Terroristen, Waffenhändler oder Pädophile, sie alle könne man nur in internationaler Zusammenarbeit bekämpfen, erklärt Interpol Executive Director Stephen Kavanagh am Donnerstag rund hundert Wiener Schülern. Dass der Brite ausgerechnet am 7. September in der Bundeshauptstadt auf Arbeitsbesuch beim Bundeskriminalamt war, ist kein Zufall. Genau vor hundert Jahren wurde Interpol in Wien gegründet.
Dem KURIER hat der renommierte Kriminalist Einblick in die Arbeit der internationalen Verbrechensbekämpfer gegeben und dabei geschildert, was ihm Sorgen bereitet.
KURIER: Was macht Interpol?
Stephen Kavanagh: Interpol kann niemanden festnehmen. Wir haben auch keine Schusswaffen und treten keine Türen ein. Doch wir haben eine riesige Datenbank, die wir unseren Mitgliedsstaaten zur Verfügung stellen. Wir helfen bedrohten Nationen zu reagieren, denn heutzutage ist es oft so, dass Gefahren aus anderen Ländern kommen oder kriminell beschafftes Geld ins Ausland wandert.
Wie kann eine Polizeiorganisation ohne Waffen helfen?
Wir unterstützen mit Trainings und Ermittlungstechniken – etwa bei sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet. Bei solchen Delikten sitzen Konsument und Hersteller häufig auf verschiedenen Kontinenten. Es geht darum, dass die Staaten die Komplexität des modernen Verbrechens verstehen. Dabei hilft auch unser Computersystem, das es Ermittlern erlaubt, rasch über Grenzen hinweg zu kommunizieren.
Bereitet Ihnen das „moderne Verbrechen“ Sorgen?
Es gibt da drei große Herausforderungen. Erstens der Cyberbereich. Damit geht eine Gefahr für Unternehmen, kritische Infrastruktur und natürlich Kinder einher. Der zweite Bereich ist das Ausmaß und der Umfang mancher Verbrechen. Ich habe den Missbrauch von Kindern erwähnt, aber das geht oft so weit, dass Babys online schwerst missbraucht werden. Der dritte große Bereich sind Umweltverbrechen. Es geht um die Bedrohung durch illegalen Bergbau, Waldrodungen oder Wasserverschmutzung.
Wie bekommt man diese Probleme in den Griff?
Als Polizisten sind wir es gewohnt, uns mit unmittelbaren Gefahren auseinanderzusetzen. Wenn jemand mit einem Messer auf dich zuläuft, ist das einstürzende Dach über deinem Kopf egal. Die Kunst ist es, nahe und entfernte Gefahren zu bekämpfen. Wir sind heute wahrscheinlich relevanter als je zuvor.
Sie sprechen die Vergangenheit an. Begonnen hat aber alles in Wien?
Unser Headquarter war nach der Gründung 1923 in Wien, 1946 wurde es nach Frankreich verlegt. Aber das Entscheidende sind unsere 195 Büros in den Mitgliedsstaaten. Die Mitarbeiter dort halten uns über Trends und Probleme am Laufenden. Es geht nicht mehr nur um Menschen in Uniformen, sondern auch um jene, die Kriminelle im digitalen Raum verfolgen.
195 Mitgliedsstaaten
So viele Länder sind Teil der Internationalen kriminalpolizeilichen Organisation Interpol. In jedem der Länder befindet sich ein eigenes Ermittlungsbüro.
100 Jahre
Interpol wurde am 7. September 1923 gegründet, somit ist die Organisation am Donnerstag 100 Jahre alt geworden.
1.100 Mitarbeiter
Experten aus 120 Nationen bekämpfen für Interpol das Organisierte Verbrechen. Insgesamt verteilen sich auf die einzelnen Standorte 1.100 Mitarbeiter.
Funktioniert die internationale Zusammenarbeit?
Wir können die Mitglieder nicht zwingen. Bei Mördern, Terroristen oder Pädophilen kooperieren sie häufig. Als Interpol wollen wir die Kommunikation gewährleisten. In einer konfliktreichen Welt wie heute wäre es wohl unmöglich, Interpol zu gründen. Unser Ziel muss sein, die Welt zumindest bei der Strafverfolgung zusammenzuhalten.
Was sind Ihre persönlichen Schwerpunkte bei Interpol? Als Executive Director bin ich für Terror, Cybercrime, Finanzkriminalität und Korruption sowie Organisiertes Verbrechen von Drogen bis Kindesmissbrauch zuständig. Ursprünglich war ich ein Kriminalpolizist bei Scotland Yard.
Interpol ist bekannt für Fahndungen, die „Red Notices“. Derzeit wird der mutmaßliche Wirtschaftskriminelle Jan Marsalek gesucht. Wie läuft das ab?
Zu einzelnen Fällen kann ich mich nicht äußern, aber wenn wir wissen, dass ein Krimineller in einem Land untergetaucht ist, gibt es zwischen den betroffenen Nationen bilaterale Abkommen. Allerdings ist ein „Red Notice“ kein internationaler Haftbefehl, wie das in Filmen oft dargestellt wird, sondern lediglich ein Hinweis, dass Interesse an der Person besteht. Ob dann eine Festnahme erfolgt, liegt im Ermessen des Landes, in dem die Person aufhältig ist.
Welche Rolle spielen neue Technologien für Interpol? Biometrie und künstliche Intelligenz (KI) sind die Zukunft. Bei Ersterem geht es zum Beispiel darum, Terroristen an der Einreise zu hindern. Bei KI wissen wir, dass Verbrecher diese nutzen. Wir müssen bereit sein, wollen aber trotzdem die Privatsphäre schützen. Interpol ist nicht „Big Brother“, doch wir müssen verstehen, dass wir etwa bei Kindesmissbrauch ausreichende Befugnisse brauchen. Nur weil etwas online passiert und wir das Leid nicht direkt wahrnehmen, können wir es nicht ignorieren.
(kurier.at, stro)
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Aktualisiert am 08.09.2023, 13:59
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