Hacker über Corona-Kampf: "Verdammt hoher Preis des Erfolgs"
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart über die Lehren aus der Pandemie.
KURIER: Zunächst eine Frage an Sie beide: Wie bewerten Sie die aktuelle Coronavirus-Situation?
Peter Hacker: Was die Epidemie als solches betrifft, haben wir uns einen riesengroßen Erfolg in ganz Österreich erarbeitet. Besonders in Wien hätten wir uns das nicht erwartet. Wir sind die Millionenstadt mit der geringsten Zahl an Betroffenen. Der Preis des Erfolges ist aber verdammt hoch. Ich mache mir große Sorgen um die Arbeitslosigkeit. Sie ist jetzt schon dramatisch, dabei ist der Höhepunkt noch nicht erreicht. Mich macht nervös, dass dieses Problem von der Regierung etwas kleingeredet wird.
Johannes Steinhart: Bei der Bekämpfung der Pandemie haben wir in Wien ein Traumergebnis erzielt. Wir haben gemeinsam sehr früh eine gute Strategie gewählt. In Italien hat sich gezeigt: Eine der größten Gefahren ist es, Infizierte dorthin zu bringen, wo schon kranke Menschen sind. Sprich in Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen. Daher haben wir den Ärztefunkdienst herangezogen, um Verdachtsfälle zu Hause zu testen. Wichtig waren aber auch die Schleusen an den Eingängen der Spitäler.
Nicht alle sehe die Lage in Wien traumhaft. Zuletzt äußerte VP-Innenminister Karl Nehammer Sorge über die Infektionszahlen. Können Sie das nachvollziehen?
Steinhart: Wir wissen alle, dass in Wien im Herbst eine Wahl bevorsteht. Ich fand diese Äußerungen fast ein bisschen beleidigend gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, weil sie einfach nicht stimmen: Wenn eine Leiharbeiterfirma jemanden illegal beschäftigt, hätte ich das thematisch woanders verortet.
Herr Hacker, Sie haben den hohen wirtschaftlichen Preis angesprochen. Waren die Maßnahmen der Regierung also zu streng?
Hacker: Wir haben uns zu einem nationalen Schulterschluss entschieden, dazu stehe ich. Im Nachhinein ist es leicht zu sagen, man hätte eine andere Strategie wählen können. Unabhängig davon bleibt die Frage nach dem Auffangsystem für die Wirtschaft. Denn auch das Gesundheitswesen ist durch die Einnahmen der Sozialversicherung direkt davon abhängig. Jetzt schon hat sie Einnahmenverluste von 400 Millionen Euro, mittelfristig wird es um Milliardenbeträge gehen. Will man das Gesundheitssystem auf jetzigem Niveau aufrecht erhalten, braucht es ein Auffangnetz. Hier wäre eine offensivere Sozialversicherung gefordert. Man hat aber den Eindruck, sie war in Quarantäne.
Steinhart: Die Kollegen, speziell in den Facharzt-Ordinationen, sind jetzt schon betroffen. Sie hatten während der ganzen Krise offen. Wir mussten aber den Patienten sagen, dass sie nur in Notfällen kommen. Wir brauchen Ersatzzahlungen, sonst ist das System bedroht. Da mit einer zweiten Pandemie-Welle zu rechnen ist, ist das umso heikler. Wir finden aber weder bei der Politik, noch der Sozialversicherung ein Echo.
Zuletzt war immer wieder die Rede von den Kollateralschäden. Also Nicht-Corona-Patienten, die wegen der Restriktionen mangelhaft versorgt wurden. Hat man über das Ziel hinausgeschossen?
Hacker: Wir haben am Anfang der Krise klar gesagt, dass wir die Leistungen in den Spitälern reduzieren. Wenn jetzt im Nachhinein Experten kritisieren, dass es weniger Leistungen gegeben hat, finde ich das etwas komisch und überflüssig. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Regierung unanständig viel Angst erzeugt hat.
Steinhart: Umso wichtiger ist es, dass die Menschen jetzt wieder zum Arzt kommen. Als Kollateralschäden sehe ich aber eher die wirtschaftlichen Auswirkungen, die schon jetzt die Ordinationen treffen, später auch die Spitäler.
Weniger Einigkeit herrschte zwischen Stadt und Ärzteschaft, als es um die Versorgung mit Schutzmaterial ging. Herr Steinhart, wie hilfreich war es, dass Hacker Ärzte, die sich über Engpässe beklagten, als „hysterisch“ bezeichnete?
Steinhart: Einige Kollegen haben unter dieser Aussage sehr gelitten. Aber ich würde das nicht so hoch bewerten. Das Problem ist: Man hat das Thema Schutzausrüstung seit 15 Jahren nicht mehr mitbedacht. Vermeiden lassen sich Engpässe künftig aber nicht durch möglichst große Lager, vielmehr braucht es Möglichkeiten in Österreich, damit rasch nachproduziert werden kann.
Hacker: Am Anfang hieß es, der Bund kümmert sich um die Beschaffung. Ich habe mich eh nicht darauf verlassen, sondern schon Ende Jänner den Krankenanstaltenverbund beauftragt, selbst einzukaufen. Mit dem Ergebnis, dass wir ein vielfaches davon selbst beschafft haben, was wir vom Bund bekommen haben. Was meine Aussage von damals betrifft: Bei fünf Interviews am Tag fällt schon einmal ein falsches Wort.
Welche Lehren ziehen Sie aus den damaligen Problemen mit der Beschaffung?
Hacker: Wir planen das gerade. Wichtig ist es, eine Einkaufsgemeinschaft zu bilden, wie wir es mit der Ärztekammer gemacht haben. Damit benötigt man keinen Zwischenhändler, sondern kann direkt beim Hersteller bestellen. Damit ist der Preis wesentlich günstiger und die Liefersicherheit höher.
Und wie bereiten sich die Spitäler bei den Bettenkapazitäten auf eine zweite Welle vor?
Hacker: Wir müssen nun österreichreichweit eine Diskussion starten, dass für Pandemien vorgesehene Betten auch in der Spitalsplanung berücksichtigt werden. Man kann sie nicht im Ernstfall aus der Hüfte heraus schaffen, indem man den restlichen Spitalsbetrieb herunterfährt.
Steinhart: Wir müssen weiterhin für den Worst Case planen. Alles andere wäre leichtsinnig.
Wie stehen Sie zu einer Covid-Impfpflicht?
Hacker: Ich bin ein Gegner davon. Aber wir müssen das Service-Level bei den Impfungen verbessern. Ich bin auch sehr dafür, dass Impfen auf Krankenschein möglich ist.
Steinhart: Wir als Kammer sind angesichts der aktuellen dringlichen Lage schon für eine Impfpflicht. Von der moralischen Seite wäre das wünschenswert. Ich verstehe aber schon den Einwand des Stadtrats, dass die Impfung finanziert werden muss.
Peter Hacker
Geboren 1963, war Hacker zunächst für den vom damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) initiierten Bürgerdienst tätig. 1992 bis 2003 war er städtischer Drogenkoordinator, ab 2001 Geschäftsführer des Fonds Soziales Wien. 2015 fungierte er als Wiener Flüchtlingskoordinator. Seit Mai 2018 ist er für die SPÖ Gesundheits- und Sozialstadtrat
Johannes Steinhart
Geboren 1955, durchlief Steinhart die Facharzt-Ausbildung zum Urologen. 1992 bis 2015 war er ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des Wiener Krankenhauses „Göttlicher Heiland“. Steinhart ist zweiter Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, weiters Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte
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