Gastronomie in Wien: Nicht nur Touristen stehen hier Schlange
Es war fast ein kleiner Skandal. In den Weihnachtsferien machten in den sozialen Medien Fotos von Menschenschlangen vor dem Café Central im 1. Bezirk in Wien die Runde. Auch vor dem Café Sacher standen Gäste Schlange.
Und es sind bei Weitem nicht die einzigen Lokale, vor denen es zu Wartezeiten kommt. In Wien stellt man sich für Brot an, für Schnitzel, Döner und auch für Kaffee.
Doch wer stellt sich da eigentlich an? Sind es ausschließlich Touristen? Wird es jetzt in Wien eng für die Wiener?
Die Antwort lautet „jein“. Von 2008 bis 2018 ist die Anzahl der Gäste im 1. Bezirk um mehr als 43 Prozent auf knapp 1,2 Millionen Besucher gestiegen. Auf einen Innenstadt-Bewohner kamen damit zuletzt 73 Touristen pro Jahr.
Wegen des Ansturms haben Museen begonnen, für gewisse Ausstellungen Timeslot-Tickets einzuführen. Karten müssen nun im Vorfeld für eine bestimmte Uhrzeit gekauft werden. Etwas, das international bereits Standard, den Wienern aber noch neu ist.
„Stoßzeiten in der Stadt sind Weihnachten, Silvester und auch Ostern“, erklärt Tourismusforscher Florian Aubke. Ein Problem mit Overtourism, also den negativen Begleiterscheinungen von Massentourismus, gebe es aber noch nicht.
Tatsächlich hat sich der Dezember laut Wien Tourismus von einem der schwächsten Monate dank Christkindlmarkt und Silvesterpfad zum zweitstärksten gemausert.
Das Problem in der Stadt ist ein historisches: Lange Zeit sind laut dem Experten bestimmte Locations vermarktet worden, die nun auch auf Online-Plattformen wie Tripadvisor gereiht sind. „Und da pilgern jetzt alle hin – und das in gleicher Reihenfolge.“
Soziale Medien würden das Phänomen verstärken. Klassische Reiseführer hätten ausgedient, Touristen würden auf Instagram und Co. recherchieren. „Das verstärkt den Herdentrieb“, sagt Aubke. Nicht nur bei Touristen. Auch Wiener pilgern in hippe neue Lokale, zum Beispiel in die neue Bäckerei Öfferl in der Wollzeile.
Stammkunden bleiben
Bei Touristen ist besonders das Café Central beliebt. Das weiß auch Geschäftsführer Kay Fröhlich. Dass die Menschen Schlange stehen, habe vor fünf Jahren angefangen. „Jetzt gibt es das eben auch vor anderen Kaffeehäusern“, sagt Fröhlich.
Man versuche, die Balance zwischen Wienern und Touristen zu halten.Um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten, wurde Personal aufgestockt, es gibt zudem zwei Türsteher. Die Wiener würden dennoch nicht ausbleiben.
Der Anteil der einheimischen Gäste betrage 20 Prozent. „Wir haben einen starken Stammkundenanteil. Die kommen halt zu anderen Zeiten.“ Am Vormittag etwa zu Geschäftsterminen.
Tatsächlich liegt es laut Aubke im Interesse der Wiener, sich antizyklisch durch die Stadt zu bewegen. Und vielleicht in ihrem Naturell, touristische Lokale zu meiden, um sich von den Stadt-Besuchern abzugrenzen.
Wer also nicht Schulter an Schulter die Bilder im Museum bewundern oder sich für einen Kaffee anstellen will, darf nicht am Fenstertag oder am letzten Samstag in den Ferien unterwegs sein.
Im Weg
Soziologin und Stadtforscherin Cornelia Dlabaja ortet aber weitere Probleme. Die vielen Touristen, die unterwegs sind, würden die Wege der Wiener durchaus beeinträchtigen. „Weil es kalt ist, werden aktuell zum Beispiel ganze Touristengruppen durch die Opernpassagen geführt“, sagt sie.
Im 1. Bezirk gebe es seit langer Zeit einen Prozess der „Touristifizierung“: Die Einwohnerzahl schrumpft seit Jahren, die Immobilienpreise explodieren und Geschäfte für den täglichen Bedarf weichen – etwa entlang der Kärntner Straße – Souveniergeschäften.
Immerhin, die Stadt versuche gegenzusteuern. So hätten in der Herrengasse neue Geschäfte für die Anwohner geöffnet, etwa ein nachhaltiges Dessous-Geschäft. Und der Wien Tourismus versucht schon längst, Besucher abseits der üblichen Trampelpfade in andere Stadtteile zu locken, auch Kaffeeliebhaber.
Aktuell wird ein Themen-Spaziergang zu Lokalen in sämtlichen Wiener Bezirken beworben. „Es gibt 2.300 Kaffeehäuser in Wien. Auch die Wiener werden ein Plätzchen finden“, heißt es beim Wien Tourismus.
Und wer weiß, vielleicht muss man bald woanders Schlange stehen.
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