Drei Jahre nach dem Straßenbau-Stopp: Noch immer geteilte Meinungen
Steigt man bei der U2-Station Hausfeldstraße in Wien aus, steht man vor einer Baustelle. Hier entsteht die Stadtstraße und es sieht so aus, „wie es aussieht, wenn nicht die Grünen am Ruder sind“, wie Klimaschutzministerin Leonore Gewessler beim Lokalaugenschein mit dem KURIER sagt.
Man stehe hier quasi auf historischem Boden, ergänzt Judith Pühringer, Chefin der Wiener Grünen. Hier war bis zur Räumung im Februar 2022 das Protestcamp von Klimaaktivisten angesiedelt, das in ganz Österreich Schlagzeilen gemacht hat. Der Bau der Stadtstraße und des S1-Lückenschlusses samt Lobautunnel sollte verhindert werden.
Nicht alles davon gelang. Die Stadtstraße wurde vor vielen Jahren, und somit vor Gewessler, beschlossen. Die Spange Seestadt und die Lobauautobahn waren zwar ebenfalls schon paktiert, wurden von Gewessler aber gestoppt – wie auch viele andere Projekte, etwa die Marchfeldstraße S8. Sehr zum Ärger der SPÖ, ÖVP und FPÖ.
Viel Gegenwind
Es sei eine Entscheidung mit sehr viel Gegenwind gewesen, aber „im entscheidenden Moment darf man nicht sagen, ’ich trau mich nicht’“, so Gewessler. Eine Entscheidung, die man bei der Wiener SPÖ bis heute nicht nachvollziehen kann. „Der Lobautunnel steht im Bundesstraßengesetz. Es ist eine Schande, dass er nicht umgesetzt ist“, sagte Bürgermeister Michael Ludwig erst kürzlich im Interview mit Wien heute.
Dass man „hier keine Autobahn braucht“, wie Gewessler sagt, beurteilt man bei den Stadt-Roten also grundlegend anders, wie sich auch beim Spaziergang mit Wiens SPÖ-Verkehrsstadträtin Ulli Sima zeigt. Dieser beginnt in der Seestadt Aspern beim Wangari-Maathai–Platz. Namensgeberin Maathai erhielt als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis für ihr Umweltengagement. Sima habe hier mehr Begrünung durchgesetzt, weil es ein „Witz“ gewesen wäre, wenn ausgerechnet dieser Platz eine Betonwüste gewesen wäre.
Nur Teile sind fertig
Auf die Seestadt ist man in der Wiener SPÖ sehr stolz – aufgrund der hohen Zufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner und es sei ein Musterbeispiel der sozialen Stadtentwicklung, regelmäßig empfange man internationale Delegationen.
Hier schaut es aus wie in der Wüste Gobi mit einem Bim-Anschluss.
Das betrifft zumindest die Teile, die fertig sind. Denn geht man ein paar Minuten weiter, sieht man nur noch graue Leere. „Hier schaut es aus wie in der Wüste Gobi mit einem Bim-Anschluss“, sagt Sima. Viele Bauprojekte können nicht umgesetzt werden, weil sie laut UVP-Bescheid (Umweltverträglichkeitsprüfung, Anm.) nur gebaut werden dürfen, wenn die geplante Autobahn kommt.
Warten auf Wohnraum
„Es ist ein Hohn, was hier passiert ist“, ärgert sich Sima. „Mit einem Fingerschnippen könnte man hier 8.000 Soziale Wohnungen realisieren, die wir dringend brauchen.“
Das sei jetzt nicht mehr möglich, zudem mache niemand bei einem Wettbewerb mit, wenn das einzureichende Projekt keine Aussicht auf Realisierung habe und das, obwohl man nirgends „hochwertigere Baugründe findet als hier“.
Bei den Grünen will man das nicht so stehenlassen. Gewessler erzählt etwa, dass ein großer Projektentwickler um eine Abänderung des UVP-Bescheids ansuchen wird, weil auch viele Bauträger nicht auf eine Autobahn ausgerichtet bauen wollen. „Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gegeneinander auszuspielen, ist unfair“, findet zudem Wien-Chefin Pühringer. Etwas, das wiederum Sima verärgert. „In Wien haben wir den geringsten Flächenverbrauch Österreichs, obwohl wir den größten Zuzug haben.“ Laut Umweltbundesamt beträgt die versiegelte Fläche pro Kopf in Wien weniger als ein Fünftel im Vergleich zum Schnitt der anderen Bundesländer.
Alternativen noch heuer
Dass es eine Verkehrslösung brauche, räumt Gewessler ein, aber „es gibt bessere Alternativen“. Und diese werden gesucht. Es laufe derzeit die strategische Prüfung, Ende des Jahres sollen die Ergebnisse präsentiert werden.
Was man aber jetzt schon sagen könne: „Die Verkehrsprognosen entwickeln sich nicht so wie angenommen, der Verkehr wächst weniger stark.“ Sie will darum einen Mix aus öffentlichem Verkehr und niederrangigen Straßen – „was für den Wohnbau erforderlich ist“. Die Asfinag bemüht sich im Hintergrund übrigens weiter um Genehmigungen für die Straßenbauprojekte, Klimaschützer und Anrainer gehen weiter gerichtlich dagegen vor. Man will gerüstet sein, falls die von Gewessler verordnete Ruhe in der nächsten Legislaturperiode aufgehoben wird. Etwas, worauf Sima hofft, denn: „Es ist öd, in einer halb fertigen Stadt leben zu müssen.“
Dass sich Gewessler wieder ums Ministerinnen-Amt bewirbt, liege aber an weit mehr als nur am Lobautunnel: „Diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung. Es geht darum, zu verhindern, dass eine in allen Fragen rückwärtsgewandte FPÖ in der Regierung sitzt“.
Bei der Frage, ob das dafür notwendige Miteinander mit der SPÖ am Straßenbau scheitern könnte, spielt Gewessler auf die Wiener SPÖ-Spitzenkandidatin an: „Doris Bures hat in ihrer Zeit als Verkehrsministerin die erste Evaluierung von bereits beschlossenen Straßenbauprojekten in Auftrag gegeben. Ich bin mir sicher, dass das einer Zusammenarbeit nicht im Weg steht.“
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