IS-Verdächtiger mit Häfen-Erfahrung

Keine Polizeipräsenz in der U-Bahn, die Security-Mitarbeiter der Wiener Linien müssen reichen
18-Jähriger hat kriminelle Vergangenheit, Schuldirektor bezeichnet ihn als "klug, aber faul". Info-Leck bei Polizei überschattet Erfolg.

Österreich hat seit Freitagabend einen Staatsfeind Nummer 1. Doch ist der 18-jährige terrorverdächtige Lorenz K., Kampfname Abou-Chacker, tatsächlich ein potenzieller Sprengstoffattentäter?

Wie der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, dem KURIER bestätigt, gab es ganz konkrete Hinweise von ausländischen Sicherheitsdiensten, dass ein Anschlag zeitnahe geplant war. Als mögliches Ziel wurde eine U-Bahnstation in Wien genannt. Die Polizei war gewarnt, weil sich Lorenz K. zuletzt in einem "radikalen albanisch-islamistischen" Milieu bewegte. K.s Eltern stammen aus Albanien, geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist er in Österreich, genauer gesagt in Neunkirchen in Niederösterreich.

IS-Verdächtiger mit Häfen-Erfahrung
Wohnhaus in Wien Favortien mit der Adresse Rotenhofgasse 70 des festgenommenen Terror-Verdächtigen. Wien, 21.01.2017
Der 18-Jährige hatte sich in den Tagen vor seiner Festnahme zum wiederholten Mal in Deutschland aufgehalten und war dort ins Visier der Ermittler geraten. Er soll sich im Dunstkreis von IS-Sympathisanten bewegt haben. Von dort kam auch der Hinweis, dass er beabsichtige, einen Sprengsatz zu bauen und diesen womöglich auch zu zünden. Als er diese Woche nach Wien zurückkehrte, wurde er von Spezialisten der Cobra observiert und Freitag gegen 18 Uhr in der Nähe der Wohnung seiner Mutter in der Rotenhofgasse in Wien-Favoriten festgenommen.

Ein Bericht der Kronen-Zeitung, wonach sich der Tatverdächtige bei der Einvernahme zum IS bekannt haben soll, wurde vom Innenministerium zunächst nicht bestätigt.

Hausdurchsuchungen

"Es wurden danach Hausdurchsuchungen durchgeführt, bei denen Computer, Mobiltelefone und andere persönliche Gegenstände sichergestellt wurden. Diese Dinge werden entsprechend technisch ausgewertet, um den Verdächtigen in den Einvernahmen damit auch konfrontieren zu können", so Kogler. Man gehe davon aus, dass er mit anderen Leuten in Kontakt stand. Auch der um zwei Jahre ältere Bruder wird überprüft.

Die Durchsuchungen der Wohnung in Favoriten sowie der Wohnung von K.s Vater in Neunkirchen hat bisher keinen konkreten Hinweis auf Sprengstoff ergeben. Die Spürhunde haben nichts gefunden, und auch ein Abrieb der Handflächen des 18-Jährigen auf Sprengstoff-Partikel ist negativ verlaufen. Bei dem Test kann auch noch nach Wochen festgestellt werden, ob jemand mit Sprengmitteln hantiert hat – vorausgesetzt, es wurden dabei keine Handschuhe getragen. Um alle Informationen über Terrorverdächtige und speziell auch über Lorenz K. international abzugleichen, stehe man laut Kogler derzeit mit 100 ausländischen Behörden in Kontakt.

Kleinkriminell

Auch wenn der 18-Jährige der Behörde bisher nicht als potenzieller Terrorist bekannt war, so hatte er zumindest eine kriminell bewegte Vergangenheit. Aus Deutschland sind zwei Delikte wegen Betrügereien bekannt. Auch in Österreich kam der junge Mann wegen Raufhandels, Körperverletzung und Eigentumsdelikten immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Die Taten brachten ihm eine Haftstrafe im Jugendgefängnis in Gerasdorf (NÖ) ein. Die Strafanstalt ist dafür bekannt, dass sie einige IS-Sympathisanten und radikalisierte Jugendliche beherbergt. Um eine weitere Radikalisierung innerhalb der Gefängnismauern zu verhindern, läuft seit Jahren ein entsprechendes Projekt.

IS-Verdächtiger mit Häfen-Erfahrung
Neunkirchen,Terrorverdacht,Terror,Festnahme Wien
In der Schule habe es jedenfalls noch keine Hinweise auf ein "Abdriften" des Jugendlichen gegeben. "Was sein Verhalten betrifft, gab es Kleinigkeiten, aber nichts extrem Auffälliges. Der Bursche war klug, aber leider sehr faul", berichtet der Direktor der Medienmittelschule Augasse in Neunkirchen, Wolfgang Sonnleitner. Mittelschule und Polytechnikum hat er abgeschlossen, Job fand er aber anscheinend keinen.

