Denkmalgeschützte Bauten in Wien: Eine Stadt unter dem Glassturz
„Taubendreck pickt gut zehn Zentimeter dick an verwitterten Steinböden. Die Türangeln sind so windschief, daß sie schon fast in der Waagrechten liegen. Die Fensterscheiben wären blind, gäbe es überhaupt noch welche. Nicht nur ein, zwei Häuser sind so desolat.“
Was am 2. Oktober 1975 im KURIER unter dem Titel „Ist der Spittelberg noch zu retten?“ zu lesen war, klingt wenig einladend. Angesichts solcher Beschreibungen verwundert es kaum, dass die Barock- und Biedermeier-Gebäude in den engen Gassen fast abgerissen worden wären. Doch so weit kam es nicht: Denn die Bevölkerung hatte heftig protestiert.
Die Auseinandersetzung um die geschichtsträchtigen Häuser am Spittelberg war nicht nur der Grundstein für eines der aktuell angesagtesten Wohn- und Szeneviertel Wiens. Sondern auch für einen bis dahin nicht da gewesenen Zugang zum Stellenwert historischer Bauten in der Stadt. Um den bis heute leidenschaftlich gestritten wird.
Die jüngsten Beispiele: Das Zentrum des Heurigenorts Grinzing, wo auf einen Schlag 80 Häuser unter Denkmalschutz gestellt wurden – gegen den Widerstand so mancher Eigentümer. Oder die für sieben Jahre aufzuglose U4-Station Pilgramgasse, wo Barrierefreiheit und Denkmalschutz aufeinanderprallen. Und nicht zuletzt das Hotel-Projekt von Immo-Investor Michael Tojner am Heumarkt – ein Daueraufreger.
Diese Fälle haben mehreres gemeinsam.
Erstens: die Protagonisten. Bürgerinitiativen, NGOs und Behörden, die das historische Stadtbild gewahrt wissen wollen, auf der einen Seite. Immobilienentwickler, Architekten und Bauherren, die Wien ihren Stempel aufdrücken wollen, auf der anderen.
Zweitens: einige wenige Kernfragen. Wie schützenswert ist das bauliche Erbe? Hemmt seine Behütung moderne Stadtentwicklung? Läuft man gar Gefahr, mit zu vielen Regularien einer dynamischen Metropole eine Glasglocke überstülpen zu wollen?
Um sich den Antworten darauf zu nähern, muss man die Vorschriften kennen. Und davon gibt es – so viel sei vorweg verraten – nicht wenige.
Die strengste davon: der Denkmalschutz. Er ist Bundessache, zuständig ist das Bundesdenkmalamt (BDA). Es kann Bauobjekte – zum Beispiel Häuser, Brücken oder Statuen – unter Schutz stellen, wenn sie von „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“ sind und wenn ihre Erhaltung „dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist“, wie es im Gesetzestext heißt.
2 Welterbestätten gibt es aktuell in Wien: die historische Innenstadt und das Schloss Schönbrunn samt Park. In ganz Österreich sind es zehn.
3.800 Bauobjekte sind in Wien denkmalgeschützt. Der Großteil davon sind Gebäude, der Rest zum Beispiel Brücken, Brunnen oder Büsten. Insgesamt hat Österreich ca. 38.000 denkmalgeschützte Bauobjekte.
15.382 Gebäude stehen in Wien in 141 Schutzzonen. Das entspricht ca. 9 Prozent der Häuser in Wien. Das äußere Erscheinungsbild eines Gebäudes muss in solchen Zonen erhalten bleiben.
27.000 Gründerzeithäuser gibt es aktuell in Wien. Ca. ein Drittel davon befindet sich in Schutzzonen.
Ein bestimmtes Alter müssen die Objekte nicht überschritten haben. „Mit dieser Regelung sind wir sehr flexibel – sie ist aus unserer Sicht sehr positiv“, sagt Wolfgang Salcher, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wien im BDA im Gespräch mit dem KURIER. Andere Staaten sind strenger: In Japan zum Beispiel können Bauobjekte nur dann geschützt werden, die mindestens 50 Jahre auf dem Buckel haben.
Internationaler Vorkämpfer
Nicht nur deswegen sei Österreich in Sachen Denkmalschutz weltweit Vorreiter, sagt Salcher. Die Idee, historische Bausubstanz zu schützen, entstand nämlich schon in der Monarchie: Im Jahr 1850 ließ Kaiser Franz Joseph I. zu diesem Zweck eine „Central-Commission“ einrichten – vielen anderen Ländern war man damit voraus. Das Denkmalschutzgesetz kam dann 1923.
Aktuell stehen in Wien 3.800 Bauobjekte unter Denkmalschutz. Darunter sind bekannte Sehenswürdigkeiten, der Großteil sind aber ganz normale Häuser. Manchmal wird das BDA durch Tipps aus der Bevölkerung auf die Denkmäler aufmerksam. Den Großteil spüren die Mitarbeiter aber selbst auf: Im großen Stil durchforsteten sie ganz Österreich zuletzt in den 2000er-Jahren. 2019 kamen in Wien sieben neue Objekte dazu.
