Mord und Vergewaltigung: Höchststrafen im Leonie-Prozess
Sechs Tage lang wurden Zeugen und Sachverständige befragt, die Angeklagten erzählten ihre Version der Geschichte. Heute, Freitag, wurden nach sechs Stunden Beratung der Geschworenen die Urteile im Leonie-Prozess verkündet. Alle drei Angeklagten wurden des Mordes und der Vergewaltigung für schuldig befunden.
Die 13-jährige Leonie starb am 26. Juni 2021. Der leblose Körper des Mädchens war auf einem Grünstreifen in Wien-Donaustadt abgelegt worden. Leonie war unter Drogen gesetzt und mehrfach vergewaltigt worden.
Zubaidullah R. (23) muss lebenslang in Haft, Ibraulhaq A. (19) für 20 Jahre und Ali H. (20) wurde zu einer Haftstrafe von 19 Jahren verurteilt. Alle drei beteuerten im Prozess, Leonie geholfen zu haben. Doch DNA-Spuren und Videos, die sie selbst aufgenommen hatten, belasteten sie schwer.
Der KURIER berichtete live aus dem Gerichtssaal:
Urteile im Leonie-Prozess
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Prozess-Start um 9.30 Uhr
Schon vor Prozessbeginn ist vor dem Gerichtssaal viel los.
"Wir sind der Ansicht, es war Mord", sagt Opferanwalt Florian Höllwarth, der die Familie von Leonie vertritt. Sollten die Geschworenen das auch so sehen, sei das ein Statement an alle Männer, die glauben, sie müssten sich nicht an den westlichen Werten orientieren.
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Bitte um milde Strafen
Andreas Schweitzer, Anwalt von Ali H. - er will der Freund von Leonie gewesen sein - sagt gegenüber dem KURIER, dass man um milde Strafen beziehungsweise Freispruch bitten wird: "Es liegen Fakten auf dem Tisch, dass unser Mandant die Tat so nicht begangen hat."
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Leonies Eltern bleiben Prozess fern
Die Eltern des Opfers nehmen beim Prozessende nicht teil. Laut Johannes Öhlböck, ebenso Anwalt der Opfer-Familie, habe Leonies Mutter in einem Gespräch heute zu ihm gesagt: "Ihre Schuld werden sie nicht los, aber sie hätten wenigstens die Würde haben können, uns die Wahrheit zu sagen."
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Leonies Vater: "Welt für mich zusammengebrochen"
Schon vor Beginn des Prozesses teilt Opferanwalt Öhlböck sein Plädoyer an die anwesenden Journalistinnen und Journalisten aus. Aus Respekt vor der Opferfamilie und Leonies Vater wird er einen Brief von ihm verlesen: "Als wir am 27.06.21 erfahren haben, dass Leonie tot ist, ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Es war plötzlich alles anders. Eine unendliche Leere, ich wollte eigentlich nur tot sein damit ich diese Hölle auf Erden nicht mehr ertragen muss. Und ich wollte zu Leonie, damit wo auch immer sie ist, sie dort nicht alleine ist." Die Leere, die er verspürt, sei geblieben, so der Vater in dem Brief. "Sie wurde nicht besser. Im Gegenteil es wurde alles schlimmer."
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Prozess kann starten
Mittlerweile sind alle Geschworenen angekommen. Der Prozess ist gestartet. Auch die Angeklagten wurden jetzt in den Gerichtssaal geführt. Die Schlussplädoyers beginnen.
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Staatsanwältin: "Aussagen der Angeklagten haben mich teils fassungslos gemacht"
Die Staatsanwältin beginnt mit ihrem Plädoyer: "Wir stehen am Ende eines langen Beweisverfahrens. Sie konnten sich alle ein Bild der Angeklagten machen. Die Aussagen der Angeklagten haben mich teils fassungslos gemacht. Sie sind sich keiner Schuld bewusst. Von ehrlich gemeinter Reue fehlt jede Spur. Sie versuchen die Tat gemeinschaftlich zu vertuschen. Alle hatten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, alle haben Erste Hilfe geleistet. So kann es nicht gewesen sein, sonst würden wir nicht hier sitzen."
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Sachverständiger: Dreifach lethale Dosis Ecstasy im Körper
Die Staatsanwältin stellt die Aussagen der einzelnen Angeklagten mit den Aussagen der anderen gegenüber. Jeder habe die jeweils anderen belastet. Die Aussagen würden sich laut Staatsanwältin widersprechen.
Laut Sachverständigem hatte Leonie eine dreifach lethale Dosis Ecstasy im Körper. Das entspricht sechs bis 12 Tabletten. Leonie hatte frische Hämatome. Das sei ein klares Zeichen für Gewaltanwendung. Die DNA-Spuren würden belegen, dass alle drei Angeklagten mit Leonie Geschlechtsverkehr hatten.
