Ludwig und Ruck: "Wir wären mit den Verhandlungen fertig"
Die engen Vertrauten, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Walter Ruck, Wiens Wirtschaftskammerpräsident, über die Verhandlungen, den Wirtschaftsstandort und ihren gemeinsamen Bekannten Rudolf Fußi.
KURIER: Wenn Sie beide Bundesparteichefs gewesen wären, wären die schwarz-roten Verhandlungen geplatzt?
Walter Ruck: Ich glaube, wir wären fertig.
Michael Ludwig: Aber ich muss sagen, ich habe kein Interesse daran, Bundesparteichef zu sein.
Ruck: Ich auch nicht.
Woran sind die Koalitionsverhandlungen nun wirklich gescheitert?
Ludwig: Eines der Hauptprobleme war die budgetäre Situation, die der bisherige ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner zu verantworten hat und die sich als dramatischer dargestellt hat, als das vor der Nationalratswahl präsentiert worden ist. In den Arbeitsgruppen selber ist sehr konstruktiv gearbeitet worden, und es gibt auch viele sehr gute Ergebnisse, die die drei Parteien erzielt haben. Es ist kein generelles Scheitern.
Ruck: Als jemand, der selbst lange Kollektivverträge verhandelt hat, habe ich eine prozessuale Anmerkung. Es braucht von oben eine Richtlinie. Man kann nicht Leute – unter Anführungszeichen – „führungslos“ in die Untergruppen schicken. Es gibt Dinge, die man in der Obergruppe von Anfang an lösen muss. Hätte es ein bisschen mehr Leitung gegeben, dann wäre es bei gutem Willen von allen Beteiligten wohl doch zu einem Ergebnis gekommen.
Herr Ludwig, Sie haben gesagt, Herbert Kickl ist ein Sicherheitsrisiko. Herr Ruck, für Sie sind Verhandlungen mit ihm alternativlos. Wer hat recht?
Ludwig: Das widerspricht sich nicht. Herbert Kickl ist aufgrund seiner Aussagen, auch seiner Taten, die er als Innenminister gesetzt hat, in der Tat ein Sicherheitsrisiko. Laut deutschen Medien haben entsprechende Sicherheitsdienste in der Bundesrepublik Deutschland angekündigt, ihre Zusammenarbeit mit Österreich zu reduzieren, weil Herbert Kickl und die FPÖ als starke Verbündete von Putins Russland bekannt sind.
Ruck: Ein Faktum ist, dass der Bundespräsident Herbert Kickl den Auftrag erteilt hat, eine Regierung zu bilden. Man wird sehen, ob er diesen erfolgreich erfüllen kann. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben. Außer der ÖVP fallen ziemlich alle anderen Verhandlungspartner weg, das ist die Interpretation von alternativlos.
Was würde Blau-Schwarz für Wien bedeuten?
Ludwig: Es hat schon derartige Koalitionen gegeben, unter umgekehrten Vorzeichen, und das war für Wien nie von Vorteil. Ich denke an die Veränderungen, die im Gesundheitswesen vorgenommen worden sind, Stichwort Patientenmilliarde. Es ist angekündigt worden, dass es hier ein starkes Einsparungspotenzial gibt, in Wirklichkeit sind die Kosten gestiegen, und wir sind nach wie vor damit beschäftigt, das Gesundheitswesen zu verbessern.
Ruck: Wir haben 200 internationale Unternehmen, die sich pro Jahr hier ansiedeln, weil diese Stadt im Zentrum von Europa ein sehr guter Standort ist. Wien ist auch eine Kongressstadt und diese muss open minded sein. In einer Stadt, die sehr engstirnig ist, hält man keinen großen weltweiten Kongress ab. Wien matcht sich mit Barcelona und Paris immer um die ersten Plätze im Kongress-Tourismus. Da stehen natürlich jetzt ein paar Fragezeichen, die immer damit zu tun haben, wie der Ruf Österreichs ist.
Es stehen Wirtschaftskammerwahlen an. Wie besorgt sind die Unternehmer in Wien, und wie wird sich die jetzige Situation auswirken?
Ruck: Was die Wirtschaft neben guter Stimmung braucht wie einen Bissen Brot, ist Berechenbarkeit. Wir müssen wissen, wie die Rahmenbedingungen sind, innerhalb derer wir unsere Produkte erzeugen oder unsere Dienstleistungen erbringen können. Wir sind jetzt in etwa dreieinhalb Monate nach der Nationalratswahl, und wir stehen am Beginn von Verhandlungen, die werden auch nicht übermorgen zu Ende sein. Die Berechenbarkeit wird also noch etwas dauern. Und das führt zu einem Gefühl der Betroffenheit.
Herr Bürgermeister, sollte es einen blauen Kanzler geben, haben Sie im Wien-Wahlkampf einen Gegner, gegen den Sie sich positionieren können. Freuen Sie sich aus strategischer Sicht?
