Experten sehen Kindergarten als "sicheren Ort"

Kindergartenkinder müssen zu Hause bleiben
Vor einem Generalverdacht gegenüber Männern in diesem Berufsfeld wird gewarnt.

Derzeit sind mehrere mutmaßliche Fälle von (sexuellen) Übergriffen in Wiener Kindergärten in den Medien. Experten warnen vor einem Generalverdacht gegenüber Männern in diesem Berufsfeld und betonen: "Der Kindergarten ist ein sicherer Ort." Bernhard Koch von der Pädagogischen Hochschule Tirol verweist auf eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zu sexuellen Übergriffen an Kindern. "Der Kindergarten kommt praktisch nicht vor."

Im Kindergarten gebe es eine permanente soziale Kontrolle durch die Kolleginnen und Kollegen, so der Elementarpädagogik-Experte. Es gebe auch nur ganz wenige Fälle von Verurteilungen bei Kindergartenpersonal. Gleichzeitig sei die Gefahr groß, dass es durch Medienberichterstattung zu Vorverurteilung möglicherweise Unschuldiger komme. Besonders prekär sei, dass hier ein ohnehin latent vorhandener Generalverdacht gegen Männer im Umgang mit kleinen Kindern befeuert werde. Der Männeranteil in Krippen und Kindergärten liegt seit Mitte der 1980er konstant bei rund zwei Prozent des pädagogischen Personals. Die Sorge vor einem Missbrauchsverdacht ist einer der Gründe, so Koch.

Männer mit ungerechtfertigter Skepsis konfrontiert

Auch Natascha Taslimi vom Netzwerk Elementare Bildung (NEBÖ) warnt davor, aufgrund der aktuellen Verdachtsfälle Männer in Kindergärten unter Generalverdacht zu stellen. "Das ist nicht zulässig." Der Kindergarten sei immer noch eine Frauendomäne, zusätzlich seien Männer mit ungerechtfertigter Skepsis konfrontiert. Diese Bilder müsse man dekonstruieren, wenn das berechtigte Ziel, mehr Männer in die Kindergärten zu holen, umgesetzt werden soll. Auch im Umgang mit den aktuellen Fällen hätte sie sich angesichts des sensiblen Themas einen besonneneren Umgang gewünscht. "Ich glaube, dass das viele Eltern verunsichern wird."

Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger, Kinderschutzbeauftragter im Netzwerk "Kinderrechte Österreich", wünscht sich für den richtigen Umgang bei Missbrauchsverdacht an jedem Standort Kinderschutzrichtlinien und Kinderschutzbeauftragte, sagte er in der ZiB Nacht am Dienstag. Die Kinderschutzrichtlinien sehen etwa Vorsichtsmaßnahmen für potenzielle Risikosituationen vor, z.B. dass Mitarbeiter mit Kindern in Intimsituationen nicht allein sein sollen. Dazu brauche es bestimmte Strukturen und die entsprechende Personalausstattung, "und genau das fehlt in der Elementarpädagogik in Österreich leider überall". Die Kinderschutzbeauftragten seien wiederum die ersten, die bei einer Verdachtssituation informiert werden. An den Schulen gebe es solche allerdings nicht, an den Kindergärten seines Wissens ebenso nicht. "Dann fehlt die erste Ansprechstelle und dann entsteht Unsicherheit. Unsicherheit mündet dann etwa entweder in Schweigen, oder in hektisches Agieren."

Schlechte Rahmenbedingungen fördern Gewalt

Dass schlechte Rahmenbedingungen Gewalt fördern können, hat 2019 eine Untersuchung der Kindergartenpädagogin und Lehrerin Claudia Schütz von Fachhochschule Campus Wien gezeigt. Demnach haben 50 Prozent des Kindergartenpersonals in ihrer täglichen Arbeit Handlungen wahrgenommen, die sie als Gewalt definierten. Unter anderem wurden demnach Kinder von ihren Bezugspersonen fest angepackt, unsanft niedergesetzt oder hinterhergezogen oder mussten sich negative Kommentare anhören.

"Wir wissen, das so etwas vorkommt", sagt NEBÖ-Sprecherin Taslimi, die davor warnt, solche Gewalthandlungen isoliert zu betrachten. "So etwas passiert wahrscheinlich leichter durch permanente durchgängige Überlastung und ständiges Einspringen", betont sie die Auswirkung schlechter Rahmenbedingungen. Umso wichtiger sei es, gut ausgebildetes Personal einzusetzen und dieses nicht in den Gruppen alleine zu lassen. Auch Supervision sei entscheidend, um Überlastung rechtzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. Kochs Befund, dass der Kindergarten ein sicherer Ort sei, stimmt Taslimi dennoch zu. "Das muss er auch sein, wenn man das Grundkonzept von elementarer Bildung anschaut." Allerdings sieht sie sehr wohl die Politik in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass es die entsprechenden Rahmenbedingungen gibt - vor allem weniger Kinder pro Gruppe und einen besseren Betreuungsschlüssel.

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