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Staatsanwältin hält jetzt auch Mord für möglich
"Um 5.57 entsteht dieses schreckliche Video. Ich war völlig schockiert von den Bildern. Die bekommt man nicht mehr aus dem Kopf. Man sieht Leonies Todeskampf. Erst um 6.56 Uhr wird die Rettung gerufen. Da ist Leonie bereits tot", sagt die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer.
Zum ersten Mal sagt die Staatsanwältin, dass sie auch Mord für möglich hält: "Im Rahmen des Verfahrens haben wir neue Anhaltspunkte für einen Mordvorsatz gehört. Das wird von Ihnen (Geschworene) zu prüfen sein."
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Staatsanwaltschaft: "Junge Mädchen sind kein Freiwild"
"Aus unserer Sicht kommt nur eine Strafe infrage. Die Höchstrafe", sagt die Staatsanwältin weiter. "Das Urteil hat eine große Bedeutung. Es wird eine große Signalwirkung haben und zeigen, dass man junge Mädchen nicht in die Wohnung locken, betäuben und ohne Rücksicht vergewaltigen darf. Junge Mädchen sind kein Freiwild."
Im Urteil soll deutlich werden, dass solche Taten von der Justiz unermüdlich aufgeklärt werden und jeder einzelne Täter zur Verantwortung gezogen werde. Die Staatsanwaltschaft beschließt damit das Plädoyer.
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Opferanwälte starten ihre Plädoyers
Die Vertreter der Opfer, Öhlböck und Höllwarth, sagen zu Beginn ihres Plädoyers, dass ein Mord hinter dieser Tat stehe: "Im Jahr 2022 hat es 22 Femizide gegeben. Wir sehen es als Chance, dem entgegenzutreten. Es muss Änderungen bezüglich Gewalt gegen Mädchen und Frauen geben. Männer, egal welcher Kulturen, haben noch nicht erkannt, dass Mädchen ihre eigenen Vorstellungen vom Leben haben."
"In Österreich haben Mädchen und Frauen ihre Rechte. Das kann ihnen niemand nehmen", sagt Höllwarth.
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Anwalt zeigt Bilder des Opfers her
Die Fotos hat der Anwalt vom Vater von Leonie bekommen. Darauf zu sehen ist das Mädchen etwa wie sie mit einem Hund kuschelt oder auf der Skipiste steht. Der Brief des Vaters wird von Öhlböck vorgelesen. Dass er seine Tochter verloren hat, habe ihn verändert, schreibt der Vater: "Die Suizid-Gedanken sind verschwunden. Weil Suizid im christlichen Glauben eine Sünde ist, und ich würde nicht zu Leonie kommen, sondern in die Hölle." Einige der Geschworenen scheinen sichtlich berührt. Mehrere wischen sich die Tränen aus den Augen. -
"Für ein Urteil ist es besser, die Emotionen herauszunehmen"
Nun ist Wolfgang Haas, der Anwalt von Zubaidullah R. - der Angeklagte, der nach England geflüchtet war - am Wort. "Es war ein außergewöhnliches Verfahren. Auch mit außergewöhnlichen Emotionen. Aber für ein Urteil ist es besser, die Emotionen herauszunehmen", sagt Haas. "Als es dem Opfer schlechter ging, haben sie sich bemüht, zu helfen. Mein Mandant hat angegeben, dass er dem Opfer Geld für Geschlechtsverkehr gegeben hat. Ob das glaubwürdig ist, müssen Sie (Geschworene) beurteilen. Er war auf der Flucht. Deshalb hat man alle Schuld auf ihn abgewälzt."
Es gehe nicht um Politik oder westliche Werte, sagt Haas. Es gehe darum, eine gerechte Strafe in einem schrecklichen Fall zu finden.
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Geschworene werden aufgefordert, Gerechtigkeit walten zu lassen
In der Wohnung des Angeklagten Ibraulhaq A., 19 starb Leonie. Er wird im Prozess von Anwalt Thomas Nirk vertreten: "Wir haben das Bedürfnis, Recht zu schaffen. Aber die Geschworenen sollen hier Gerechtigkeit walten lassen." -
"Es geht nicht um Politik"
Der Angeklagte Ali H. hat ausgesagt, dass er der Freund von Leonie gewesen sei. Andreas Schweitzer und Sebastian Lesigang vertreten ihn. Lesigang beginnt: "Es geht nicht um Politik. Wir sind in einem Geschworenen-Gerichtssaal, Sie müssen Recht sprechen anhand der Fakten."
Es gebe keinen Hinweis, dass Ali H. Leonie Tabletten verabreicht habe oder dabei war, als das geschah.
