Wo bis vor wenigen Wochen Kunden noch Möbel bestaunten und Pärchen über deren Auswahl stritten, kurven jetzt die Bagger umher: Einer mit einer großen Schaufel fegt heruntergerissene Wandverkleidungen zur Seite, ein anderer mit Greifarm sortiert die Platten.
Das ehemalige Möbelhaus Leiner ist zur Großbaustelle geworden.
Hier, an der Ecke Mariahilfer Straße/Karl-Schweighofer-Gasse, errichtet René Benkos Signa-Gruppe bis Herbst 2024 ein Wiener KaDeWe – also ein Warenhaus nach Vorbild des berühmten Kaufhaus des Westens in Berlin.
20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche wird es haben, dazu kommen ein Hotel mit 150 Zimmern und ein Dachpark. Damit all das gebaut werden kann, muss aber erst das bestehende Gebäude abgerissen werden.
Und das hat zuletzt Staub aufgewirbelt.
Denn das schwere Gerät ist auf sensiblem Terrain unterwegs: In einem Haus, das 1894 erbaut wurde und in einer sogenannten Schutzzone steht. Die Zone soll laut Stadt Wien „charakteristische Ensembles vor Abbruch“ bewahren.
Genaue Begründung nötig
Der Abriss des Leiner-Hauses erscheint vor diesem Hintergrund auf den ersten Blick paradox. Als zuletzt das Geländer des Stiegenhauses im Inneren versteigert wurde, befeuerte das die Debatte zusätzlich.
Bei genauem Hinsehen ist die Sache freilich etwas komplizierter.
Unter einigen wenigen Voraussetzungen dürfen Gebäude in Schutzzonen nämlich sehr wohl abgerissen werden. Eine davon: Das Haus hat keinen „maßgeblichen Einfluss“ auf das „örtliche schützenswerte Stadtbild“.
Und genau das ist bei weiten Teilen des Leiner-Gebäudes der Fall – wie Georg Töpfer, Architekt und Experte für historische Bausubstanz, in einem Gutachten bestätigt hat.
Die Signa musste seine Expertise bei der Behörde vorlegen, um den Abriss genehmigt zu bekommen. Stehen bleiben muss laut Gutachten die Fassade im Bereich der Mariahilfer Straße 12-16.
Der Grund: „Sie entspricht in ihrer heutigen Erscheinung noch dem, was sie ursprünglich war“, sagt Töpfer im Gespräch mit dem KURIER.
Viele Umbauten
Auf die restliche Fassade treffe das nicht zu: Das Haus sei ab 1898 immer wieder umgebaut worden – mit teils massiven Eingriffen in die Gebäudehülle.
Die gravierendsten: 1949 wurden viele Zierglieder entfernt, 1989 wurde an das ursprünglich blockhafte Gebäude eine Garage gebaut, in den 90ern wurden schließlich die Kuppel und der Erker am Eck entfernt.
„Das Haus hat daher nichts mehr mit dem zu tun, was 130 Jahre vorher dort gestanden ist“, sagt Töpfer. Für sein Urteil entscheidend war übrigens nur die Gebäudehülle: Die Schutzzone schützt nämlich lediglich das äußere Erscheinungsbild.
Warenhaus Esders
1895 eröffnet der Unternehmer Stefan Esders in der Mariahilfer Straße 18 im 7. Bezirk das Kaufhaus „Zur großen Fabrik“. Zu Erstehen gibt es vor allem Kleidung aus hauseigener Produktion, Schuhe und Schirme. Das Warenhaus zählt damals zu den größten Kaufhäusern der Stadt.
Möbelhaus Leiner
1964 ersteht die Möbelfirma Leiner das Gebäude und baut es zu ihrem Flaggschiff aus.
Wiener KaDeWe
2017 kauft die Signa-Gruppe das Gebäude. 2019 werden die Pläne für ein Kaufhaus konkret. Im April 2021 startet der Abriss, er soll im Herbst abgeschlossen sein. Dann wird gebaut.
Das Innere kann nur mit einem anderen Instrument geschützt werden: dem Denkmalschutz. Diesen gibt es beim Leiner-Haus aber nicht – mit ein Grund, warum die Stiege abmontiert wurde.
Die vielen Umbauten haben auch innen ihre Spuren hinterlassen: Man stehe vor einem „Flickwerk“, heißt es bei der Signa – weshalb man den Neubau einem weiteren Umbau vorzieht.
Zurück zum Ursprung
Am Neubau wird künftig weit mehr an die Geschichte des Hauses erinnern als das verbleibende Fassadenstück, verspricht Signa-Prime-Vorstand Christoph Stadlhuber.
Die Fassade werde so gestaltet, dass ihre Dimensionen jenen der Gründerzeit gleichen: „Das Gebäude gliedert sich dadurch in das Stadtbild ein.“
Zusätzlich wird der einstige Block-Charakter aufgegriffen. In der Karl-Schweighofer-Gasse wird eine kleine Gasse in Richtung Museumsquartier eingezogen, die das Gebäude teilt: in einen Hotel- und in einen Kaufhaus-Block.
Sie sind über den öffentlich zugänglichen, konsumfreien Park am Dach verbunden. Das bedeutet aber auch: Die Gasse frisst Gebäudevolumen, dass die Signa woanders unterbringen möchte: am Dach.
Signa will höher hinaus
Dadurch wird der Komplex etwas höher als die laut Bebauungsplan erlaubten sechs Etagen – was ebenfalls Aufregung nach sich zog. Auch, weil der Bezirk dafür eine Sondergenehmigung erteilen muss. Das entsprechende Verfahren läuft bereits.
Konkret gehe es um „punktuelle“ Höhen-Überschreitungen von einem halben bis 2,50 Meter, sagt Architekt Cristian Abrihan. Er untersucht, wie sich das Gebäude ins Stadtbild eingliedert.
Vorstand Stadlhuber betont, dass es jedenfalls nicht um eine ganze Zusatz-Etage gehe. Final entscheidet der Bauauschuss des Bezirks.
In Relation zum Gesamtprojekt ist das für die Signa wohl eine kleine Baustelle.
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