Kontrolleure erzählen: Warum der Schmäh nicht mehr U-Bahn fährt
Corona hatte weitreichendere Folgen als gemeinhin bekannt: Es hat wohl auch dem Wiener Schmäh zugesetzt.
Eine – freilich nicht ganz ernsthafte – Diagnose, die aber eine Betrachtung wert ist. Denn wer täglich acht Stunden in den Öffis unterwegs ist, entwickelt ein Sensorium dafür, wie sich die Stimmung in der Stadt verändert (und braucht dazu wohl auch eine gewisse Menge Schmäh). Der KURIER traf zwei Fahrscheinkontrolleure der Wiener Linien und sprach mit ihnen über ihren Arbeitsalltag: über Tarnung, (un-)kreative Ausreden und den schwindenden Wiener Schmäh.
Da Kontrolleure nicht erkennbar sein sollen, nennen wir sie hier Andrea und Harald. Doch wie ist es umgekehrt? Erkennen die beiden aufgrund ihrer Routine, wer ohne Fahrschein unterwegs ist? „Zu 80 Prozent ja“, erwidert Andrea. Seit 2007 ist die 45-Jährige als Kontrolleurin unterwegs, Tag und Nacht, in U-Bahn, Bus und Straßenbahn. „Über die Jahre entwickelt man schon ein gewisses Gespür dafür.“ Die Körperhaltung, Anspannung, nervöses Umherblicken im Waggon: „In einer Zeit, in der jeder aufs Handy schaut, ist derjenige verdächtig, der das nicht tut“, sagt Harald und lacht.
Offiziell gibt es bei den Wiener Linien übrigens gar keine Schwarzfahrer mehr – zumindest dem Namen nach. Um das unschöne Wort zu vermeiden, spricht man nun von „Fahrgästen ohne gültiges Ticket“. Ebenso sind die Schwarzkappler in der offiziellen Diktion Geschichte: Sie heißen jetzt Kontrolleure. Die Bezeichnung leitete sich von den schwarzen Kappen ab, die die Kontrolleure einst trugen. Heutzutage sind sie nur bei den Kontrollen in den Stationen an ihren gelben Westen erkennbar. Sind sie in den Waggons unterwegs, unterscheiden sie sich optisch nicht von anderen Fahrgästen. Harald etwa trägt Jeans und Pullover.
„Habe Gebüsch vergessen“
So mancher Fahrgast war schon überrascht, als er seinen Ausweis zückte: „Ich sage dann immer drauf: ,Entschuldigung, ich hab’ heute mein Gebüsch zur Tarnung vergessen‘.“
3,3 Millionen Fahrgäste wurden im Vorjahr kontrolliert, 105.600 hatten keinen Fahrschein. Das entspricht rund 3,2 Prozent der Fahrgäste. Im internationalen Vergleich eine gute Quote: In Hamburg liegt diese beispielsweise bei fünf Prozent, in Paris bei zehn.
Und diejenigen, die keinen Fahrschein haben? Die Ausreden, erzählt Harald, seien in der Regel nicht sonderlich kreativ: „Sie haben das Ticket vergessen – so in die Richtung. Da ist der Schmäh leider ziemlich verloren gegangen.“
Seit der Pandemie seien die Fahrgäste seiner Beobachtung nach generell ernsthafter und angespannter: „Zuerst Corona, dann der Krieg und die Teuerung: Viele Leute sind verunsichert und haben Ängste entwickelt“, beschreibt er. „Früher“, bestätigt auch Andrea, „ist der Schmäh einfach mehr g’rennt. Heutzutage sind die Menschen, die unterwegs sind, oft hektischer und rücksichtsloser. Sie schauen weniger aufeinander.“
Was sich ebenfalls geändert habe: Kaum jemand esse noch in der U-Bahn, dafür werde häufiger laut telefoniert. „Und dadurch, dass fast alle Kopfhörer haben, hören sie uns nicht mehr kommen“, erzählt Andrea.
Die „Gesetzlosen“
Doch ganz unterkriegen lässt sich der Wiener Schmäh doch nicht. Kürzlich habe er im Bus ein älteres Ehepaar kontrolliert, beide wohl über 80, erzählt Harald. „Ich hab’ mir gedacht, im Alter kann es schon passieren, dass man die Fahrkarte vergisst, und wollte sie gar nicht strafen.“ Aber: „Die beiden haben gelacht und wollten die Strafe unbedingt bezahlen. Denen hat das richtig getaugt, dass sie die Gesetzlosen waren.“
Ob sie sonst ein Auge zudrücken? Einmal bei einer älteren Dame, die gerade den Partezettel ihres Mannes geholt habe, erzählt Andrea. In solchen Fällen könne man nach Ermessen nur den Ticketpreis verlangen. Oder etwa bei Obdachlosen. Wobei diese manchmal sogar Tickets haben: „Eine Zeit lang war auf einer Buslinie eine Frau mit fünf, sechs Sackerln unterwegs – die hat eine Monatskarte gehabt. Wir kennen auch Obdachlose mit Jahreskarte“, erzählt Harald.
Aber in der Regel gilt: Wer mitfährt, muss bezahlen. Erwischtwerden kostet 105 Euro – wenn man sofort bezahlt. Späteres Einzahlen per Erlagschein kommt auf 115 Euro. „Ich sag’ den Leuten immer: Bevor ihr uns das Geld gebt, haut es doch lieber auf den Kopf“, so Harald.
Und er beweist, dass zumindest ihm der Schmäh noch nicht ausgegangen ist: „Wer mir eine wirklich super Ausrede liefert, dem spendiere ich einen Fahrschein“, scherzt er.
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