Richterin will Kids einsperren

Richterin Matschnig will früher eingreifen und nicht warten, bis Problem-Kids strafmündig sind.
Aber nur für ein paar Wochen, um eine Beziehung aufzubauen.

Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig will nicht warten, bis problematische Kinder mit ersten kriminellen Erfahrungen „endlich strafmündig sind“ und im Jugendgefängnis landen. Sie will auch Strafunmündige (unter 14 Jahren) einschließen. Für ganz kurze Zeit, ohne Gitterstäbe, ohne Bewachung, „so wie wenn die Eltern sagen: ,Heute abend gehst du nicht weg‘, und dann die Wohnungstür zusperren.“

Dass das ausgerechnet Matschnig fordert, die den Wirbel um die Zustände in der Jugendhaft mit Vergewaltigungen unter den sich selbst überlassenen U-Häftlingen in Sechs-Mann-Zellen ausgelöst hat (siehe Zusatzbericht rechts), mag verwundern. Doch die Jugendrichterin hat sich erfolgreiche Modelle in Skandinavien und der Schweiz angeschaut. Dort werden auffällige Kids von der Straße geholt und in Wohngruppen kaserniert, bis man ein Umfeld für sie geschaffen hat. „Dafür reichen drei Wochen, in dem Alter baut man schnell eine Beziehung auf.“

Solche Wohngruppen müssten auch als Alternative zur U-Haft für strafmündige Täter ausgebaut werden. Im Justizministerium wird überlegt, bei schweren Fällen nach Ermessen des Richters die elektronische Fußfessel einzusetzen.

G’standene Männer

Allerdings benötige man dazu auch mehr, besser bezahlte, vor allem männliche Sozialpädogogen. Denn in erster Linie die Buben machen Matschnig Sorgen, „und die brauchen männliche Vorbilder. Ein paar g’standene Männer, und wir brauchen gar nicht mehr zusperren.“

Auch Polizisten im Grätzel können Ansprechpartner sein (siehe Bericht unten). Jugendliche U-Häftlinge in der Justizanstalt Josefstadt haben zum Beispiel großen Respekt vor dem Lehrer Wolfgang Riebniger, der dort unterrichtet. „Der schaut aus wie Bud Spencer, bei dem kommt keiner auf dumme Ideen“, sagt Matschnig.

Freilich müsse man sich auch um die Mädchen kümmern. Die Richterin schildert einen krassen Fall: Mit zehn die erste Alkoholvergiftung, kein Besuch der Mutter im Spital, mit elfeinhalb zum ersten Mal Heroin, mit zwölf am Babystrich, mit 14 vor Matschnig auf der Anklagebank. „Die war im Krisenzentrum des Jugendamtes nicht zu halten. Bis da alle Papiere unterschrieben sind, ist die schon wieder weg.“

Das Jugendamt tritt gegen den Plan der versperrbaren Wohngruppen auf, weil es ein neues Kaiser-Ebersdorf (berüchtigte Erziehungsanstalt bis in die 1970er-Jahre) befürchtet. Aber darum geht es laut Matschnig gar nicht, es sollen kleine Einheiten sein. Die Richterin schätzt, dass in Wien nicht mehr als zehn Kinder betroffen sind.

5000 Fälle

Die MA 11 (Jugendamt) beklagt selbst, dass ihr Einflussbereich nicht groß genug ist. 396 Sozialarbeiter betreuen in Wien 5000 als problematisch gemelde Fälle. „Es gibt aber keine dauerhafte Betreuung mehr“, sagt Karin Bichler, seit 20 Jahren Sozialarbeiterin in Wien-Ottakring. „Wir helfen den Familien anlassbezogen.“ Das heißt: Die Problemfälle kommen später wieder. „Oft werden Kinder aus problematischen Verhältnissen später Problem-Jugendliche.“

„Jugendliche, die nicht beschäftigt werden, kommen schnell auf blöde Ideen“, weiß Andreas Mann, Präventionsbeamter der Wiener Polizei. Er ist seit mehr als 25 Jahren im Dienst und kennt die häufigsten Probleme: Vandalismus, Ruhestörung und kleinere Diebstahldelikte werden oftmals aus reiner Langeweile verübt.

Vor etwa sieben Jahren hatte Andreas Mann deshalb eine Idee: Ein Jugendzentrum mitten im Park beim Asperner Heldenplatz. Mithilfe der Bezirksvorstehung Donaustadt und der MA 13 wurde das Projekt verwirklicht.

Für die Jugendlichen ist die „junge Box“ mittlerweile ein zweites Zuhause. Der 15-jährige Manuel erzählt, dass sich rund um das Zentrum eine Clique formiert hat. „Man hat immer jemanden zum Reden und trifft die Freunde.“ Auch die Verantwortliche, Karin Emmerich, ist eine Bezugsperson geworden.

Zum fünfjährigen Jubiläum ziehen die Präventionsbeamten eine positive Bilanz. „Die Jugendlichen kennen uns mittlerweile und haben zwar Respekt, aber keine Angst vor uns. Wenn etwas ist, dann können sie uns ansprechen. Das tun sie auch immer wieder“, erzählt Helmut Kopic, der auch mit den Jugendlichen arbeitet. Das Besonders an dem Zentrum ist, es hat täglich offen.

Realität und Statistik

Laut Kriminalstatistik ist die Jugendkriminalität in den letzten Jahren zurückgegangen – 2012 gab es um 185 Verurteilungen weniger. Das bestätigt aber nicht Kopics subjektive Meinung: „Der Statistik kann man nicht ganz glauben, denn unterm Strich hat sich in den vergangenen 25 Jahren nichts verändert. Die Probleme sind auch gleich geblieben. Es gibt viele zwielichtige Gruppierungen, die versuchen neue Leute zu rekrutieren. Das kann aber verhindert werden, wenn die Jugendlichen eine Anlaufstelle haben. Es geht uns nicht darum, dass sie ihre Freunde anschwärzen sollen. Aber über das Zentrum können wir Kontakt halten.“

Andreas Mann ist auch an Schulen unterwegs, um Prävention zu betreiben. Ihm ist es besonders wichtig, den Schülern klar zu machen, wie schnell man mit dem Gesetzt in Konflikt kommt: „In einem gewissen Alter gibt es einfach den Gruppenzwang. Wenn die Freunde dann sagen, man soll eine CD oder Ähnliches einstecken, klingt das vielleicht nicht so schlimm. Aber wenn man diesen Weg einschlägt, dann rutscht man schnell in die Kriminalität ab.“

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