Wenn der „Bumbum“ alias Thomas Rauch anraucht, also scharf schießt, dann war schon in seiner Jugend als Fußballer Vorsicht geboten. Weil „Bumbum“ ist eine Art Adelsprädikat in der Welt des Fußballs, auch bei der von Rauch mit großer Geschicklichkeit ausgeübten zweiten Leidenschaft (nach Fußball):
Die Augen beginnen im Nu zu leuchten – bei diesem österreichischen Dialektwort, zumindest bei Alterskohorten jenseits der 55. Könnt ihr euch noch erinnern? Rufen ältere Österreicher aus. Das Fußballspiel mit den Münzen haben wir in Schulpausen gespielt! Mit Kamm oder mit Geo-Dreieck haben wir die Schilling-Münzen über den Schultisch bewegt. F
ällt der Groschen? Genau! Groschen-Stücke dienten uns damals als Fußball und wurden im Tor des Gegenspielers versenkt.
Gut geschulte Finger
Das Handy war seinerzeit noch nicht erfunden. Die in tausend Schulpausen geübte ruhige Hand war im Vorteil, ihre Fingerfertigkeit wurde in Hunderten heißen Matches im Klassenzimmer verbessert. Wer dem Groschenstück Effet wie im Billard mitgeben konnte, galt als ein großer Meister seines Faches, oft zum großen Ärgernis einer humorbefreiten Lehrkraft.
Walter Drnek kann sich an seine Tischfußball-Karriere in einer Wiener Hauptschule erinnern, als wäre es gestern gewesen: „Wir hatten einen Lehrer, der hat uns die Fünfer immer weggenommen, was schmerzlich war.“ Abgesehen vom jähen Ende des Gratis-Fitschigogerl-Vergnügens tat es auch finanziell weh: Ein Fünfer (umgerechnet 0,36 Euro) war für ihn als Schüler „gar nicht wenig Erspartes“.
Der umtriebige Obmann des 1. Österreichischen Fitschigogerl-Clubs war auch dabei, als der 1. ÖFIC im Jahr 1974, also vor fünfzig Jahren, ins Leben gerufen wurde.
Mit seiner Ruhe geleitet er Freunde und Mitspieler durch einen entspannten Dienstagabend, in einem Pensionistenklub in der Nähe der U-Bahn-Station der U1 in Kagran.
Als gelernter Maurer, als Polier, als Bautechniker und dann als Vertragsbediensteter der UniversitätWien hat er immer Fitschigogerl, manche sagen Pfitschigogerl, andere auch Schuberln, gespielt.
Sie haben noch Schilling-Reserven
Das ist auch der Grund, warum der „Bumbum“ zwar mit einem scharfen Schuss 1:0 in Führung geht, am Ende aber nach 2 x 15 Minuten und einer 1:11-Niederlage sein violett eingefärbtes Geld vom Spielbrett klauben muss.
Nicht unwichtig ist hier der Hinweis des Obmanns, dass man diese Variante des Tischfußballs so wie „in der guten alten Zeit“ der Boomer-Generation laut Regulativ weiterhin mit „altem Geld“ spielt. Die 5-Schilling-Münze erinnert ihn daran, dass ihn noch ein „Sparefroh“ zum Sparen animierte, das Zwei-Groschen-Stück flutscht weiterhin flottest über die Tischplatte.
Obmann Drnek lächelt bei dem Gedanken: Nicht nur die Nationalbank, auch sein Club hat Schilling-Reserven: „Wobei bei den Groschen könnten wir bald einmal ein Problem bekommen, denn die nützen sich auf der Tischplatte mit der Zeit ganz schön ab.“
Seine beiden Fünfer sind übrigens blau-gelb, ein klarer Hinweis darauf, dass das Herz des heute 86-Jährigen, der sonntags noch im Tor von Hobbyfußballern steht, für den 1. Vienna Football Club pumperlgesund pocht.
Es gibt auch ein Wiener Derby
Sein jüngerer Kontrahent, der „Bumbum“, hilft zur Austria, dessen Fünfer sind daher mit violetter Farbe unterwegs. Grüne muss es in einer Stadt wie Wien auch geben – sie gehören dem Helmut, der aber mit seinem bürgerlichen Namen Ferdinand heißt.
Ist im Pensionistenklub ein Wiener Derby angesagt, gibt es – anders als im richtigen Fußball – keine Sicherheitsbedenken: „Bei uns regiert der Schmäh“, betont Thomas Rauch. „Man will natürlich als Sieger vom Tisch weggehen. Aber danach sitzen wir zusammen und trinken noch etwas Gutes.“
Dennoch gibt es bei jedem Cup- und Meisterschaftsspiel auch Schiedsrichter. Sind ja auch nur Menschen, und ist ja auch Sport: Liegt die Münze innerhalb des Strafraums oder außerhalb? Hat der eine Fünfer den anderen Fünfer touchiert oder nicht? Strittige Entscheidungen gibt es also auch beim Fitschigogerl.
Spielfeld – Spielbrett: Das Spielfeld mit Rundum-Bande ist 100 cm lang und 64 cm breit. Die Öffnung der Tore: je 7 cm.
„Ball“ und „Spieler“: Zwei-Groschen-Münzen dienen als Ball, Fünf-Schilling-Münzen als Spieler. Jedes Team auf dem Brett besteht aus zwei Spielern.
17 Fitschigogler spielen Cup und Meisterschaft in Wien-Kagran. Wer es probieren möchte, ist an Dienstagen von 18 bis 21 Uhr gerne gesehen. Am Dienstag, 22. April, spielt KURIER-Redakteur Uwe Mauch mit. Alle Infos hier.
„Sind Freunde von uns“
Einzigartig sind wohl auch die „Fitschigogerlregeln“ in ihrer inzwischen 6. Auflage: sieben DIN-A4-Seiten, die noch mit der Schreibmaschine getippt wurden. Der Kamm oder das Geodreieck werden dort „Schießbrett“ genannt.
Bedauert wird von allen Akteuren das mangelnde Interesse Jüngerer. „Die spielen lieber mit dem Handy“, lautet die einhellige Meinung. Doch auch Gleichaltrige sind nur schwer dazu zu bewegen, es zumindest mal zu probieren.
Bleiben noch die Lienzer. Die Augen des Obmanns beginnen wieder zu leuchten: „Ein Mal im Jahr spielen wir gemeinsam, ein Jahr bei uns, das andere Jahr bei ihnen. Das sind Freunde von uns.“
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