Selbstversorgen mitten in der Großstadt
Mindestens ein Meter Erde liegt über dem ersten Leichnam. Genug Platz also für Tomaten, Paprika und Zucchini, um sich auf den Gräbern des Matzleinsdorfer Friedhofs frei zu entfalten. Dort, wo Angehörige normalerweise Efeu oder Begonien pflanzen, erfreut man sich hier an frischem Obst und Gemüse.
„Der Friedhof ist ein Ort zur Trauerbewältigung. Er bietet ein Stück weit psychisches Wohl“, sagt Friedhofsverwalter Walter Pois. Und das Garteln scheint dabei zu helfen: Seit 2017 werden in Matzleinsdorf aufgelassene Gräber an Hobby-Gärtner vermietet. Zu Beginn haben vor allem Friedhofsmitarbeiter Essbares angebaut. Nun würden sich aber auch immer mehr Außenstehende für diese besondere Art der Grabpflege interessiert, sagt Pois. Tendenz steigend: „Derzeit kommen durch die mediale Aufmerksamkeit sogar ein bis zwei Gräber in der Woche dazu.“
Doch nicht nur am Friedhof steigt das Interesse am Eigenanbau. Selbstversorgen erlebe derzeit einen Hype, heißt es aus der Wirtschaftskammer Wien. „Alle wollen garteln“, sagt Herbert Eipeldauer, Innungsmeister der Wiener Gartengestalter und Floristen. Der Trend sei nicht zuletzt wegen der Corona- Pandemie, der Klima-Debatte und den Teuerungen weiter befeuert worden.
Dachgärten im Trend
Der Preis für die Miete eines aufgelassenen Grabes ist der gleiche wie für eines, das belegt ist: 75 Euro im Jahr. Welche Pflanzen auf den zwei Quadratmeter großen Gräbern angepflanzt werden, bleibt den Mietern überlassen. Über den Friedhof verteilt finden sich Tomatenstauden, Zucchinipflanzen oder Erdbeeren. Manche Leute würden sogar Gräber mieten, um darauf einfach Blumen pflanzen zu können, erzählt Pois.
Zwei Quadratmeter reichen natürlich bei Weitem nicht aus, um auf Supermärkte verzichten zu können. Um sich fast vollständig selbst mit Obst und Gemüse zu versorgen, müsste man mindestens 100 Quadratmeter Garten bewirtschaften – und das pro Person, erklärt Eipeldauer.
Im Trend liegen besonders begehbare Dächer von Wohn- und Gewerbebauten oder Schulen. „Die sogenannten Mieterdachgärten werden speziell im Wohnbau immer öfter gleich mitgeplant“, sagt Eipeldauer. Diese kämen bei den Mietern sehr gut an, darum „wird das Thema in den nächsten Jahren noch stärker kommen“.
Rosmarin
Der Rosmarin liebt warme und sonnige Standorte. Als Pflanze, die am Mittelmeer wächst, braucht Rosmarin eher wenig Wasser. Man kann ihn an sonnigen, frostfreien Orten überwintern
Tomaten
Tomaten wachsen am besten, an sehr sonnigen, windgeschützten Standorten. Sie brauchen viel Wasser – an heißen Tagen sogar zwei Mal am Tag. Staunässe sollte aber vermieden werden
Basilikum
Basilikum mag es warm und hell. Bei Hitze lässt er aber schnell die Blätter hängen. Die Pflanze benötigt genügend Wasser. Die Erde sollte deshalb immer feucht sein. Ganze Triebe statt einzelner Blätter ernten
Erdbeeren
Erdbeeren benötigen einen sonnigen, warmen Standort. Am besten sollte die Lage auch regen- und windgeschützt sein. Die Erde darf weder austrocknen, noch nass sein. Erdbeeren sollten zudem gedüngt werden
Schnittlauch
Ein warmer, sonniger oder halbschattiger Standort ist ideal für Schnittlauch. Bei zu viel Sonne trocknet er gerne aus. Schnittlauch braucht viel Wasser. Staunässe hat aber oft Trauermücken zur Folge
Der Klassiker ist aber nach wie vor das Garteln auf dem eignen Balkon. Laura Langoth macht das mit Leidenschaft auf knapp 13 Quadratmetern in Meidling. Das wichtigste dabei: Die Ausrichtung des Balkons oder des Gartens. Auf einem nordseitigen Balkon bleibt es im Sommer zwar kühl, Garteln sei dann aber kaum möglich. Südseitig und windgeschützt sei dagegen ideal, sagt die Foodstylistin und Fotografin.
