Hebein prüft flächendeckende Tempo-30-Zone innerhalb des Gürtels
Birgit Hebein, Parteichefin und Spitzenkandidatin der Wiener Grünen, wünscht sich von der SPÖ mehr Mut in Sachen Verkehrspolitik. Die Stadträtin selbst lässt derzeit die flächendeckende Einführung von Tempo 30 innerhalb des Gürtels prüfen, wie sie im APA-Interview aufhorchen lässt. Sie warnt zudem vor einem zu rauen Umgangston zwischen Rot und Grün, für ihre Partei erhofft sie sich ein Rekordergebnis.
Diverse Initiativen von Hebein - von Pop-up-Radwegen über temporäre Begegnungszonen bis zum neuen City-Verkehrskonzept - ernteten zuletzt nicht nur scharfe Kritik der Opposition. Auch der rote Koalitionspartner war zuweilen alles andere als begeistert. Ob sie sich hier mehr Mut von der SPÖ wünsche? "Ja natürlich. Weil Papier ist geduldig. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir die Abgase bis 2030 um die Hälfte reduzieren, bis 2050 auf Null. Das heißt halt auch zu handeln."
Sie verstehe schon, dass der Verkehrsbereich emotional diskutiert werde. "Als Politiker oder Politikerin kann es aber nicht darum gehen, irgendwelche schönen Bilder zu produzieren und beliebt zu sein. Wir haben keinen Beliebtheitswettbewerb, sondern es geht darum, Lösungen auf den Tisch zu legen und zu handeln", stellt Hebein klar. Gerade in Sachen Klimaschutz sei der Verkehrsbereich das "Sorgenkind".
Deshalb prüft die Ressortchefin derzeit weitere Maßnahmen zur Verkehrsreduktion in der Stadt. "Es wird überlegt, ob man nicht Tempo 30 innerhalb des Gürtels schaffen kann", sagt sie. Gemeint ist damit eine flächendeckende Einführung des Tempolimits: "Viele Bezirke innerhalb des Gürtels wünschen sich das, haben schon Beschlüsse in den Bezirken gefasst und wir schauen uns das jetzt genau an." Konkret geht es um die Bezirke 4 bis 9, heißt es in Hebeins Büro auf KURIER-Anfrage. Die Umsetzung soll bereits kommenden Winter erfolgen.
Der Großteil der Straßen sei in den betroffenen Bezirken zwar schon Tempo 30, eine flächendeckende Regelung würde aber zu einer deutlichen Vereinfachung führen. Es würde nicht mehr jede einzelne Straße beschildert werden müssen, sondern nur mehr die Einfahrten am Gürtel. Im Gegenzug würde man innerhalb des Gürtels nur mehr die Ausnahmen beschildern müssen, was zu einer deutlichen Verkleinerung des Schilderwalds führen könnte.
Ausnahmen
Laut einem internen Papier, das dem KURIER vorliegt, soll Tempo 30 auf folgenden Straßen nicht gelten: Ring, Zweierlinie, Universitätsstraße, Maria-Theresien-Straße, B221 (Innerer Gürtel und Heiligenstädter Straße), B 227 (Lände, Franz-Josefs-Kai, Uraniastraße), B1 (Lothringerstraße, Karlsplatz, Friedrichstraße, Linke Wienzeile, Rechte Wienzeile, Hamburger Straße), Operngasse. Auch die Straßenbahn soll von der Regelung ausgenommen werden.
Auf Schienenstraßen soll Tempo 40 gelten. Wenn ein eigener Gleiskörper vorhanden ist – wie etwas beim Alten AKH – soll Tempo 50 für die Straßenbahnen möglich sein.
Busse eingebremst Sehr wohl eingebremst würden aber die Busse der Wiener Linien, weshalb dort Hebeins Ankündigung auf wenig Gegenliebe stößt: „Alle wollen, dass die Menschen auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Wenn man aber die Busse verlangsamt, wird das nicht passieren“, sagt eine Sprecherin zum KURIER. Die Verkehrsbetriebe können ihre Bedenken zwar in einer Stellungnahme vorbringen, verhindern können sie eine mögliche Ausweitung der Tempo-30-Zonen jedoch nicht.
Im 7. Bezirk hat man sie schon vor Monaten beschlossen, will aber die Umsetzung zeitgleich mit den Nachbar-Bezirken angehen. Dort versteht man die Bedenken der Wiener Linien nicht. „Bei Testfahrten des 48A zwischen Volkstheater und Gürtel betrug der Zeitverlust nur 30 Sekunden“, sagt ein Sprecher von Bezirksvorsteher Markus Reiter (Grüne). Dort wird die flächendeckende Umsetzung die Kirchen-, Burg-, und Neustiftgasse sowie Kaiser- und Lerchenfelder Straße betreffen. „Es ist ein großer Wunsch der Bevölkerung, dass dort der Verkehr beruhigt wird.“
"Autofreie Innenstadt"
Weniger Autos im Zentrum soll es schon bald durch das umstrittene neue Verkehrskonzept in der Inneren Stadt geben. Der Verordnungsentwurf liegt seit Dienstag vor und sieht ein generelles Einfahrverbot mit 16 Ausnahmen vor. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat zuletzt erneut offen gelassen, ob er der Regelung zustimmt. "Er hat gesagt, er will es sich in Ruhe anschauen. Das ist auch sein gutes Recht. Jetzt müssen wir abwarten, wie er sich entscheidet. Ich halte es für eine Frage der Vernunft, dass man diesen Schritt geht." Hebein strebt nach wie vor die Einführung vor der Wahl am 11. Oktober an.
