Integration in Wien: Nur 8 von 1.000 erhalten Staatsbürgerschaft
Beinahe die Hälfte der Wiener Bevölkerung hat Migrationshintergrund. Das Gros der Zuzügler kommt aus der EU, die größte Zuwanderergruppe sind jedoch nach wie vor Serben. Und: Ein Drittel der Wiener darf nicht wählen. Das sind drei der zentralen Befunde des aktuellen Wiener Integrations- und Diversitätsmonitors, den Bildungs- und Integrationsstadtrat Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) am Dienstag im Rahmen eines Hintergrundgesprächs präsentierte.
Seit dem Jahr 2007 wird durch den Magistrat regelmäßig erhoben, inwiefern sich die Herkunft der Menschen in der Stadt auf ihre Bildung, Chancen am Arbeitsmarkt oder das Zusammenleben in der Stadt auswirkt.
Die jüngsten Daten - Stichtag der meisten Statistiken war der 1.1.2020 - zeichnen das Bild einer sehr diversen Stadt. 31 Prozent sind ausländische Staatsbürger, 37 Prozent sind im Ausland geboren und 41 Prozent sind entweder das eine oder das andere. Zählt man noch diejenigen mit im Ausland geborenen Eltern dazu, kommt man auf 48 Prozent der Bevölkerung mit Migrationsbezug.
Zusammenleben funktioniert
Ungeachtet dessen ist die Mehrheit mit dem Zusammenleben von Wienern mit und ohne Migrationshintergrund zufrieden: 55 Prozent finden, es funktioniert eher oder sehr gut. Je kleinräumiger es wird, desto höher steigt die Zufriedenheit: Im eigenen Wohnbezirk sind 63 Prozent eher oder sehr zufrieden, im Grätzel sogar 68 Prozent.
Den höchsten Anteil an Menschen ausländischer Herkunft weist Rudolfsheim-Fünfhaus auf (54 Prozent), den niedrigsten Hietzing (29 Prozent).
Die zahlenmäßig größte Gruppe mit ausländischer Herkunft sind weiterhin die rund 100.000 Serben, der Großteil der Zuzügler stammt aber - mit Ausnahme des Fluchtjahres 2015 - seit Jahren aus dem EU-Raum. Im Jahr 2019 zogen etwa 33.000 Menschen aus den Bundesländern zu, 32.500 aus EU-Staaten und 21.000 aus Drittstaaten.
Bis zu 40 Prozent ohne Wahlrecht
Mit der Zahl der ausländischen Staatsbürger steigt automatisch auch die Zahl der nicht-Wahlberechtigten. Was hier besonders auffällt: Sind es insgesamt 31 Prozent, die nicht mitbestimmen dürfen, sind es bei den Jahrgängen zwischen 27 und 44 Jahren jeweils über 40 Prozent.
Es handelt sich hier aber bei weitem nicht nur um kürzlich zugewanderte Menschen. 80 Prozent der ausländischen Staatsbürger leben seit mehr als fünf Jahren, 53 Prozent sogar seit mehr als zehn Jahren in Österreich.
In absoluten Zahlen: 486.659 Menschen haben ihren Lebensmittelpunkt in Wien, dürfen aber nicht mitbestimmen. Über 20.000 von ihnen wurden sogar in Österreich geboren, Tendenz stark steigend.
Ein besorgniserregendes Demokratiedefizit ortet Vizebürgermeister Wiederkehr hier, und möchte als Konsequenz Einbürgerungen "forcieren". Die Nachfrage wäre vorhanden: Ein Fünftel der EU-Bürger und die Hälfte der Drittstaatsangehörigen gab an, Österreicher werden zu wollen.
8 von 1.000 eingebürgert
Österreich weist aufgrund restriktiver Voraussetzungen seit Jahren eine der niedrigsten Einbürgerungsquoten der EU auf, wie Studienautor Philipp Hammer von der MA 17 (Integration und Diversität) ausführte. So wurden im Jahr 2019 nur acht von tausend in Wien lebenden Menschen mit ausländischem Pass eingebürgert.
Frohe Kunde konnte Wiederkehr im Bildungsbereich verbreiten. So haben Zuzügler immer höhere Bildungsabschlüsse im Gepäck. Hatte nur ein Fünftel der bis 1984 Zugewanderten eine höhere Ausbildung (ab Matura), sind es bei den seit 2011 Angekommenen 56 Prozent.
Dennoch haben 39 Prozent der aus Drittstaaten Zugewanderten höchstens einen Pflichtschulabschluss. Eine Zahl, die zumindest langsam sinkt: 2010 waren es noch 47 Prozent.
