinander schauen als in der anonymen Großstadt?
(Lacht) Ich bin eigentlich vom Land geflohen, weil ich weiß, wie wenig das stimmt. Der Zusammenhalt und die Solidarität sind mit Sicherheit in der Stadt viel größer. Auch wenn das beim Raunzertum des Wieners vordergründig nicht so ausschaut.
Die Volkshilfe warnt aktuell vor einer Armutskrise. Wer ist besonders gefährdet?
Die Gefährdung geht in die Mittelschichten hinein. Wir haben aktuell eine Million Arbeitslose. Eine Million! Das muss man sich einmal vorstellen, nicht einmal ich in meinem methusalemischen Alter kann mich erinnern, dass es jemals so etwas gegeben hat. Das ist unfassbar.
Sind Sie froh, dass Sie heute keine Entscheidungen mehr treffen müssen, oder juckt es Sie manchmal noch?
Weder noch. Man muss immer wissen, wann es aus ist. Ich würde mich auch heute nicht vor Entscheidungen scheuen, aber sie gehen mir auch nicht ab. Was mir abgeht, ist die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf 70 oder 75 Prozent. Ich bin sehr für wirtschaftlichen Wiederaufbau, aber ich bin auch dafür, dass man die Arbeitnehmer nicht vergisst.
Der neue Arbeitsminister Martin Kocher meint, wenn das Arbeitslosengeld zu hoch ist, sinkt der Anreiz, sich einen Job zu suchen.
Erstens ist das eine zynische Aussage. Und zweitens wäre mein Narrativ, zu sagen: Herr Arbeitslosenminister, dann muss man den Mindestlohn entsprechend anheben.
Die Volkshilfe fordert auch eine Kindergrundsicherung – reichen Kindergeld, Familienbeihilfe und Familienbonus nicht aus?
Offensichtlich nicht, wenn man sich anschaut, wie viele Kinder an der Armutsgrenze leben. Und die bestehenden Instrumentarien um 200 Euro aufzustocken, ist keine unverschämte Forderung. Es darf keine Frage der Brieftasche sein, ob die Kinder an Ausflügen oder Skikursen teilnehmen können.
Was würde das kosten?
Etwa zwei Milliarden Euro. Angesichts dessen, was uns Corona bisher gekostet hat, würde ich sagen: geht schon.
Die Abschiebungen vor wenigen Tagen haben für große Aufregung gesorgt. Wie stehen Sie dazu?
Wie der Wiener Bürgermeister: Man soll jene abschieben, die das Strafrecht und unsere Regeln nicht respektieren. Aber Lehrlingen oder Schulkindern soll man eine Chance geben. Persönlich halte ich es für einen Wahnsinn, in aller Herrgottsfrühe, bei Schneetreiben, mitten in einer Pandemie Kinder aus dem Bett zu holen. Dafür wird sich der Innenminister wahrscheinlich sein Leben lang verantworten müssen.
Stimmen Sie Michael Ludwigs Wortwahl zu, wenn er von „Gfrastern“ spricht, die sich nicht an Gesetze halten?
Ich bin wirklich der Letzte, der die Wortwahl kritisieren dürfte. Ich glaube, er hat sich so ausgedrückt, dass er auch in der Vorstadt gut verstanden wurde. Das ist wichtig.
Mögen Sie Punschkrapfen?
25 Jahre lang habe ich den Ottakringer Kirtag eröffnet und das ist fast immer am Tag meines Geburtstags. Und da haben die Freunde immer einen Berg Punschkrapfen gebracht, die ich dann verteilt habe. Also: Ja, ich mag sie.
Sie haben noch im Oktober in einem Ö1-Interview gesagt, das Neue muss nicht immer gut sein und das Alte nicht immer schlecht. Wie beurteilen Sie jetzt Rot-Pink?
Ganz gut. Man muss es immer daran messen, was real herauskommt. Aber ich habe mir das Regierungsprogramm angeschaut und wir können alle mit dem Vorwurf, das sei ein sozialdemokratisches Programm, gut leben.
Stimmt er?
Naja. Ich will jetzt den Neos nichts Böses sagen, aber dementieren tu ich es nicht.
