"Horrorheim" Eggenburg: Ehemalige Zöglinge wollen Frieden finden
Viele der Geschichten sind schön, die Peter Steinbach erzählt. Sie handeln von väterlichen Freunden, von sportlichen Herausforderungen, von glücklichen Jugendtagen. Sie handeln davon, wie er aufgrund seiner Erfahrungen bei der Polizei Karriere machte.
Hin und wieder stockt er aber kurz beim Reden und sein Blick schweift in die Ferne. Nicht die Ferne am Horizont, sondern jene, die im Inneren liegt. In der eigenen Vergangenheit. Mit wenigen Sätzen gewährt er einem manchmal Zutritt zu diesen Gedanken. Meist sind es nur Andeutungen, oft nur winzige Bruchstücke.
Schläge, Gewalt, Angst. Allzu explizit wird Steinbach nie. Muss er aber auch nicht. Seine Reaktion beim Besuch des ehemaligen Erziehungsheims Eggenburg erzählt genug. Er steht im Hof des riesigen Areals, will die Gäste begrüßen, die er zu einem Rundgang eingeladen hat, und dann versagt ihm die Stimme. Steinbach bittet unter Tränen einen seiner Vertrauten, den Anfang zu machen.
Das Heim wurde von den Medien nicht umsonst zum „Horrorheim“ ernannt. Gewalt stand hier auf der Tagesordnung. In den 1960ern, damals, als Steinbach hier Zögling war, galt es unter den Heimkindern als Endstation. Als letzte Stufe vor der Jugendstrafanstalt.
Fehlende Aufarbeitung
Das Erziehungsheim gehörte der Stadt Wien, wie auch die ehemaligen Kinderheime am Wilhelminenberg oder auf der Hohen Warte. Jugendliche aus Wien, entweder als schwer erziehbar eingestuft oder aus schwierigen Familienverhältnissen, wurden zwischen 1945 und 1999 zu Institutionen in ganz Österreich geschickt.
„Der Staat hat sich angemaßt, alles besser zu wissen und hat uns das Einzige genommen, das wir noch hatten. Unsere Freiheit“, sagt Romana Schwab, Obfrau vom „Verein ehemaliger Heim- und Pflegekinder Österreichs“. Auch sie ist Steinbachs Einladung gefolgt. Dieser hat den Besuch organisiert, weil ein Teil des Grundstücks verkauft wurde und demnächst einige Gebäude abgerissen werden.
Dass alles dokumentiert wird und nicht in Vergessenheit gerät, ist ihm ein Anliegen. Mit dabei ist darum auch Marion Wisinger. Die Historikern war die wissenschaftliche Koordinatorin der Untersuchungskommission, die die Misshandlungen am Wilhelminenberg aufgearbeitet hat. Diese sei 2011 aufgrund des öffentlichen Drucks eingesetzt worden.
Für keines der anderen Kinderheime gab es Untersuchungskommissionen. Die Entscheidungsträger hätten wohl befunden, dass die Geschichte der Heime auserzählt ist, so Wisinger, „aber es wäre ein Akt der Anständigkeit, alles aufzuarbeiten“. Bis 2016 leistete die Stadt Wien allerdings Entschädigungszahlungen an jene, die als Kinder und Jugendliche in solchen Heimen misshandelt worden waren, sagt Schwab.
In anderen Bundesländern gäbe es solche Zahlungen immer noch. Seit Jahren setze man sich darum ein, dass sie auch in Wien wieder aufgenommen werden.
Luxus und Neid
Das Areal in Eggenburg ist schon fast herrschaftlich. Die Bauten sind prunkvoll, die Fassaden – mittlerweile in verwaschenem Schönbrunnergelb und ergrautem Weiß – sehen immer noch schön aus, die Sportplätze sind weitläufig. Buntes Herbstlaub von den vielen Bäumen, die die langen Wege säumen, liegt regennass auf dem Boden.
„Paradiesische Verhältnisse auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber pure Gewalt“, sagt einer der Begleiter, auch er war als Jugendlicher in Eggenburg untergebracht. Der Luxus sei nicht bei allen Erziehern gut angekommen, erklärt Steinbach. Sie wären schließlich nicht gut bezahlt worden und hätten einen Groll auf die Jungen gehabt, die vermeintlich besser wohnen durften als ihre eigenen Kinder. Die Zöglinge waren darum stetem Hass ausgesetzt.
