Ikea-Rundgang: Dann sollen sie doch Köttbullar essen!
Die Ikea-Filiale beim Wiener Westbahnhof hat eröffnet – mit Polit-Prominenz, einigen Umweltaktivisten und einem neuen Konzept. Fazit: Gewöhnungsbedürftig
Dieser Text beginnt mit einer Entwarnung. Und mit einer Irritation. Zuerst die Entwarnung: Ja, beim Stadt-Ikea kann man – anders als kolportiert – sowohl Servietten als auch Kerzen kaufen. Jetzt die Irritation: Ein Billy kann man nicht kaufen. Das ikonische Buchregal, das seit 1978 in Wohnungen weltweit Einzug gehalten hat und das man im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Produkten wirklich benötigt, hat die Filiale am Westbahnhof ebenso wenig im Sortiment wie anderes Mobiliar.
Faustregel: Was sich nicht problemlos im blauen Ikea-Sack verstauen lässt, das wird hier auch nicht verkauft. Das ist Teil des verkehrsfreundlichen Konzepts des städtischen Ikea. Die Kunden sollen mit der U-Bahn anreisen oder per Rad. (Dafür hat man ganze 34 Radständer montiert. Zumindest Realisten sind sie, die Ikea-Chefzusammenbauer.)
Über das Verkehrsberuhigungskonzept für das Grätzel wurde im Vorfeld heftig diskutiert, die Debatte mündete am Dienstag in SPÖ-interne, vorerst verbale Handgreiflichkeiten. Am gestrigen Donnerstag taten sich der rote Bürgermeister Michael Ludwig auf der einen und der rote Bezirkschef Gerhard Zatlokal auf der anderen Seite noch fühlbar schwer, den Ärger wegzulächeln. Die Wiener Maskenpflicht hat auch ihr Gutes, dachten sich die beiden sicher.
Bäume und Bänder
Und so traten Stadt- und Bezirksprominenz mit den Konzerngranden gut bemaskt zur Eröffnung an und taten das, was man bei derartigen Anlässen so tut. Sie pflanzten einen Baum (160 weitere gibt es auf dem Gebäude und an der Fassade zu entdecken), beklatschten die Ikea-Mitarbeiter, die vom Obergeschoß aus über die Brüstung gelehnt zusahen, und schnitten ein Band durch.
Das Band war in Ikea-Farben gehalten, die zufällig die schwedischen, in erster Linie aber die niederösterreichischen sind. Was dazu führte, dass Ludwig wirkte, als eröffne er einen Kreisverkehr nahe St. Pölten.
Eine Scharte, die schnell ausgewetzt war. Wer Hausherr ist, war wenige Minuten, nachdem sich die Türen für die Besucher geöffnet hatten, wieder klar. Inmitten einer Abordnung an Ikea-Mitarbeitern winkte und strahlte der Stadtchef. Wer eintrat, wurde beklatscht, bejubelt und gefilmt. Der allererste Gast – ein Mann in gemütlichem Pulli und Jeans – war sichtlich gerührt oder schwer irritiert. Wahrscheinlich war auch er froh über die Maskenpflicht.
Ludwig und der Urwald
Kaufen wolle er selbst heute nichts, erzählte Ludwig den Medienvertretern. „Ich komme mit meiner Frau wieder.“ Eine Affinität zu Ikea ließ er aber durchblicken. Immerhin, sagt er, habe er in seiner Wohnung viele Billy-Regale.
Dass diese vielleicht aus illegal gerodetem Urwaldholz aus Rumänien gefertigt sind – wie Aktivisten vor der Filiale anprangerten –, wollte Ludwig nicht kommentieren. Er freute sich lieber über neu geschaffene Arbeitsplätze und die Belebung des Grätzels. (Gut, dass das der Bezirksvorsteher nicht gehört hat.)
Auf das ungewohnte Konzept der Filiale mussten sich die Besucher erst einschwingen. Ikea hat auf vieles verzichtet, was geübte Kunden kennen. Anlass für erste Meinungsverschiedenheiten bietet der Eingang. Hier fehlen die üblichen Pfeile, die sicherstellen, dass man das Möbelhaus auf der richtigen Route durchschreitet. Ikea setzt auf Eigenverantwortung. Huch.
Auch das standardisierte Zwei-Etagen-Konzept – oben: schauen, unten: in Selbstbedienung einpacken – wurde durchbrochen. Die Filiale hat vier Etagen, die Kunden können überall schauen und einpacken zugleich. (Solange alles in die Tasche passt. Es gibt eh keine Einkaufswagerl.)
Was aber tun, wenn Sie dennoch ein Billy kaufen wollen? Die im City-Ikea bestellten Produkte können Sie entweder bei einer anderen Filiale oder dem Verteilerzentrum am Stadtrand abholen. (Also ganz so, als wären Sie dort einkaufen gegangen.) Oder sie werden Ihnen nach Hause geliefert. (Ganz so, als hätten Sie online geshoppt.) Das mutet Ihnen eigenartig an? Es liegt nicht an Ihnen.
Ein Argument für einen Besuch könnte die Dachterrasse sein. Der Weg dorthin ist etwas für Geduldige (Lift) oder Mutige (Treppe). Ab dem vierten Stock endet die Rolltreppe, ins Dachgeschoß geht es weiter auf Stiegen aus Metall, die wirken, als seien sie selbst aus dem Ikea-Katalog – und vom Praktikanten fünf Minuten vor Eröffnung zusammengedreht worden. Hoffentlich ist keine Schraube übrig geblieben.
Der Aufstieg bleibt unbelohnt. Das Dach verströmt das Flair eines Lastenhafens, den man illegal betritt. Weiß getünchte Frachtencontainer (in einem wird Süßbröd verkauft) stehen wie zufällig hier, dazwischen mannshohe Blumentöpfe. Vielleicht wird es ja besser, wenn die Sonne scheint. Zumindest der Ausblick über den 15. Bezirk ist einladend. (Ein Satz, den selten zuvor jemand formuliert hat.)
Fazit: Liebhaber des echten Ikea-Gefühls holt diese Filiale (noch) nicht ab. Was aber tun mit all dieser Unzufriedenheit? – Sollen Sie doch Köttbullar essen!
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