Polizeipräsenz

Nach der Festnahme von Lorenz K. am Freitag hat die Polizei eine erhöhte Präsenz von Beamten an stark frequentierten Plätzen in Wien angekündigt. Beim Lokalaugenschein des KURIER in mehreren U-Bahnstationen am Samstag war jedoch kein einziger uniformierter Beamter anzutreffen. Die Polizei erklärte auf Nachfrage, dass man sich mit den Wiener Linien abstimme, weil diese eigene Securitys einsetzen. Außerdem sei ein Teil der Polizisten in Zivil und nicht uniformiert unterwegs.

Info-Leck überschattet Erfolg

Die erfolgreiche Observation und Festnahme wird allerdings von einer Kommunikationspanne der Polizei überschattet. Durch ein Leck bei den Behörden landeten Informationen über die Terrorwarnung und den geplanten Zugriff bereits Freitagmittag bei der "Kronen Zeitung". Im Innenministerium war man über die vorzeitige Weitergabe von Informationen alles andere als glücklich.

Die Weitergabe von derart brisanten Informationen könne grundsätzlich ermittlungsgefährdend sein und Menschen in Gefahr bringen, hieß es aus verlässlichen Behördenquellen zur APA. Wo genau das Leck entstand, wird sich aber wohl kaum klären lassen. Der Kreis jener, die über den Terrorverdacht und den mutmaßlichen 18-jährigen Terroristen informiert waren, ist nämlich sehr groß. Rund 6.000 Polizisten sowie die Stadt Wien und - wegen des möglichen Anschlagsziels U-Bahn - auch die Wiener Linien wurden im Vorfeld informiert.

Die Terrorgefahr in Österreich ist in den letzten Tagen und Wochen nicht gestiegen, europaweit sei sie freilich wegen der Schwäche des IS im Nahen Osten seit längerem größer. Die Festnahme des Terrorverdächtigen gestern in Wien zeige, dass die Behörden funktionieren, betonte der Politikwissenschafter Thomas Schmidinger am Samstag. Er mahnte zu besonnener Reaktion auf solche Vorfälle.

Pauschalverdächtigungen und Debatten wie die von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) initiierte über ein Kopftuchverbot wären "nur Wasser auf die Mühlen" radikaler dschihadistischer Organisationen, warnte der an der Uni Wien tätige Experte. Anschläge könne man nicht immer verhindern, "aber wir können verhindern, dass Terrorismus politisch erfolgreich ist". Dieser lebe auch von der Reaktion, die er auslöst - und sei nur dann wirklich erfolgreich, wenn er Angst und Schrecken verbreitet. Zudem würde man mit einer Pauschalverdächtigung aller Muslime den Terror-Organisationen weitere Anhänger in die Arme treiben.

Deshalb müsse man "sehr strikt" unterscheiden zwischen gewaltbereiten Dschihadisten und dem - auch konservativ gelebten - Islam. Wie viele IS- oder Al-Kaida-Anhänger es in Österreich gibt, könne man nicht genau sagen, "einige 1.000" seien es wohl, schätzt Schmidinger. Die Gruppe der Radikalisierten - die in den Nahen Osten gingen (oder gehen wollten), um sich einer Gruppe anzuschließen - sei deutlich kleiner, nämlich "einige Hundert" - und noch einmal viel geringer die Zahl derer, die bereit wären, in Österreich einen Anschlag zu begehen.

Österreich ist nicht stärker bedroht als andere europäische Länder, aber "auch keine Insel der Seligen". "Wir sind grundsätzlich genauso im Fokus wie andere Länder in Europa", konstatierte Schmidinger, das habe auch die gestrige Festnahme eines 18-Jährigen, der offenbar einen Anschlag plante, gezeigt. Mit solchen Vorfällen "werden wir wahrscheinlich in nächster Zeit noch öfter zu tun haben" - aber diese Verhaftung bedeute nicht, dass die Terrorgefahr jetzt größer ist als vor einem Jahr.

In Wien wurde am Freitag durch die Festnahme eines Terrorverdächtigen mit Migrationshintergrund ein möglicher Anschlag verhindert. Terrorakte sind in Österreich eher selten. Folgenschwerste Attentate mit internationalem Hintergrund waren 1975 der "Carlos"-Anschlag auf die Opec mit drei Tote und vielen Verletzten sowie 1985 der Abu-Nidal-Anschlag am Flughafen mit vier Toten und 38 Verletzten.

Eine offizielle Aufstellung des Innenministeriums über Terroranschläge in Österreich gibt es nicht. Die folgende Auflistung basiert auf bis in die 1970er-Jahre reichenden Daten der "Global Terrorism Datebase" der University of Maryland (http://www.start.umd.edu/gtd).

24. Mai 2009: Bei einem Anschlag fundamentalistischer Sikhs auf einen Tempel in Wien-Rudolfsheim wird ein aus Indien angereister Guru getötet, neun weitere Personen werden teils schwer verletzt. Der Haupttäter erhält 2010 lebenslang, vier Mittäter 17 bzw. 18 Jahre Haft.