Bildungsniveau gleicht sich an
Bei den Jugendlichen, die ihre Ausbildung in Österreich absolvieren, gleicht sich das Bildungsniveau währenddessen rasch an. Absolvieren 68 Prozent der 15- bis 19-Jährigen ohne Migrationshintergrund eine höhere Bildung, sind es bei denjenigen mit Migrationshintergrund in Drittstaaten auch bereits 58 Prozent.
Bei den Jugendlichen mit EU-Migrationshintergrund sinkt die Zahl jedoch deutlich auf aktuell 61 Prozent, gleichzeitig hat sich die Zahl derer mit höchstens Pflichtschulabschluss in den letzten Jahren beinahe verdoppelt.
Mehr als die Hälfte der Wiener Schülerinnen und Schüler wächst mehrsprachig, also mit einer anderen Erstsprache als Deutsch auf - aktuell sind es 52 Prozent. Für Wiederkehr kann das "große Chance", sie müsse aber genutzt werden. Darum soll die Sprachförderung, wie im rot-pinken Koalitionsabkommen vereinbart, ab dem Kindergarten ausgebaut werden. Zudem will der Neos-Chef auch verstärkt die Eltern mit ins Boot holen, ein entsprechender Förderschwerpunkt soll Anfang des Jahres ausgearbeitet werden.
Bis zu 37 Prozent ohne Job
Die höchste Arbeitslosenrate weisen diejenigen mit niedriger Bildung und Eltern aus dem Ausland auf: 37 Prozent sind hier ohne Beschäftigung. Von denjenigen, die ebenfalls einen niedrigen Bildungsgrad aufweisen, ihren höchsten Abschluss jedoch in einem Drittstaat erworben haben, sind mit 21 Prozent deutlich weniger auf Arbeitssuche.
Die niedrigste Arbeitslosenrate weisen Wiener ohne Migrationshintergrund und höherer Bildung auf: Nur vier Prozent sind hier erwerbslos.
Gleichzeitig verdient auch niemand besser als Männer ohne Migrationshintergrund. Frauen mit Bildung aus Drittstaaten verdienen im Schnitt knapp 1.500 Euro netto weniger pro Monat - nur ein Drittel dieses Unterschieds ist aber auch durch unterschiedliche Bildung oder Vordienstzeiten erklärbar. Auch Frauen ohne Migrationshintergrund werden jedoch deutlich schlechter als ihre männlichen Konterparts bezahlt und auch hier ist der größere Teil des Lohnunterschieds nicht durch Daten erklärbar.
Wenngleich Frauen stärker - oder besser gesagt, doppelt - betroffen sind, verdienen aber auch Männer mit Migrationshintergrund deutlich weniger als diejenigen mit in Österreich geborenen Eltern. Den geringsten Pay Gap gibt es im Vergleich zu Männern mit österreichischer Bildung und Eltern aus EU-Staaten, und selbst sie verdienen im Schnitt um knapp 600 Euro netto weniger - von denen nur etwa die Hälfte erklärbar ist.
Neu-Zuwanderer wohnen am teuersten
Zugleich wohnt niemand teurer und beengter als Wienerinnen und Wiener mit Bildung aus dem Ausland, die seit 2011 zugewandert sind. Sie haben im Schnitt nur 28 Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung und zahlen dafür knapp elf Euro pro Quadratmeter.
Diejenigen ohne Migrationshintergrund leben hingegen im Schnitt auf 43 Quadratmetern pro Kopf und zahlen dafür 7,60 Euro pro Quadratmeter.
In Gemeindewohnungen haben 51 Prozent der Mieter Migrationshintergrund, das entspricht in etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Im Hauseigentum leben hingegen zu 82 Prozent Wiener ohne Migrationshintergrund.
Was die Bediensteten der Stadt Wien angeht, so hat rund jeder bzw. jede Vierte Migrationshintergrund. Wobei der Spitalsbetreiber Gesundheitsverbund (vormals KAV, Anm.) hier mit 34,7 Prozent hervorsticht, während in den restlichen städtischen Einheiten "nur" 17,6 Prozent eine ausländische Herkunft aufweisen, wie der parallel erstellte Diversitätsmonitor zeigt.
Autor Kurt Luger von der MA 35 erklärte dies etwa mit speziellen Initiativen, im Zuge derer in der Vergangenheit etwa ausländische Pflegekräfte für die Spitäler angeworben wurden. Insgesamt wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 117 verschiedenen Ländern geboren - wobei drei Viertel des Personals aus nur einem Land kommt: Österreich.
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