Trotzdem sind Sie der Erfinder von Rot-Grün. Tut es Ihnen ein bisschen weh, dass dieses Projekt zu Ende ist?
Ich habe da keine Befindlichkeiten, die wären auch völlig belanglos. Ich glaube, es war damals richtig. Ich bin auch mit Frau Vassilakou gut ausgekommen. Und ich glaube nicht, dass sie auf die Idee gekommen wäre, mit dem Bezirksvorsteher des ersten Bezirks über eine Autofreimachung zu verhandeln, ohne den Bürgermeister zu informieren. Das habe ich, als ich davon gelesen habe, für einen Vertrauensbruch der Frau Hebein gehalten, das muss zu Problemen führen. Ganz klar.
Was bleibt von Rot-Grün?
Man kann nicht so viele Rankings gewinnen, wenn man nicht begriffen hat, dass diese Stadt ein Gesamtkunstwerk ist. Wir haben eine tolle Wohnungspolitik. Wir haben eine Umkehr des Modal Split geschafft. Als ich Bürgermeister wurde, sind 40 Prozent der Wege mit dem Auto zurückgelegt worden und 20 Prozent mit dem öffentlichen Verkehr. Jetzt ist es genau umgekehrt. Auch darum ist der Pro-Kopf-CO2-Ausstoß in Wien der geringste aller Bundesländer. Dass wir heute die größte Universitätsstadt des deutschsprachigen Raums sind, ist auch kein Zufall. Also ich glaube, die Stadt hat sich schon toll weiterentwickelt.
Aber warum haben Sie mit den Grünen nicht so ein konsequentes Klimaschutzprogramm zusammengebracht wie jetzt Michael Ludwig mit den Neos?
Das kann man so nicht ganz sagen. Sonst hätten wir nicht diese Veränderung im Modal Split geschafft oder die vielen Begrünungen. Aber ja: Ich bin sehr zufrieden mit dem Programm und es wird auch den Grund haben, dass man die Klimapolitik nicht einer Oppositionspartei überlassen will.
Stehen Sie noch in Kontakt mit Maria Vassilakou?
Ja, sie hat mir zum Beispiel in der Zeit im Krankenhaus sehr nette, aufmunternde SMS geschickt. Und sie hat mir ein begeisterndes SMS geschickt, als bekannt wurde, dass ich den Vorsitz der Wiener Volkshilfe übernehme. Das war sehr lieb.
Man hat das Gefühl, im Bund kommt es zu einer Annäherung zwischen SPÖ und ÖVP. Ist das der richtige Weg?
Der Bundeskanzler und seine Partei haben eine Fülle von Problemen. Nicht nur die Pandemie, sondern auch wirtschaftliche, soziale und am Arbeitsmarkt. Und da merkt man, dass es offensichtlich nicht reicht, wenn man sich mit ein paar Freunden aus der Jungen ÖVP zusammensetzt. Sondern da braucht man plötzlich die Sozialpartner und versucht auch, mit der konstruktiven Opposition ins Gespräch zu kommen. Das ist durchaus gut so.
Wie beurteilen sie die Performance der Bundesparteichefin in der Krise?
Die ist absolut okay.
Das klingt aber nicht sehr begeistert, Sie hätten ja auch „großartig“ sagen können.
Aber dann wäre ich kein Wiener. Beim Wiener ist es das höchste Lob, wenn er sagt: Eh nicht so schlecht. ,Ist okay‘ ist eigentlich schon eine Huldigung. Sie macht das wirklich gut, weil sie die konstruktive Opposition repräsentiert, noch dazu in einem Bereich, in dem sie ja wirklich fachlich perfekt ist.
Zum Abschluss: Was kann der aktuelle Bürgermeister besser als sein Vorgänger?
Ah, eine Menge. Er ist viel friedlicher als ich, er kommt aus dem Gemeindebau, aus klassisch sozialdemokratischem Milieu, das kann man von mir ja wirklich nicht sagen. Er ist auch ruhiger, in seinem Wesen geduldig und viel konsensorientierter als ich. Und wie man sieht, hat er damit Erfolg.
Und was können Sie besser als er?
Gar nichts.
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