Ludwig: Nein, überhaupt nicht. Ich habe in dieser gesamten Diskussion immer die Staatsinteressen im Vordergrund gesehen und nicht parteipolitisches Interesse. Wien ist mit 110 Milliarden Bruttoregionalprodukt der Wirtschaftsmotor Österreichs, wir haben eine wachsende Wirtschaft und einen Beschäftigungsrekord. Wir erwarten uns in der Bundesregierung einen Partner, der erkennt, dass Wien ein wichtiger Teil der Entwicklung des gesamten Landes ist und nicht ein Feindbild abgibt.
Ruck: Den wirtschaftlichen Teil möchte ich doppelt unterstreichen. Die 110 Milliarden Bruttoregionalprodukt bedeuten 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Österreich. Was in dieser Stadt passiert, ist von sehr großer überregionaler Bedeutung.
Michael Ludwig
Seit 2018 ist Michael Ludwig Wiener Bürgermeister. Davor war er elf Jahre lang als Wohnbaustadtrat tätig. Bei den Wien-Wahlen holte er 41,62 Prozent für die SPÖ Wien. Die nächste Wahl findet planmäßig im Herbst 2025 statt
Walter Ruck
Der Wiener Wirtschaftskammer-Präsident heißt seit 2014 Walter Ruck. Zudem ist er Obmann des schwarzen Wirtschaftsbunds. Ludwig und Ruck sind für ihre enge Zusammenarbeit bekannt
Viele sagen, in Wien wird immer alles nur schöngeredet.
Ruck: Warum wohnen dann so viele Leute hier und fühlen sich wohl?
Ludwig: So ist es. Wir haben ein Bevölkerungswachstum durch Menschen aus anderen Ländern, aber auch, weil viele aus den anderen österreichischen Bundesländern kommen. Wäre es so schlimm, würde dieses Bevölkerungswachstum nicht bestehen. Ich war vor zwei Tagen in Hamburg. Eine wunderbare und gut funktionierende Stadt, die aber mit großem Interesse nach Wien blickt und uns fragt, wie wir leistbaren Wohnraum herstellen und wie wir wirtschaftliche Impulse setzen. Die heftigste Kritik haben wir immer in Wien selbst. International sind wir Role Model, gerade, was die Sozialpartnerschaft und das Miteinander betrifft.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Probleme. Steigende Arbeitslosigkeit, viele Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen. Ludwig: Zum einen muss man fragen: Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Wien hat als Bundesland keine Möglichkeit, auf Zuwanderung, Asyl und Integration Einfluss zu nehmen. Das ist ausschließlich Sache des Bundes. Es wäre auch Aufgabe des Bundes, eine entsprechende Verteilung von Menschen vorzunehmen, die neu zu uns ins Land kommen. Wir haben Tausende Kinder mit geringen oder keinen Deutschkenntnissen im Schulbetrieb. Viele, die zum Beispiel aus Afghanistan oder Syrien kommen, mit Fluchterfahrungen und zum Teil mit sehr starken sozialen Herausforderungen. Wir erwarten uns vom Bund Unterstützung und nicht, dass man versucht, alles daran zu setzen, die Herausforderungen in Wien parteipolitisch auszunutzen.
Die Minister aus dem zuständigen Innenministerium kamen weitgehend aus der ÖVP. Würden Sie dem widersprechen?
Ruck: Ich möchte mich auf meine Rolle als Vertreter der Wirtschaft fokussieren. An einem Beispiel möchte ich zeigen, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt. Bedingt durch den Zuzug ist Wien eine der wenigen Städte und Regionen in Österreich, die in den nächsten zehn Jahren einen überproportionalen Anstieg der 15- bis 24-Jährigen hat. Gelingt es uns, diese Menschen in den Produktionsprozess zu bekommen, dann ersetzen sie die ausalternde Babyboomer-Generation. Das könnte man ummünzen in Milliarden Euro für das Bruttoregionalprodukt, und Wien könnte sich noch weiter von den Mitbewerbern absetzen. Gelingt uns das nicht, hätten wir diese Leute als finanzielle Belastung im Sozialsystem und gehen den gegenteiligen Weg. Genau über diese langfristigen Dinge denken wir hier nach. Wie können wir die Rahmenbedingungen so gestalten, dass daraus ein Vorteil für diesen Wirtschaftsstandort wird?
Es gibt einen Mann, der Sie verbindet: Rudolf Fußi. Herr Ruck, er hat lange die Wirtschaftskammer Wien beraten. Was können Sie Positives über ihn sagen?
Ruck: Wie jeder Mensch hat Rudi Fußi sehr viele positive Eigenschaften. Und wie bei jedem gibt es bei ihm Dinge, die er sich besser überlegen sollte. Im Vergleich zu mir ist er sicher extrovertierter.
Wie sehr hat er der SPÖ geschadet?
Ludwig: Hilfreich war es mit Sicherheit nicht. Ich schätze ihn als PR-Experten, und er macht gute Plakate. Darauf sollte er sich konzentrieren.
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