Gegartelt habe sie schon immer gerne. In WGs habe sie Paprika am Fensterbalken gezogen, sagt Langoth. Seit dem Umzug in eine Wohnung mit Balkon im Jahr 2020 sei noch viel mehr möglich. „Vor allem während Corona war ich froh über den Balkon. Außerdem lernt meine Tochter hier, was sie essen darf und dass grüne Erdbeeren noch nicht gut schmecken.“
Seit zwei Jahren kommen bei Langoth Tomaten, Fisolen und sogar Melonen aus dem eigenen Balkon auf den Tisch. „Selbst versorgen kann ich mich damit nicht. Aber das Gefühl von selbst geernteten Lebensmitteln ist schon etwas ganz Besonderes.“
Einige Probleme gebe es beim Balkon-Garteln in der Stadt aber schon. Dinge, die in einem Garten am Land ganz von alleine passieren, müssten in den städtischen Töpfen erst eingeleitet werden. Düngen oder das Anziehen von Nützlingen etwa. Gedüngt werde mit Kaffeesud, Biomüll oder gesammeltem Laub. Nützlinge hingegen – zum Beispiel Nematoden, die Trauermücken fressen – muss Langoth zum Teil zukaufen. „Bienen aber hat mein Nachbar am Balkon. Wohnt man aber in einem Bezirk mit wenig Grün, kann auch das zum Problem werden.“
Immer mehr Stadthühner
Neben Gemüsepflanzen setzen immer mehr Wienerinnen und Wiener auf eigene Tiere. Besonders am Stadtrand sieht man in den Gärten Hühner – oder hört Hähne.
Dass das nicht nur ein subjektiver Eindruck ist, bestätigt die zuständige MA 60 (Veterinäramt und Tierschutz): Gab es im Jahr 2016 nur 189 private Geflügelhalter in Wien, ist die Zahl im Jahr 2021 bereits auf 422 angestiegen. Wer erst ausprobieren möchte, ob er sich als Hühnerhalter eignet, kann sich unter anderem an das Unternehmen „Hendlring“ (www.hendlring.at) wenden. Hier gibt es Miethühner für einen Monat.
Das Garteln in der Stadt wird teils von baulichen Gegebenheiten erschwert: Auf zahlreichen Balkonen fehlt der Wasseranschluss. „Mit der Gießkanne muss man bei einem Balkon wie meinen sieben bis acht Runden gehen. Und das zwei Mal am Tag“, sagt Langoth. Auch automatische Gießanlagen können wegen des fehlenden Anschlusses nicht eingesetzt werden. „Das wird zum Problem, wenn man auf Urlaub fährt. Ohne freundliche Nachbarn geht da nichts“, sagt Langoth.
Entspannter Garteln lässt es sich da wohl auf dem Friedhof. Wasseranschlüsse gibt es dort an jeder Ecke. Sammelstellen für den Pflanzenabfall stehen ebenfalls bereit. „Und wer im Urlaub ist, kann sein Grab von der Friedhofsgärtnerei pflegen lassen“, so Pois.
Wer keine eigene Fläche zum Bepflanzen hat, kann sich sein Grab am Matzleinsdorfer Friedhof sichern. 1.500 aufgelassene Gräber stünden derzeit noch zur Verfügung. „Und ich bezweifle, dass wir die in nächster Zeit alle belegen“, sagt Pois.
Kommentare