Europol-Chefin will diesen Fehler bei Künstlicher Intelligenz nicht machen
Delegierte aus 195 Staaten haben sich in dieser Woche in Wien anlässlich der 91. Interpol-Generalversammlung getroffen, um aktuelle und künftige Sicherheitsgefahren zu diskutieren.
Der KURIER sprach mit Europol-Chefin Catherine De Bolle, was der Chefin der europäischen Polizeibehörde Sorge bereitet.
Welche kriminelle Entwicklung bereitet Ihnen im Moment die größte Sorge?
De Bolle: Die Welt verändert sich rasant: Es gibt den Krieg in der Ukraine, den Angriff der Hamas auf Israel, den Klimawandel, davor die Coronakrise – sehr viele Krisen auf einmal. Die Polizei muss sich ständig an neue Situationen anpassen, die oft nicht vorhersehbar waren, die aber einen realen Einfluss auf die interne Sicherheit der Europäischen Union haben. Dieses Anpassen an neue Krisen, während Polizisten gleichzeitig ihre täglichen Kernaufgaben erfüllen müssen, ist für viele sicher neu. Die Strafverfolgungsbehörde muss flexibel genug sein, um auf diese Herausforderungen richtig zu reagieren.
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Wie steht es um die Herausforderungen in der digitalen Welt?
Wie ist man Polizei in der digitalen Welt, das ist eine gute Frage. In der physischen Welt hat man als Polizei eine Menge Gesetze, die einerseits die Bürger schützen, aber auch für uns als klare Vorgabe gelten, wie wir unseren Job zu machen haben. In der digitalen Welt gibt es diese Gesetzgebung noch nicht.
Man könnte von einem neuen Zeitalter der Polizeiarbeit sprechen?
All die genannten Krisen und die Digitalisierung haben sicher eine neue Epoche der Polizeiarbeit eingeleitet. Wir müssen unsere Arbeitsweise anpassen und dabei die digitalen Gegebenheiten miteinbeziehen, die aber keine Grenzen und keine sozialen Verträge kennen. Auch wenn es hier auf EU-Ebene Bemühung gibt, reichen diese sicher noch nicht weit genug. Denn am Ende sollten wir alles, was wir in der Offline-Welt tun können, auch in der Online-Welt umsetzen können.
Was meinen Sie damit?
Wenn wir in der realen Welt eine Hausdurchsuchung haben, bei der wir die Wohnungstür eines Verdächtigen nicht öffnen können, dann besorgen wir uns eine richterliche Erlaubnis und öffnen die Tür.
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In der digitalen Welt ist das ganz anders. Kriminelle verschlüsseln etwa gestohlene Daten, wir haben zwar eine richterliche Verfügung um diese „digitale Tür“ zu öffnen, doch jetzt kommt das Problem: Die Unternehmen geben uns den nötigen Schlüssel dafür nicht. Der digitale Raum wird so für Kriminelle zu einem sicheren Hafen. Und für uns, aber auch die Opfer zu einem Glückspiel. Entweder hat das Opfer Glück und wir erhalten Zugang und können ermitteln, oder eben nicht.
Chefin
Catherine De Bolle wurde 2018 vom Rat der Europäischen Union für eine Amtszeit von vier Jahren zur Exekutivdirektorin von Europol ernannt. Im Frühjahr 2022 erhielt die Mutter von drei Söhnen die Zusage für die Verlängerung um weitere vier Jahre. Die 53-Jährige, die drei Sprachen spricht, wurde in Aalst, Belgien, geboren.
Europol
ist eine Polizeibehörde der Europäischen Union mit Sitz in Den Haag. Sie koordiniert die Arbeit der nationalen Polizeibehörden Europas im Bereich der grenzüberschreitenden Organisierten Kriminalität und fördert den Informationsaustausch zwischen den nationalen Polizeibehörden. Das Bundeskriminalamt als nationale Zentralstelle in Österreich arbeitet eng mit Europol zusammen, um die Sicherheit in Europa zu gewährleisten.
Europol will deswegen auch mit neuen Gesetzen Messenger-Anbieter dazu verpflichten, direkt auf den Smartphones ihrer User nach kriminellen Inhalten zu suchen und falls sie fündig werden, die Behörden zu informieren, oder?
