Kinderbetreuung: "Leihomas" sind mehr als nur Babysitter
Als Irene Gründler frühzeitig in Pension geschickt wurde, kam ihr das alles andere als gelegen. Ihr Sohn war bereits erwachsen, Enkelkinder gab es keine. Den ganzen Tag zu Hause bleiben, kam für die ehemalige Personalchefin nicht in Frage: Kurzerhand rief sie beim sogenannten "Omadienst" an und besorgte sich ein "Leihenkerl".
Seit 50 Jahren gibt es den Omadienst des katholischen Familienverbands. Dieser vermittelt die "Leihomas", die zunächst fremde Familien bei der Kinderbetreuung unterstützen.
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An einigen Tagen die Woche helfen die "Omas" aus, die genaue Anzahl können sie selbst festlegen. Ziel soll aber sein, eine langfristige Bindung zwischen "Oma", Kind und Familie aufzubauen.
Erste Erfahrungen als "Leihoma"
"Zunächst war ich enttäuscht", erzählt Frau Gründler während sie in ihrem Kakao ohne Schlag umrührt. Nach einem ersten Treffen mit einer jungen Frau und deren sechs Monate alten Sohn erhielt sie eine Absage - obwohl das Treffen eigentlich wunderbar verlief. Der Grund: Die Schwiegermutter wolle sich um das Enkelkind kümmern. Ein Rückschlag für Frau Gründler.
Doch es sollte anders kommen. Nach wenigen Wochen erreichte sie der Anruf der jungen Frau. Die Schwiegermutter sei überfordert - ob Frau Gründler noch Interesse habe? Die Antwort war ein klares Ja.
Schwerer Abschied
Fünf Jahre lang unterstützte Irene Gründler schließlich die Familie, bis diese nach Tirol übersiedelte. "Ich war sehr traurig darüber, man baut schließlich eine tiefe Bindung auf", so Gründler. Die Mutter habe ihr versprochen, in Kontakt zu bleiben: "Das habe ich nicht geglaubt, aber wir sind tatsächlich bis heute in Kontakt", erzählt Gründler freudestrahlend.
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Ihr "erster Bub" ist mittlerweile 23 Jahre alt und absolviert eine Ausbildung zum Fluglotsen.
Und die 22 Jahre lange Erfahrung als "Oma" zeigt: Die Abschiede waren meist nur temporär, denn mit fast allen Familien ist Gründler bis heute in Verbindung. Ihr genaues Alter möchte sie übrigens nicht verraten: "70 plus", erwidert Frau Gründler und schmunzelt.
Schon nach dem ersten "Leihenkerl" war Frau Gründler jedenfalls auf den Geschmack gekommen: "Ich wollte sofort weitermachen." Sie betreut seitdem meist zwei bis drei Familien, üblicherweise ein- bis zweimal pro Woche. Es sei ein enormer Zeitaufwand, aber der Kontakt mit Menschen sei für Gründler unbezahlbar. Etwa zehn Kinder hat die begeisterte "Leihoma" bisher betreut und sich gleichzeitig ihre Pension verschönert.
Eine "Wiener Oma"
Häufig würden sich Familien melden, deren leibliche Omas in anderen Bundesländern oder im Ausland wohnen. Für sie gibt es mit Frau Gründler eine Wiener Oma dazu. Die Familie wird vergrößert, aber auch Frau Gründler bekommt eine "Leihfamilie". Bei Familienereignissen wie Geburtstagen oder Feiertagen ist sie stets mit dabei.
Eine "Leihoma" zu sein bedeutet mehr, als "nur" Kinder zu betreuen: "Omas" sollen Anschluss bei in einer Familie finden, bauen eine langjährige Beziehung zu den Kindern auf und unterstützen eine Familie im Alltag.
Ältere, körperlich und geistig agile Menschen werden vom Omadienst des katholischen Familienverbandes an Familien vermittelt. Für die Kinder soll die "Leihoma" eine Bezugsperson werden, die ihnen Aufmerksamkeit und Zeit widmen kann.
Für die generationenverbindende Kinderbetreuung werden laufend "Leihomas"gesucht, die sich mehr Abwechslung in der Pension wünschen.
Nähere Informationen gibt es auf der Website des Omadiensts.
Auch bei medizinischen Notfällen springt Frau Gründler selbstverständlich ein: Als sich ihr "Leihenkerl" einmal verletzte, bat die Mutter, dass Frau Gründler anstelle des Vaters mit ins Spital kommen solle. "Ich mache alles, was eine normale Oma auch tut, da gehört das dazu", erklärt Gründler. Sogar bei der Geburt eines weiteren "Leihenkerls" war Irene Gründler mit dabei.
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Der enge Familienkontakt sei für Frau Gründer das Schönste an ihrer Arbeit. Während der Hochphase der Pandemie hat sie zwischenzeitlich mit der Arbeit als "Leihoma" aufgehört. Diese erzwungene Pause sei ihr sehr schwergefallen: "Ich brauche die Menschen und sie brauchen mich."
Kein Wunder, denn die Kinder nennen sie „Oma Irene“ oder ihre „Wiener Oma“. Irene Gründler wuchs einst selbst bei ihrer Großmutter auf. Als sie als Zehnjährige mit ihrer Mutter von Braunau am Inn nach Wien übersiedelte, war sie todtraurig: "Ich habe immer gesagt, ich will zurück zur Omi." Später folgte die Oma der Familie nach Wien, sehr zur Freude von Irene Gründler.
Familienerweiterung für die "Omas"
Ihre enge Bindung zur eigenen Großmutter bestärkte Frau Gründlers Entscheidung, "Leihoma" zu werden. Sie möchte nun für andere Familien das sein, was ihre Oma für sie war. Denn auch die Eltern würden eine Oma dazubekommen. "Leihoma" sein: "Man hat eben nicht nur 'Leihenkerl', sondern auch 'Leihkinder'", erklärt die Pensionistin schmunzelnd.
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