Entdeckt das BDA ein Denkmal, kann es entweder Teile davon oder das ganze Objekt unter Schutz stellen. Ein großer Einschnitt für den Eigentümer: Er darf ein Denkmal nur verändern, wenn es das BDA erlaubt. Sogar wer in einem denkmalgeschützten Haus nur sein Bad sanieren möchte, muss zuerst das BDA fragen.
Historisches Ensemble
Aber auch für Häuser, die nicht denkmalgeschützt sind, gibt es in Wien ähnliche Einschränkungen. Nämlich für jene 15.832, die sich in einer sogenannten Schutzzone befinden. Das sind Gebiete mit charakteristischen, historischen Ensembles – aktuell gibt es davon 141. Festgelegt werden die Zonen von der Stadt über den Flächenwidmungsplan.
Ihr Schutz ist ein bisschen lockerer als der Denkmalschutz: Nur das äußere Erscheinungsbild des Hauses ist geschützt, nicht aber die Innenräume. Das heißt: Sollte das Haus zum Beispiel neu gestrichen werden, muss die zuständige MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) die Farbe genehmigen.
Auf Gründerzeithäuser – also Gebäude, die vor 1945 erbaut wurden – hat der Magistrat neuerdings auch dann ein Auge, wenn sie außerhalb einer Schutzzone liegen. Seit Mitte 2018 dürfen solche Häuser nur abgerissen werden, wenn sie die MA 19 nicht für erhaltungswürdig hält.
Damoklesschwert Welterbe
Über all dem steht die Welterbekonvention der UNESCO – das wohl prestigeträchtigste Schutzinstrument. Österreich trat ihr 1972 per Staatsvertrag bei. Und ist damit verpflichtet, den „außergewöhnlichen, universellen Wert“ seiner Welterbestätten zu schützen. In Wien sind das die Innenstadt und das Schloss Schönbrunn.
Eigene Instrumente zum Schutz der Welterbestätten gibt es nicht. Die Stadt behilft sich mit dem Denkmalschutz und dem Flächenwidmungsplan – zumindest theoretisch. Weil der Gemeinderat 2017 den Heumarkt unweit des 1. Bezirks als Hochhaus-Standort widmete, wackelt der universelle Wert der Innenstadt – und damit das Welterbeprädikat.
Alles in allem ist das historische Stadtbild also ziemlich umfangreich geschützt. Aber wozu der Aufwand? Warum sind – überspitzt gesagt – ein paar alte Ziegel so wichtig? Dafür gibt es mehrere Begründungen: ideelle, wirtschaftliche und solche, die die Umwelt betreffen.
Das Denkmalamt formuliert es auf seiner Website zum Beispiel so: Alte Bausubstanz trage „wesentlich zu unserer Lebensqualität bei“ und sei „Teil unserer Geschichte und unserer Identität. Fast philosophisch argumentiert Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz: „Ein Mensch ohne Gedächtnis hat keine Zukunft.“ Das gelte auch für eine Stadt. „Historische Bauten sind unsere kollektive Erinnerung.“
Was solche Erklärungen gemeinsam haben: Das „Alte“ hat an sich einen Wert.
„Die schicksten Lokale finden Sie in der Innenstadt. Das ist das Gegenteil von Freilichtmuseum.“
„Das kann man natürlich auch anders sehen“, sagt Markus Tomaselli, Leiter des Instituts für Städtebau an der Technischen Universität Wien. „Man könnte sich bewusst dafür entscheiden, alles abzureißen, und Neubauten hinzustellen.“ Mit der Konsequenz, dass ein Alleinstellungsmerkmal verloren geht. Ein solches, so der Wissenschafter, sei aber für den Tourismus – und damit für die Wirtschaft – bedeutsam. „Die Gründerzeit-Viertel prägen das Bild von Wien international stark mit“, sagt Tomaselli. Deshalb müsse man sie schützen.
Hinzu kommen die praktischen Grundrisse der Gründerzeithäuser. „Historische Häuser sind nutzungsneutral. Sie eignen sich für Betriebe, Büros oder zum Wohnen“, erklärt der Architekt. „Moderne Gebäude sind maßgeschneidert und können nur unter großem Ressourcenverbrauch angepasst werden.“ Soll heißen: Der Erhalt alter Bausubstanz schont Umwelt und Klima.
Platz für moderne Architektur
Die Gefahr, dass Wien angesichts der vielen Schutzvorschriften zum Freilichtmuseum wird, sieht Tomaselli nicht. „Es geht darum, was in den historischen Gebäuden passiert. Die schicksten Lokale finden Sie in der Innenstadt. Das ist das Gegenteil von Museum.“
Der Schutz des historischen Stadtbilds schließe Weiterentwicklung und moderne Architektur nicht aus, sagen er, Landerer und Salcher unisono. Beweise fänden sich in der Wiener Innenstadt genug: zum Beispiel das futuristische Haas-Haus am Stephansplatz. Oder das Boutique-Hotel Topazz & Lamée mit seinen ovalen Fenstern an der Ecke Lichtensteg/Rotenturmstraße. Und die reduziert gehaltene Peek- und Cloppenburg-Filiale in der Kärntner Straße.
