Goldmedaillenregen für Wien: Die Krux mit den Rankings
Beste Lebensqualität, bestes Stadtbild – und zuletzt überhaupt die Auszeichnung „grünste Stadt der Welt“. Jahr für Jahr räumt Wien bei diversen internationalen Rankings Spitzenplätze ab, meistens sogar die Goldmedaille.
Unbestritten: Wien ist eine schöne Stadt, 90 Prozent der Bürger leben laut einer aktuellen Studie der Wiener Stadtforschung sehr gerne oder gerne in der österreichischen Bundeshauptstadt.
Ist also alles so wunderbar, wie es in den Rankings heißt? Oder verstellen die Top-Noten die Sicht auf tatsächlich existierende Probleme? Und hat man es sich auf den Lorbeeren vielleicht schon zu gemütlich gemacht?
Immobilienbranche
„Bei Rankings ist immer die Perspektive der Fragenden ausschlaggebend“, sagt Lilli Lička, Leiterin des Instituts für Landschaftsarchitektur an der Uni für Bodenkultur. Die aktuelle Auszeichnung zur „grünsten Stadt der Welt“ stamme etwa von einem Unternehmen aus der Immobilienbranche.
Für das Ranking wurden Kriterien wie Anteil von Parks und öffentlichen Grünflächen in der Stadt, die Nutzung erneuerbarer Energien, Luftgüte, Öffi-Verkehr, fußgängerfreundliche Wege sowie Angebot an Märkten von 100 Städten verglichen. Wien lässt vor München, Berlin und Madrid alle anderen Metropolen hinter sich.
Vorbild bei den Öffis
Mitunter berechtigt. Denn gerade bei den Öffis ist Wien tatsächlich Spitzenreiter. Rund die Hälfte aller Wiener besitzen eine Jahreskarte, wie auch die Studienautoren anmerken. 38 Prozent der Wiener nutzen regelmäßig die Öffis. Zum Vergleich: In München, das auf Platz 2 liegt, sind es nur 24 Prozent.
Doch in Sachen Grünraum ist der Jubel der kanadisch-amerikanischen Consulting-Agentur Resonance nur teilweise angebracht. „Mit 50 Prozent Grünfläche ist Wien bei der Flächenbilanz zwar gut, aber die Flächen sind sehr unterschiedlich verteilt“, sagt Lička. Nur der Stadtrand profitiert vom Wienerwald, der Lobau und dem Lainzer Tiergarten.
Ungleich verteilt
Trotz der beachtlichen Zahl von 990 städtischer Parks: Innerstädtisch beträgt der Grünraum nur zwischen zwei und 15 Prozent, in den westlichen Bezirken bis zu rund 70 Prozent. Doch selbst außerhalb des Gürtels, im dicht verbauten Rudolfsheim-Fünfhaus, liegt der Anteil an Grünfläche nur bei 8,5 Prozent. „Da hinkt die Stadt ihren eigenen Ansprüchen hinterher“, betont die Expertin.
„Solche Rankings arbeiten immer mit Kriterien, die für die ganze Stadt gelten“, meint auch Rudolf Scheuvens, Dekan der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der TU Wien. Um Details gehe es da nicht.
Würde man nämlich genauer hinsehen, dann würde man bemerken, dass der Verkehr in Wien mehr Raum in Anspruch nehme als Spielflächen für Kinder, so Scheuvens.
Rund 65 Prozent aller öffentlichen Flächen in der Stadt würden von Autos in Anspruch genommen. „Es gibt Handlungsbedarf“, ist er überzeugt. „Man müsste in den dicht besiedelten Gebieten mehr tun, also mehr Freiraum schaffen.“
Willkürliche Kriterien
Zudem werden Kriterien willkürlich ausgewählt. „Was überhaupt keine Rolle gespielt hat, sind etwa Straßenbäume“, meint Landschaftsarchitektin Lička. Die seien aber für das Stadtklima und eine echte „Green City“ wesentlich. Hier überholen Städte wie Kopenhagen, München und Rotterdam Wien um Längen.
Auch in Sachen Fußgängerfreundlichkeit und Radverkehr gibt es laut Experten noch Luft nach oben. Letzterer liegt in Wien nur bei 7 Prozent, in Kopenhagen etwa bei 29 Prozent. „Der Radverkehr kommt in dem Ranking aber gar nicht vor.“
Worauf Lička hinauswill: „Die Perspektive ist hier der Immobilienmarkt.“ Tatsächlich: Wer sich in einer Stadt eine Wohnung kaufen will, mag es sauber, grün, mit guter Öffi-Anbindung und Nahversorgung
Dass Wien bei den verschiedensten Rankings gut abschneidet, ist für Scheuvens keine Überraschung: „Die Rankings beachten in der Regel die Lebensqualität.“ Also Grünraum, Wohnqualität, kulturelle Angebote, Öffis, die Verwaltung und das Image. Gerade Letzteres sei sehr gut und werde von der Stadt mittels Stadtmarketing gepflegt.
Dass sich die Stadt nun angesichts der guten Ergebnisse in die Hängematte legt, glauben die Experten nicht. Gerade in Sachen Fußgängerfreundlichkeit, Grünraumschaffung und Klimafreundlichkeit setze die Stadt viele Maßnahmen.
Damit Wien weiterhin in Sachen Lebensqualität abräumt.
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