Geld gegen Dienst: Überstunden-Basar bei der Wiener Polizei
Es gibt Tage, da poppen in der Messenger-Gruppe im Zehnminuten-Takt Nachrichten auf. „Biete für Steher Ukraine 30 Euro“, schreibt ein Polizist. Gemeint ist damit ein Wachposten-Dienst vor der ukrainischen Botschaft.
Geht es um Feiertags-Dienste, steigen die Preise am „Überstunden“-Markt: „200 Euro für 1. 1. 2023“, lautete ein weiteres Angebot in der Gruppe, die mittlerweile mehr als 500 Mitglieder hat.
Dass Polizisten sogar bereit sind, Geld zu zahlen, um ihre Überstunden loszuwerden, zeigt erneut die Personalproblematik bei der Polizei in Wien auf.
2020 fielen bei der Landespolizeidirektion (LPD) Wien 1,78 Millionen Überstunden an, 2021 waren es bereits mehr als zwei Millionen.
„Zahl ist überbordend“
Konkret bedeutet das, dass ein Wiener Polizist im ersten Pandemiejahr pro Monat im Schnitt 28 Überstunden leisten musste, 2021 waren es 33 und 2022 bereits 35 Überstunden.
Eine Entwicklung, die der sozialdemokratische Polizeigewerkschafter (FSG) Walter Strallhofer seit Jahren kennt. „Es ist wirklich traurig, dass die Anzahl an Überstunden so überbordend ist, dass Personen Geld zahlen, um sie abzugeben“, sagt Strallhofer. Problematisch seien dabei vor allem „Ad-hoc-Überstunden“. „Wenn der Dienst um 18 Uhr endet und man erst im Laufe des Tages darüber informiert wird, dass man doch bis zu zwölf Stunden länger bleiben muss, sorgt das für Frust“, schildert der Gewerkschafter.
Aufgrund der kurzfristigen Kommandierungen sei es für die Polizisten oft schwierig, ihr Privatleben zu organisieren. Besonders während der Pandemie-Jahre sei die Anzahl der Überstunden gestiegen. Ein Blick auf die Statistik bestätigt die Aussage des Gewerkschafters. Durch die Einführung der Corona-Maßnahmen war die Polizei gefordert, besonders bei den vielen Demonstrationen.
„Bei den Corona-Demos fielen 301.157 Einsatzstunden an, davon waren 227.399 Überstunden“, heißt es von der LPD Wien. Berechnet wurden diese zwischen dem Zeitraum 1. Jänner 2021 bis 31. März 2022, „da in dieser Zeit sämtliche maßgeblichen Corona-Demos mit einem entsprechenden Kräftekalkül stattfanden.“
566 „Klima-Plusstunden“
Auch die Klebe-Aktionen der „Letzten Generation“ verlangten den Polizisten viele Stunden ab. 8.656 Stunden waren Wiener Beamte seit Beginn der Aktionen im Februar 2022 im Einsatz, davon wurden 566 als Überstunden angerechnet. Bei der großen Klima-Protestwelle Anfang Jänner waren laut Angaben des Innenministeriums 850 Polizisten in Wien im Einsatz. Diese verhängten mehr als 200 Anzeigen. Festnahmen gab es 52.
Um die Probleme weiß auch die Wiener Polizei. Im Intranet des Innenministeriums wird Polizisten daher sogar offiziell eine Plattform zur Verfügung gestellt, auf der sie die Möglichkeit haben, Überstunden abzugeben oder ihr Interesse für Überstunden zu bekunden, wird dem KURIER mitgeteilt.
Ein Polizist, der vor allem bei den Corona-Demonstrationen häufig im Einsatz war, ist Jürgen Kruckenfellner. Kruckenfellner ist einer von 35 fertig ausgebildeten Polizisten, die in Wien im vergangenen Jahr gekündigt haben – der KURIER hat berichtet.
Ein Grund dafür waren auch die vielen Überstunden. „Ich habe nur noch für die Arbeit gelebt. In manchen Monaten habe ich 60 bis 100 Überstunden gemacht“, schildert der 40-Jährige. Es habe sich angefühlt, als mache er zwei Jobs gleichzeitig. Und für das Mehr an Arbeit habe er auch kaum Wertschätzung erhalten, erzählt der Ex-Beamte. Das lasse sich mit einem Familienleben nicht vereinbaren. „Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Polizisten ihre Überstunden gegen Bezahlung vermeiden und Feiertage lieber mit ihren Familien verbringen, als arbeiten zu gehen.“
Wenig Kollegialität
Auch wenn es traurig sei, dass Kollegialität offenbar nicht mehr ausreiche, sondern man Geld anbieten muss, um weniger Überstunden machen zu müssen.
Scrollt man durch die Nachrichten in der Chat-Gruppe, scheint sich dieser Verdacht zu bestätigen: Manche Anfragen von Polizisten bleiben unbeantwortet.
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