IS-Verdächtiger mit Häfen-Erfahrung
epa01749921 Sant Niranjan Dass (C), who was wounded in an attack on a Sikh temple in Vienna, is taken onto a plane prior to his departure back to India, Vienna Airport, Austria, 03 June 2009. Sant Niranjan Dass, who belongs to Sikh persuasion 'Shri Guru Ravidas Sabha', was injured in a knife and gun attack involving rival Sikh groups at a temple in Vienna on 24 May. The attack caused violent protests in India. EPA/ROLAND SCHLAGER/POOL

13. Jänner 2009: Umar Israilow, ein nach Österreich geflohener Bodyguard des Tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, wird in Wien-Floridsdorf auf offener Straße erschossen. Der mutmaßliche Todesschütze kann nach Russland fliehen, drei Komplizen erhalten 2012 langjährige Haftstrafen.

11. April 1995: Bei einem misslungenen Anschlag auf einen Starkstrommasten in Ebergassing bei Wien sterben die beiden mutmaßlich linksradikalen Attentäter Gregor Thaler und Peter Konicek.

4. Februar 1995: Eine vom Rechtsradikalen Franz Fuchs gelegte Rohrbombe tötet in Oberwart vier Roma. Josef Simon, Peter Sarközi, Karl Horvath und Erwin Horvath sind damit die Opfer des bisher folgenschwersten innenpolitisch motivierten Attentats in Österreich. Fuchs, Urheber weiterer Rohr- und Briefbomben mit zahlreichen Schwerverletzten, wird 1997 gefasst und begeht 2000 in Haft Selbstmord.

IS-Verdächtiger mit Häfen-Erfahrung
- ZU APA II-TEXT VON HEUTE - Franz Fuchs, der bei der Explosion einer Rohrbombe am 01.10.1997 in Gralla/Steiermark schwer verletzt wurde. (undatiertes Archivbild) APA-Photo: Repro Helge Sommer

13. Juli 1989: Iranische Agenten erschießen in einer Wiener Privatwohnung drei hochrangige kurdische Politiker, darunter den österreichischen Staatsbürger Fadel Rasoul. Die Täter können in der iranischen Botschaft untertauchen und dürfen nach Interventionen aus Teheran unbehelligt ausreisen - einer wird sogar unter Polizeischutz zum Flughafen Schwechat gebracht.

27. Dezember 1985: Bei einem Anschlag der palästinensischen Abu Nidal-Gruppe auf den Schalter der israelischen Fluglinie El Al am Flughafen Wien sterben drei Passagiere und ein Attentäter, 38 Personen werden verletzt. Bei einem zeitgleichen Anschlag in Rom gibt es 16 Tote.

19. November 1984: Der türkische Diplomat Enver Ergun wird am Wiener Schottenring in seinem Auto erschossen. Der Täter kann fliehen. Zum Anschlag bekennen sich armenische Extremisten. Bereits am 20. Juni war ein weiterer türkischer Diplomat Opfer eines Anschlags geworden.

29. August 1981: Ein palästinensisches Terrorkommando überfällt die Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse. Der Pensionist Nathan Fried und die 25-jährige Ulrike Kohut werden getötet, zahlreiche Menschen verletzt. Polizei und der zufällig anwesende Leibwächter des Industriellen Leopold Böhm verhindern ein schlimmeres Blutbad. Die Täter - auch für den Mord an Nittel (siehe unten) verantwortlich - werden festgenommen.

1. Mai 1981: Die palästinensische Abu Nidal-Gruppe ermordet den Wiener Stadtrat und Präsidenten der Österreichisch-israelischen Gesellschaft, Heinz Nittel (SPÖ).

21. Dezember 1975: Ein Kommando unter dem berüchtigten Terroristen "Carlos" überfällt die Opec-Zentrale in Wien. Die Bilanz: drei Tote und zahlreiche Verletzte. Die Terroristen erhalten freies Geleit und dürfen mit mehreren Geiseln nach Algier fliehen. Innenminister Otto Rösch (SPÖ) verabschiedet "Carlos" mit Handschlag. Der Terrorist wird 1994 gefasst und sitzt in Frankreich in Haft.

22. Oktober 1975: Terroristen erschießen in Wien den türkischen Botschafter Danis Tunaligil. Für den Anschlag werden armenische Extremisten verantwortlich gemacht.

Die Polizei bekam Freitagabend viel Dank für die Festnahme eines Terrorverdächtigen in Wien - auch seitens der Spitzenpolitik. Allen voran dankte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) via Facebook für die "exzellente Polizeiarbeit". "Ihr macht Österreich zu einem der sichersten Länder der Welt", würdigte er den Einsatz der Sicherheitsbehörden.

Ähnlich ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner: "Ich danke allen Einsatzkräften, die rund um die Uhr für unsere Sicherheit sorgen und gegen Terror ermitteln", war von ihm auf Facebook zu lesen. Außenminister Sebastian Kurz sagte ebenso "Danke an die Polizei & das Team im Innenministerium für den Einsatz".

Und auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache - der zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Donald Trump in die USA gereist war - bekundete der Polizei auf Facebook ein "Danke für Ihre exzellente Sicherheitsarbeit im Interesse der österreichischen Bevölkerung".

Kommentare