Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker
Auf dem Zentralfriedhof und dem Friedhof Südwest wird ab sofort gegartelt. Auf freien Flächen wurden Beete angelegt. Am Matzleinsdorfer Friedhof geht man sogar noch einen Schritt weiter.

Erdbeeren, Gurken und Zuckermelonen sind  keine  klassischen Friedhofspflanzen. Und dennoch wird Hobby-Gärtnerin Laura genau diese Sorten heuer auf ihrem Beet am Friedhof Südwest  anpflanzen.

Zum ersten Mal bieten die städtischen Friedhöfe  in diesem Jahr Urban-Gardening-Flächen auf dem Zentralfriedhof und dem Friedhof Südwest an. Und Laura hat eines dieser Beete ergattert.

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Laura hat sich ein Beet auf dem Friedhof Südwest gesichert

Die gebürtige Burgenländerin wohnt in Meidling, in der Nähe des Friedhofs Südwest. Einen Garten hat sie in Wien nicht, weshalb sie bei der Ausschreibung der Beete keine Sekunde gezögert habe, wie sie sagt. „Meine Kinder können hier den Umgang mit der Natur lernen. Lernen, woher Lebensmittel kommen.“

Das Leben als Kreislauf

Dass rund um ihr Gemüsebeet Gräber stehen, stört sie nicht. „Ich finde, dass die Natur ein Kreislauf ist. Und man muss bedenken, dass auf dieser Fläche noch kein Mensch begraben wurde“, sagt Laura.

Das bestätigt auch Julia Stering, Sprecherin der Friedhöfe Wien. Die Wiesenflächen seien bisher  brachgelegen. Grabflächen hätten sich darauf noch nie befunden. Gegartelt werde deshalb nur hier, sagt Stering.

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Die Urban-Gardening-Fläche auf dem Friedhof Südwest

Anderswo – genauer gesagt am privat geführten Matzleinsdorfer Friedhof –  traut man sich da noch deutlich mehr. Seit 2017 verwirklichen sich hier Hobby-Gärtner auf aufgelassenen Gräbern. Zuerst hätten hauptsächlich Friedhofsmitarbeiter Gemüse und Obst auf den Gräbern angebaut. Mittlerweile aber würden sich auch immer mehr Außenstehende für diese besondere Art der Grabpflege interessieren, sagt Friedhofsverwalter Walter Pois.

Mehr dazu lesen Sie hier: Selbstversorgen mitten in der Großstadt

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Auf dem Matzleinsdorfer Friedhof wird aus aufgelassenen Gräbern gegartelt

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Garten auf dem Friedhof: Frisches Obst und Gemüse vom Totenacker

Im Laufschritt

Bei den städtischen Friedhöfen  steht das derzeit nicht zur Diskussion. Aber auch hier lautet das Motto: Enttabuisierung durch Nähe. „Wir wollen den Leuten zeigen, was man auf  Friedhöfen alles machen kann.“ Garteln ist dabei nicht das einzige Hobby. Schon im Jahr 2019 eröffneten die Friedhöfe Wien zwei offizielle Laufstrecken auf dem Zentralfriedhof. Damals sorgte das für hitzige Diskussionen. Als „pietätlos“ wurde die Aktion bezeichnet. Mittlerweile sind die Läufer und die Laufstrecken vom Friedhof kaum mehr wegzudenken.

Mehr dazu lesen Sie hier: Ein stiller Lauf: Zentralfriedhof eröffnet Laufstrecken

Eine Frage der Kultur

Dass die Implementierung der Laufstrecken aber vor allem  zu Beginn  für Furore  sorgte, erklärt die Soziologin Anna Durnová mit der Kultur. Mit der Kultur des Sterbens, um genau zu sein. Es gebe nämlich nicht die eine Kultur des Sterbens. Ganz im Gegenteil. „Was auf dem Friedhof erlaubt ist und was sich gehört, ist von Land zu Land unterschiedlich“, sagt Durnová. Während in Österreich – wie fast überall im globalen Norden – eine private, zurückgezogene Kultur herrsche, werde auf den Friedhöfen in Mexiko regelrecht gefeiert. Am „Día de  Muertos“ (Allerseelen) etwa bringen die Menschen die Leibspeisen der Verstorbenen auf den Friedhof und musizieren dazu.

„Die Art des Trauerns hat mit Moralvorstellungen zu tun. Stimmt die Praxis nicht mit den Werten  überein, wird es als pietätlos empfunden.“ Absolut sei diese Einstellung aber nicht. „Sie kann sich im Laufe der Zeit verändern.“ Etwa durch die Globalisierung: Indem Menschen aus anderen Ländern in Österreich leben – und auch begraben werden – entstehe eine neue Kultur des Sterbens. Aber auch die ökologische Krise bringe die Menschen zum Umdenken. „Garteln am Friedhof ist ökologisch und kann gleichzeitig ein neuer Weg sein, um in Gedanken mit den Verstorbenen zu sein“, sagt Durnová.

Ein Ort zum Garteln

Der erste Schritt dahin ist mit der Eröffnung der Urban-Gardening-Flächen   bereits geschehen. Nun muss der Acker aber noch bebaut werden. Hilfe bekommen die Hobby-Gärtner dabei  von den „Ackerhelden“, eine Firma, die das Projekt gemeinsam mit den Friedhöfen umsetzt.

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Jan Peter Pech von den "Ackerhelden"

„Es ist das erste Mal, dass wir so ein Projekt auf einem Friedhof umsetzen“, sagt Jan Peter Pech von den „Ackerhelden“. Ungewöhnlich oder gar pietätlos finde er es aber nicht. „Friedhöfe sind Orte der Erholung. Warum also nicht auch Garteln.“ Die Flächen seien durch ihre Lage nahezu ideal dafür. Einer reichen Ernte an Erdbeeren, Gurken und Zuckermelonen steht demnach nichts mehr im Weg.   

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