City-Bezirksvorsteher Markus Figl (ÖVP), mit dem sich Hebein grundsätzlich auf die Regelung geeinigt hat, hat zudem Begleitmaßnahmen wie die Erhöhung des Anrainerparkens auf 30 Prozent in bestimmten Zonen und Ausnahmekontingente für Autofahrten, die Anrainer an Angehörige vergeben können, gefordert. Die 30-Prozent-Quote werde schrittweise kommen, verspricht Hebein nun. Ausnahmekontingente seien in der Form allerdings rechtlich nicht möglich.
Was Rot-Grün anbelangt, ist der Ton zwischen dem Bürgermeister und seiner Vize in letzter Zeit deutlich rauer geworden. Ludwig richtete Hebein erst kürzlich bezüglich des Innenstadt-Konzepts aus, er wünsche sich Projekte, die Hand und Fuß hätten. Beim Thema Citybikes begründete er sein Eingreifen damit, dass Hebein keine Lösung mit den Wiener Linien zustande gebracht habe. Wie geht die Ressortchefin damit um? "Der Bürgermeister und ich führen jetzt unseren ersten Wahlkampf. Dass es da viel Wahlkampfgeplänkel und Kindergartengeplänkel gibt, das erlebe ich jetzt schon." Sie warnt allerdings vor einem zu rauen Umgangston, "damit man nicht alle Fäden, die einen inhaltlich verbinden, zerreißt." In Sachen Citybikes stichelt Hebein dann aber doch Richtung Regierungspartner: "Da inszeniert die SPÖ sich als Retterin einer Situation, die sie eigentlich mitverursacht hat."
Als aktuelles "rot-grünes Vorzeigeprojekt" sieht die Grünen-Chefin die "Gürtelfrische West" - also die temporäre Sperre einer siebenspurigen Gürtelkreuzung zwecks Schaffung einer "grünen Oase" samt Pool. Man sollte überlegen, "ob wir sowas nicht dauerhaft machen und an verschiedenen Orten in Wien". Aus vielen Bezirken gebe es den Wunsch nach ähnlichen Initiativen. Der öffentliche Raum sei in Wien einfach ungerecht verteilt: "65 Prozent haben die Autos und die Straßen."
Apropos Prozentzahlen: Solche will Hebein in Bezug auf das Wahlziel der Grünen nicht nennen. Sie wolle "das beste Ergebnis" schaffen - also eines, das über dem bisherigen Rekordresultat aus 2005 liegt. Damals schafften die Grünen bei der Gemeinderatswahl 14,63 Prozent. Eine Fortsetzung der Regierungsarbeit mit der SPÖ dürfte ebenfalls gewünscht sein. "Die entscheidende Frage wird sein: Geht es in Richtung Rot-Grün, in Richtung Zukunft und Nachhaltigkeit, oder geht es in Richtung Rot-Schwarz, zurück in Richtung einer Betonierer-Partie", so die Vizebürgermeisterin. Seit zehn Jahren gebe es jetzt Rot-Grün und seit zehn Jahren sei Wien die lebenswerteste Stadt der Welt: "Ich halte das für keinen Zufall."
Türkis-Grün
Die Chefin der Hauptstadt-Grünen war auch eine der federführenden Verhandlerinnen für den Koalitionspakt mit der ÖVP im Bund. Ob dort nach einem guten halben Jahr Regierungsarbeit die grüne Handschrift stark genug zu sehen sei? "Die kann nie stark genug sein", meint Hebein. Grundsätzlich könne man aber noch kein wirkliches Urteil fällen - denn: "Es gab harte Verhandlungen und dann kam Corona." Klimaschutzmaßnahmen wie das projektierte 1-2-3-Ticket für Öffis findet sie gut. "Was mich schmerzt: Ich kann menschlich absolut nicht nachvollziehen, warum Bundeskanzler Kurz nicht bereit ist, Kinder und Frauen von den griechischen Inseln zu uns zu holen." Ob ihre Partei bei derlei Themen genug Kante gegenüber der ÖVP zeigt? "Ich werde meinen grünen Kollegen sicher nichts ausrichten."
Update: In einer frühere Version hieß es, dass der 1. Bezirk bei der Tempo-30-Initiative dabei sei. Das Büro Hebein hat diese Behauptung allerdings zurückgezogen.
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