Ganze Viertel, die sich aus solchen modernen Gebäuden zusammensetzen, gibt es in Wien übrigens auch. Zum Beispiel die Donauplatte, die Gegend um den Hauptbahnhof oder die Seestadt Aspern. Dynamik hat in der Wiener Stadtlandschaft also durchaus ihren Platz – in großem Stil vor allem an den Rändern, in suburbanen Bereichen und Stadtentwicklungsgebieten.
Informeller Kontakt wichtig
Eigentümer von Liegenschaften, die nicht an den Stadtrand wollen, ächzen unter den Schutzvorschriften. „Eine Zeit lang hatten wir viele Beschwerden von Hausbesitzern, deren Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurden“, sagt Martin Prunbauer, Präsident des Haus- und Grundbesitzerbunds in Österreich. „Das hat sich aber verbessert.“ Grundsätzlich sollte die Behörde nicht übertreiben, findet er. „Oft würden Schutzzonen genügen – es muss nicht alles unter Denkmalschutz stehen.“ Sich zu wehren, sei aber schwierig. „Das Denkmalamt ist sehr mächtig.“
Denkmalgeschützt sind bekannte Sehenswürdigkeiten wie der Stephansdom, die Karlskirche oder der Donauturm. Der Großteil der geschützten Objekte sind normale Wohnhäuser – darunter auch Gemeindebauten wie der Karl-Marx-Hof in Döbling. Im Vorjahr kamen sieben Objekte neu dazu: der Grinzinger Ortskern, die Börse für landwirtschaftliche Produkte in der Taborstraße, ein Teil der Höhenstraße, das einstige Frauenheim in der Bischoffgasse, das Haus zur Freundschaft Christi in der Strozzigasse, das Gewerbehaus am Rudolf-Sallinger-Platz und die ehemalige Synagoge samt Talmudschule in der Malzgasse.
Etwas leichter als Besitzer einzelner Zinshäuser tun sich naturgemäß große Immobilienentwickler. „Die Kunst besteht darin, ein möglichst enges Verhältnis zum Denkmalamt zu pflegen“, sagt Ernst Eichinger, Sprecher der Signa-Gruppe. „Großen Institutionen wie uns fällt das natürlich leichter. Das Denkmalamt und wir kennen einander.“
Das Immo-Unternehmen von René Benko baut nächstes Jahr die Leiner-Zentrale im 7. Bezirk in ein Warenhaus um – nach Vorbild des Berliner KaDeWe. Das Gebäude wird gänzlich neu errichtet – bis auf eine Ausnahme: Die historische Fassade muss erhalten bleiben – Stichwort Schutzzone. „Bei solchen Projekten im Vorfeld auf informellem Weg viel abklären zu können, ist ganz, ganz wichtig“, sagt Eichinger.
Schutzvorschriften können also eine Bürde sein. Manchmal sind sie aber auch willkommen. Und zwar als Ausrede. „Es kann schon vorkommen, dass eine Hausverwaltung den Denkmalschutz vorschiebt, anstatt den Bewohnern langwierig zu erklären, warum etwa eine Sanierung nicht gemacht wird“, sagt Wolfgang Salcher vom BDA.
Diese Strategie könnte auch bei der U-Bahn-Station Pilgramgasse Anwendung gefunden haben. Der Lift beim Ausgang Ramperstorffergasse wurde abgetragen, weil an dieser Stelle der Stopp für die Linie U2 ausgehoben wird. Bis zur Fertigstellung im Jahr 2027 kann er nicht mehr aufgebaut werden. Ein Ersatz-Lift beim Otto-Wagner-Stationsgebäude an der Pilgrambrücke sei nicht möglich, beteuern die Wiener Linien. Der Grund: Denkmalschutz.
So unterschiedlich die Interessen sein mögen – in einem Punkt sind sich die Protagonisten in der Debatte einig: Der Erhalt historischer Bausubstanz müsse stärker mit öffentlichen Geldern finanziert werden. „Wer im Sinne des öffentlichen Interesses ein Haus erhält, braucht dafür Anreize“, sagt etwa Landerer von der Initiative Denkmalschutz.
Geld statt Abrissbirne
Im Jahr 2018 stellte das Bundesdenkmalamt österreichweit 16,5 Millionen Euro zur Denkmalpflege zur Verfügung – 1,4 Millionen davon gingen nach Wien. Zusätzlich vergibt die Stadt über den Altstadterhaltungsfonds Förderungen. „Die Eigentümer können damit oft nur einen Teil abdecken“, sagt Salcher vom BDA. Seine Hoffnung: Ein eigener Fonds für das Denkmalamt, den das türkis-grüne Regierungsübereinkommen in Aussicht stellt.
Dass diese Stoßrichtung durchaus Erfolg verspricht, zeigt der Spittelberg: Letztlich waren es sechs Millionen Schilling aus der Rathauskasse, die das Viertel vor der Abrissbirne retteten.
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