Aber nicht alle Erzieher wären damit einverstanden gewesen, wie brutal mit den Jugendlichen umgegangen wurde. Manche hätten sich sogar für sie eingesetzt. Steinbach selbst wurde von einem Pädagogen mehrfach zu Familienessen mitgenommen, damit er ein familiäres Umfeld erleben konnte.
Die unterschiedlichen Auffassungen führten zu Spannungen unter den Aufsehern, zu Druck, Drohungen und mehr. „Viele von ihnen sind am System zerbrochen“, sagt Wisinger. Suizide habe es danach gegeben, viele ehemalige Erzieher hätten sich in Alkohol und Drogen geflüchtet. „Diese Heime haben fast alle Leben zerstört.“
"Endlich abschließen"
Das vergiftete Umfeld schürte auch die Gewalt unter den Jugendlichen selbst. Einmal ermordeten zwei Jugendliche zwei andere nur deswegen, um an deren schöne Kleidung zu kommen (siehe unten).
Später beim Rundgang entschuldigt sich Steinbach dafür, dass er anfangs so emotional geworden ist. Dass er kein hilfloses Opfer sei, das sei ihm wichtig. „Peter, ist schon in Ordnung, mich hat’s auch druckt“, sagt ein Mann. Er war in den 1980ern in Eggenburg. In den Tagen vor dem Besuch sei es ihm „so“ gegangen, sagt er. Dabei zeigt er seine zitternden Hände. Warum er sich dann antue, hierherzukommen? „Damit ich endlich damit abschließen kann.“ Andere hätten sich aufgegeben, ihren Halt verloren oder sich „totgesoffen“. Die richtigen Freunde hätten ihm geholfen und natürlich die richtige Partnerin.
Steinbach hat seine Bestimmung bei der Polizei gefunden – obwohl ihm immer vermittelt worden sei, dass „aus einem wie ihm sowieso nichts werden könne“. So einer, der als angeblich verlorener Jugendlicher von Heim zu Heim gereicht worden ist. Seine Geschichte hat er in zwei Büchern verarbeitet, in „Heimzeiten“ und „Erziehungsheim Eggenburg. Der Akt“. Er ist nicht der Einzige, dem wichtig ist, dass man die Sicht der Zöglinge kennt. Der Mann mit den zitternden Händen habe etwa Akten von früher gelesen. „Dort steht nur, was die Erzieher geschrieben haben, aber nicht, was wirklich passiert ist“.
Was ihm widerfahren ist, hat er bei der Verbrechensopferhilfe „Weißer Ring“ zu Protokoll gegeben. Leicht sei das nicht gewesen. „Mittendrin bin ich einfach gegangen. Ich war beim Wirten ums Eck und hab zwei Stamperl getrunken, damit ich es schaffe weiterzureden.“
Auch für Steinbach ist es beim Lokalaugenschein nicht immer leicht, zu reden. Aber er schafft es. Nicht alle seiner Geschichten sind schön. Seine Stärke ist es aber schon.
Als zwei Jugendliche wegen ihrer Kleidung sterben mussten
Alles ist morsch, verfallen und riecht immer noch nach Vieh. Hier, in den früheren Schweinestallungen des Erziehungsheims Eggenburg, passierte Ende der 1960er-Jahre ein Mord. Johann Veith, ehemaliger leitender Kriminalbeamter in Wien, hat aufgrund der Akten den Fall rekonstruiert und erzählt beim Lokalaugenschein, was damals vorgefallen ist.
„Es war ein kaltblütig geplantes Verbrechen“, sagt Veith. Zwei Zöglinge erschlugen zwei andere, weil sie deren schicke Kleidung haben wollten. Die Jugendlichen des Heims mussten graue Einheitskleidung tragen. Nur wer kurz davor war entlassen zu werden, hatte das Privileg sich anders anzuziehen. Das wurde Zweien zum Verhängnis.
Sie wurden von den zwei anderen zum Stall gelockt und dort mit einer Axt erschlagen. Die Täter hatten das von langer Hand geplant. Sie hatten zuvor inszeniert, dass Sachen im Heim gestohlen wurden – damit man glaubte, dass die erschlagenen Jungen mit der Beute geflüchtet seien, als sie nicht mehr auftauchten. Der Plan ging zunächst auf.
Die Jauchegrube, in die die beiden Toten geworfen wurden, musste aber früher als erwartet entleert werden und so fand man die Leichen, bevor sie – wie geplant – ausreichend zersetzt waren. Die Täter konnten schnell ausfindig gemacht werden und kamen in Gefängnis. Zwei Jungen mussten sterben, weil zwei andere schöne Kleidung für Weihnachten haben wollten und Mädchen beeindrucken wollten.
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