Gewalt in der Ehe: Zwei Frauen erzählen, wie sie einen Neustart schafften

Domestic violence - Abuse
Sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen ist schwierig – umso mehr, wenn man die Sprache nicht lernen durfte und kein soziales Netz hat. Zwei Frauen aus Syrien und dem Irak erzählen, wie sie es geschafft haben.

Sie durfte die Wohnung nicht verlassen, wurde geschlagen, bekam kein Geld. Nicht einmal für das Essen der gemeinsamen Kinder. Dann eskalierte die Situation: Der Ehemann drohte, sie umzubringen und mit den Kindern zurück in den Irak zu gehen. „Das war zu viel. Ich habe behauptet, dass ich einen Termin beim Kinderarzt habe, und bin mit den Mädchen aus dem Haus“, erzählt Nour. Stattdessen ging die 34-Jährige ins Frauenzentrum des Integrationsfonds (ÖIF). Weinend und zitternd vor Angst bat sie um Hilfe.

Ähnliches erlebte Ward, die vor zehn Jahren aus Syrien nach Wien kam: Ihr Mann heiratete eine zweite Frau, demütigte und schlug Ward. Bis die Gewalt derart ausartete, dass sie die Polizei rief und in ein Frauenhaus flüchtete. Auch die 32-jährige Ward schaffte es mit ihren Beraterinnen des ÖIF, sich ein neues Leben aufzubauen.

Der Integrationsfonds ist eine der ersten Anlaufstellen für alle jene, die in Österreich einen positiven Asylbescheid bekommen (s. u.): Hier gibt es die verpflichtenden Werte- und Orientierungskurse. Weniger bekannt ist, dass der ÖIF in Wien-Landstraße auch ein Frauenzentrum betreibt: Hier erhalten Frauen Beratung zu Themen wie Ehe, Erziehung, Gewalt, Obsorge und Gesundheit – in Workshops oder Einzelgesprächen.

Dieses Angebot ist freiwillig. „Aber der Vorteil ist: Da es ja auch verpflichtende Angebote des ÖIF gibt, trauen sich die Männer meist nicht, ihren Frauen zu verbieten, herzukommen, wenn sie sagen, sie haben einen Termin bei uns“, erklärt Sonia Koul, die Leiterin des ÖIF-Frauenzentrums.

Oft sei Gewalt Thema in den Beratungen, beschreibt Juristin Anja Gierlinger. „Viele Frauen werden zudem unter Druck gesetzt und haben Angst, bei einer Scheidung die Kinder zu verlieren.“ Hier sei es wichtig, die Frauen über ihre Rechte aufzuklären und während des schwierigen Prozesses zu begleiten.

Zwei Frauen erzählen, wie sie die Gewalt erlebten

So war es auch bei Nour und Ward – um ihre Identität zu schützen, wurden die Namen geändert. Nour, die aus dem Irak stammt, trägt ein rosafarbenes, geblümtes Sommerkleid, ihr gelocktes Haar ist zu mehreren Zöpfen zusammengebunden. Ward aus Syrien trägt ein beige-schwarzes Kopftuch und roten Nagellack. Es sind zwei Frauen, deren Erlebnisse exemplarisch für die so vieler Frauen stehen, die Gewalt in der Beziehung erleben.

Nicht nur körperlich, auch in Form von Kontrolle: Was sie tun, was sie anziehen, mit wem sie Kontakt haben.

Ihr Mann war krankhaft eifersüchtig

Nach außen, erzählt Nour, gab sich ihr Mann herzlich und modern. „Aber Zuhause war er total anders.“ Er kontrollierte ihr Handy, war krankhaft eifersüchtig. „Sogar wenn ich im Deutschkurs war, hat er an der Tür gelauscht, ob ich dort mit einem Mann rede. Das war belastend und auch peinlich.“ Ihr Mann war zwar nicht religiös, aber kurze Ärmel oder Stöckelschuhe waren tabu.

Ähnlich erging es Ward. Das Bittere: „Ich war sehr in meinen Mann verliebt und habe ihn gegen den Willen meiner Familie geheiratet.“ Doch er entpuppte sich als Tyrann. „Vor meiner Ehe war ich sehr offen, habe Handel und Wirtschaft studiert und kein Kopftuch getragen.“ In Wien durfte sie weder Deutsch lernen noch arbeiten.