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Frage nach Beziehung zu Angeklagtem
Ali H. gab seit jeher an, mit Leonie in einer Beziehung gewesen zu sein. Leonies beste Freundin stellte das aber in Abrede. Lesigang: "Ich glaube nicht, dass Leonie ihr alles gesagt hat."
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Freispruch für Ali H. gefordert
Lesigang will Freispruch für Ali H.: "Er hat mir immer wieder dieselbe Geschichte erzählt. Seine Verantwortung ist richtig. Er hatte Geschlechtsverkehr, schlief ein. Er wusste nichts von den Tabletten."
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Anwalt in Richtung Geschworene: "Sie müssen objektiv entscheiden"
Der zweite Anwalt von Ali H., Andreas Schweitzer, wendet sich in Richtung der Geschworenen: "Sie alle haben über diesen Fall in den Medien gelesen. Aber Sie müssen objektiv entscheiden. Das ist nicht leicht. Als Anwälte machen wir hier unseren Job und bekommen dafür Drohungen. Die gehen so weit, dass man mir droht: 'Stirb, du Schwein!'"
Die Plädoyers sind zu Ende. Die Angeklagten dürfen sich äußern, wenn sie wollen.
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"Es war nicht beabsichtigt, dass sie stirbt"
Der Angeklagte Zubaidullah will sprechen: "Es war nie meine Absicht, dass jemand Drogen nimmt und dann stirbt. Ich habe mich am 1. Tag bei allen entschuldigt und mache das auch heute. Bei allen Österreichern. Ich habe versucht, Erste Hilfe zu leisten. Zuletzt habe ich sie (das Opfer, Anm.) aus der Wohnung getragen und an die frische Luft gebracht und die Rettung verständigt. Es war nicht beabsichtigt, dass sie stirbt."
Zubaidullah sagt, er habe Drogen verkaufen müssen, weil er keinerlei Unterstützung bekommen habe. "Ich war 1,5 Monate auf der Straße. Was sollte ich tun?"
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Ali H: "Tut mir sehr leid"
Auch Ali H nutzt die Gelegenheit, sich zu entschuldigen: "Tut mir sehr leid. Hätte ich gewusst, dass ich falsche Freunde habe, hätte ich sie nie dorthin gebracht. Ich schäme mich."
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Geschworene ziehen sich zurück
Die Verhandlung ist somit beendet. Die Geschworenen ziehen sich zur Urteilsberatung zurück.
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Die Urteilsverkündung steht kurz bevor
Die Anwälte finden sich gerade im Verhandlungssaal ein, die Angeklagten werden geholt. Das Urteil dürfte bald verkündet werden.
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Die Geschworenen und Angeklagten kommen
In diesen Minuten finden sich alle im Gerichtssaal ein. Die Geschworenen haben sich rund sechs Stunden beraten. Die Verbindungstür der Justizanstalt geht auf. Die drei Angeklagten verdecken einmal mehr ihr Gesicht.
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Der Obmann der Geschworenen ist jetzt am Wort
Er verliest die Fragen, die an die Geschworenen gestellt wurden. -
Es war Mord
Das Urteil gegen Zubaidullah R. wird verkündet. Die Geschworenen entschieden, dass es Mord und Vergewaltigung war.
Ibraulhaq A. wird wegen Mordes durch Unterlassung und ebenfalls wegen Vergewaltigung verurteilt.
Auch Ali H. wird wegen Mordes durch Unterlassung und Vergewaltigung verurteilt.
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Der Strafrahmen wird verkündet
Zubaidullah R. wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Ibraulhaq A. zu 20 Jahren. In beiden Fällen ist das das höchstmögliche Strafmaß. Ali H., der angab, Leonies Freund gewesen zu sein, muss 19 Jahre in Haft. -
140.000 Euro Schmerzengeld für Familie
Der Familie der getöteten Leonie wird Schmerzengeld zugesprochen. Den Eltern stehen je 30.000 Euro, den vier Geschwistern von Leonie je 20.000 Euro zu.
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Richterin: "Das Urteil ist kein politisches Statement"
Richterin Anna Marchart kommentiert die Urteile: "Mord ist das schwerste Verbrechen, dass das Strafgesetzbuch kennt. Die Art, wie die Tat hier ausgeführt wurde und die Angeklagten sich verhalten haben, rechtfertigt die Verhängung der Strafen. Sie haben das Mädchen wie ein Objekt benutzt und auffällige Gleichgültigkeit gezeigt." Das Urteil sei kein politisches Statement. Die Mutter des Angeklagten Ali H. sitzt in den Zuhörerrängen und weint.
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Der Tag im Gericht geht zu Ende, wir verabschieden uns
Wir verabschieden und für heute. Alle weiteren Infos zu dem Fall finden Sie im KURIER und auf kurier.at
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