Wir wollen einen legalen Zugang. Es geht nicht um belanglose Verbrechen, sondern um schwere, wie Terrorismus, Kindesmissbrauch oder Geschäfte der Mafia.
Haben Sie Verständnis für die Sorgen der Bürger, dass es zur missbräuchlichen Verwendung ihrer Daten kommen könnte?
Ja, aber deshalb gibt es immer eine richterliche Entscheidung im Vorfeld. Und wenn wir Zugang zu den Daten erhalten, dann werden wir auch die nötigen Werkzeuge benötigen, um automatisch jene Daten auszusortieren, die nicht relevant für den Fall sind, um so das Risiko für die Bürger zu minimieren. Dafür werden wir neue Technologien benötigen. Denn eine Milliarde Nachrichten, können niemals von einem Menschen analysiert werden.
Sie denken an Künstliche Intelligenz (KI)?
Ja, aber wir dürfen mit KI nicht denselben Fehler wie einst mit dem Internet machen. Wir haben das Internet seit Jahrzehnten, aber erst jetzt gibt es rechtliche Rahmenbedingungen dafür. KI ist da, wir wissen, dass es Vor- und Nachteile gibt und nun brauchen wir die nötigen, rechtlichen Rahmenbedingungen dafür. Wir müssen in einen Dialog mit der Privatwirtschaft treten, um Teil dieser Entwicklung zu sein, denn wir sind Teil der EU und in dieser EU gibt es Menschenrechte und Datenschutzrichtlinien, denen wir folgen müssen.
Aber es wäre ebenso falsch, die rechtlichen Rahmenbedingungen so eng zu setzen, dass kreative Menschen deswegen die Europäische Union verlassen.
Sie haben zu Beginn unseres Gespräch diverse Krisen genannt. Gerade der Angriff der Hamas auf Israel war für Terroristen in Europa wie ein Trigger, um aktiv zu werden. Wie schätzt Europol diese Entwicklung ein?
Wir beobachten in diesem Zusammenhang vor allem die terroristischen Aktivitäten im Internet. Was wir dabei sehen ist, dass die Hamas seither eine wesentlich höhere internationale Reichweite erzielt und ihren Fokus nicht mehr nur auf Palästina legt. Sie ist zu einer Inspiration für mögliche Terroristen in der ganzen Welt geworden.
Wie reagieren der Islamische Staat und Al-Kaida auf diese Entwicklung?
Beide wollten gerade zu Beginn der Krise nicht in Vergessenheit geraten und wurden deswegen noch aktiver. Fast alle Organisationen bedienen sich dabei desselben Narrativs. Alle wollen wichtig sein, bei allen erfolgt die Propaganda und Radikalisierung online.
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Einzeltäter, sogenannte Einsame Wölfe, die sich im Internet radikalisieren, gelten nach wie vor als eine der größten Gefahren?
Ja, sie haben bereits Anschläge verübt und werden es auch weiterhin tun und wir können kaum etwas dagegen tun. Weil Fake News und die Glorifizierung des Heiligen Krieges weiter über das Internet verbreitet wird. Man darf aber nicht vergessen, dass diese Einzeltäter alle über das Internet Teil eines Netzwerkes in der digitalen Welt sind. Und wir beobachten noch etwas.
Und zwar?
Bereits vor dem Angriff der Hamas ist aufgefallen, dass es eine Strategie gab, gezielt durch Propaganda junge Menschen und solche mit psychischen Problemen anzusprechen.
Was lernt eine europäische Polizeibehörde aus all diesen Krisen für die Zukunft?
Jede Krise ist anders, aber eine Organisation muss in ihren Kapazitäten so aufgestellt sein, dass sie schnell darauf reagieren kann. Weil im Grunde geht es immer darum, zu wissen, was passiert und dann muss festgelegt werden, wie meine Antwort und mein Beitrag aussehen, um aus dieser Krise zu kommen. Und aus der Sicht von Europol bedeutet dies, was müssen wir tun, um die Sicherheit der EU-Bürger zu gewährleisten.
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