Auch Nour ist Akademikerin, hat Physik studiert. Behandelt wurden beide aber „wie Dienerinnen, nur für die Hausarbeit und die Kinder zuständig“. Freundschaften mit Außenstehenden waren nicht möglich.

Der Mann heiratete eine zweite Frau

Beide Männer hingegen gingen fremd. „Mein Mann hat sogar eine zweite Frau geheiratet“, erzählt Ward. Während sie eingesperrt war, machte er mit der Zweitfrau Ausflüge und stelle Videos davon auf Tiktok. Die Schläge, die ständige Demütigung: „Wie lange soll ich so leben? Diese Frage habe ich mir oft gestellt“, sagt Ward.

Doch die Loslösung aus einer Gewaltbeziehung ist schwierig – umso mehr, wenn man die Sprache nicht beherrscht und kein soziales Netz hat. 

Wie ein Neustart gelingen kann

„Man hofft, dass sich der Mann bessert. Und sagt sich, die Kinder brauchen einen Vater“, erzählt Ward. Doch wie soll ein Neustart ohne Konto, ohne Dokumente gelingen? Hier setzen die Beraterinnen des ÖIF an: Es gibt unter anderem rechtliche Aufklärung, psychologische und sozialarbeiterische Hilfe.

Ward und Nour wagten den Schritt in ein neues Leben – und sind merkbar stolz darauf. Mehrere Monate lebten sie mit ihren Kindern im Frauenhaus, mittlerweile haben sie eigene Wohnungen. „Alle Frauen sollten diese Hilfe erhalten“, betonen sie. Was sie nun planen? Die Sprache lernen, arbeiten, auf eigenen Beinen stehen. Und sie fügen hinzu: „Es sollte noch mehr verpflichtende Kurse für Männer aus unserem Kulturkreis geben, in denen sie Respekt vor Frauen und Kindern lernen.“

Hintergrund: Integrationsfonds ist Anlaufstelle für alle Asylberechtigten 

Jeder, der in Österreich Asylberechtigter ist, muss den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) aufsuchen: Hier werden etwa die verpflichtenden Werte- und Orientierungskurse sowie Deutschkurse angeboten. Im Zuge dieser Kurse möchte man gezielt Frauen ansprechen und auf die zusätzlichen Angebote des Frauenzentrums aufmerksam machen; es liegen etwa mehrsprachige Flyer dazu auf. „Viele kommen auch über die Mundpropaganda in den Communities zu uns“, erklärt Sonia Koul, Leiterin des ÖIF-Frauenzentrums. 

Angeboten werden Seminare sowie Einzelberatungen zu  Themen wie Familienrecht, Trennung, Obsorge, Unterhalt und Gewaltschutz. Viele Frauen besuchen zuerst ein Seminar und vereinbaren danach  einen Termin für eine Einzelberatung. „Es geht schließlich auch um schambehaftete Themen wie Gewalt  oder Genitalverstümmelung“, beschreibt Koul. 

Die Beratungen sind in der Muttersprache möglich, Dolmetscherinnen begleiten die Seminare und Einzelgespräche. Viele Frauen, die Hilfe suchen, kommen etwa aus Syrien, Afghanistan, Somalia, der Ukraine oder der Türkei.

"90 Prozent der Frauen haben Gewalt erlebt"

„Viele der Fälle sind sehr komplex. Wir gehen auf jede Frau individuell ein und unterstützen, in ein selbstbestimmtes Leben zu finden“, erklärt Juristin Anja Gierlinger. Häufig gehe es um Scheidungs- oder Obsorgefragen. „Und leider haben rund 90 Prozent der Frauen, die zu uns kommen, Gewalt erlebt“, fügt Gierlinger hinzu.

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Die Expertinnen Anja Gierlinger (li.) und Sonia Koul (re.) setzen sich im ÖIF für alle Frauen ein, die Hilfe suchen. 

Immer wieder gibt es aber auch Erfolgserlebnisse. „Wir hatten etwa den Fall einer Frau, die zu uns kam und sagte, sie habe 17 Jahre lang über die Gewalt in ihrer Ehe geschwiegen. Nun möchte sie endlich reden. Und nach ein paar Wochen hat sie entschieden, sich scheiden zu lassen.“ 

Was Koul und Gierlinger betonen: Frauen käme bei der Integration eine Schlüsselrolle zu: „Sie sind Vorbilder, erziehen die Kinder und sind Respektspersonen für Jüngere.“  

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