Er war einmal Polizist des Jahres: Der Exekutive den Rücken gekehrt
Jürgen Kruckenfellner – Polizist des Jahres 2019 – sitzt mit dem Rücken zur Straße gewandt im Café Blaustern. Vor dem Café hält ein Streifenwagen, zwei Beamte kontrollieren den Verkehr. Ein Job, den der 40-Jährige fast sein halbes Leben lang gemacht hat. Mit "überdurchschnittlichem Engagement", wie die Landespolizeidirektion Wien in ihrem internen Magazin schrieb.
Vor allem im Kampf gegen Drogenkriminalität hatte sich der Chefinspektor des Stadtpolizeikommandos Margareten einen Namen gemacht.
Nach 20 Jahren gekündigt
Spricht der gebürtige Burgenländer heute über seinen ehemaligen Job, hört man in seiner Stimme vor allem eines: Frust. Nach 20 Jahren reichte Kruckenfellner am 30. November seine Kündigung ein.
"Ich habe nur noch für die Arbeit gelebt. In manchen Monaten habe ich 60 bis 100 Überstunden gemacht. Das lässt sich mit einem Familienleben nicht vereinbaren", sagt Kruckenfellner. Jetzt bietet der 40-Jährige Seminare im Kryptowährungsbereich an.
Im Vorjahr verzeichnete die Wiener Polizei mehr als zwei Millionen Überstunden. "Es fühlte sich an, als hätte ich zwei Jobs gleichzeitig gehabt. Und für das Mehr an Arbeit bekommt man kaum Wertschätzung", betont er.
Wunsch nach Versetzung
Kruckenfellner ist einer von 35 fertig ausgebildeten Polizisten, die in Wien in diesem Jahr gekündigt haben. Auf KURIER-Anfrage relativiert man diese Zahl im Innenministerium (BMI). "In Wien gibt es 7.470 Polizisten. Wir sprechen von einer geringen Prozentzahl, die aus dem Dienst ausgetreten ist", sagt BMI-Sprecher Harald Sörös.
Ins Innenministerium wollte auch Streifenpolizist Martin Heine* wechseln. Seit sechs Jahren ist der 29-Jährige bei der Wiener Polizei. "Ich wollte weg von dort, weil die Arbeitsbedingungen zu arg waren. Nach 12-Stunden-Diensten wurde man oft einfach informiert, dass man noch einen 12-Stundendienst anhängen muss. Und dann rast man mit 100 km/h durch die Stadt zu einem Einsatz, obwohl man wahrscheinlich gar nicht mehr fahrtauglich wäre", sagt Heine.
Ansuchen abgelehnt
Um ein geregelteres Leben zu führen, schickte Heine eine Bewerbung ans Innenministerium. Er erhielt eine Zusage. Wechseln durfte er nicht. Der Grund? Die "angespannte Personalsituation" schrieb die Personalabteilung.
Dass viele Versetzungsansuchen von Polizisten – etwa von Wien zurück in ihre Heimat – scheitern, bestätigt auch die Gewerkschaft. "Es gibt eine lange Liste an Anwärtern", schildert Hermann Greylinger, Vorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen. Laut BMI wollen derzeit 671 Beamte aus Wien wechseln, österreichweit liegen 908 Versetzungswünsche vor.
Neben den aktiven Polizisten, die kündigen, sowie der Pensionswelle beschäftigt die Polizei derzeit auch die hohe Drop-out-Quote bei den Polizeischülern. Brachen heuer bereits 131 Schüler in Wien ihre Ausbildung ab, waren es 2021 insgesamt 116.
Einer von ihnen ist Salih Yılmaz*. Gemeinsam mit 28 anderen Polizeischülern startete seine Ausbildung am 1. September vergangenen Jahres. Nach vier Monaten brach er wieder ab. Mit dieser Entscheidung war der 37-Jährige nicht allein. "Mittlerweile sind in dieser Klasse nur mehr 13 Leute", erzählt er.
"Lernstoff war eine Zumutung"
Die Erwartungen seien einfach zu hoch gewesen. "Der Lernstoff war eine Zumutung. Und auch der Umgang der Lehrer mit uns war alles andere als zuvorkommend oder respektvoll", sagt Yılmaz. Bereits am ersten Tag habe man mit Ermahnungsprüfungen gedroht und die Schüler sehr unter Druck gesetzt, berichtet der frühere Polizeischüler.
Auch Max Schneider* beendete nach nur drei Monaten die Ausbildung. Und auch er nennt das Verhalten der Lehrer als einen der Gründe. "Wenn die Personalnot so groß ist, verstehe ich nicht, wieso Schüler so behandelt werden", sagt der 20-Jährige.
Dass es Probleme mit dem Lehrpersonal gebe, weist man im Innenministerium zurück. "Fälle, in denen viele Schüler ihre Ausbildung aufgrund des Fehlverhaltens von Polizeischul-Lehrpersonal verlassen, sind uns nicht bekannt", heißt es. Fakt sei aber, dass der Polizeiberuf rechtliches Wissen und diszipliniertes Auftreten voraussetze.
Bessere Vereinbarkeit
Dass die Anforderungen an Polizeischüler hoch sein müssen, um die Qualität zu wahren, glaubt auch Kruckenfellner. Ändern müsste sich die Vereinbarkeit von Job und Freizeit. "Würde man die Dienste an die Vorstellungen der jungen Generation anpassen, würden mehr zur Polizei gehen. Dann schließe auch ich nicht aus, irgendwann zu dem Job zurückzukehren, den ich eigentlich so liebe."
* Namen wurden von der Redaktion geändert
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