Ex-Geheimdienstchef Gridling: "Kickl ist mehr als der polternde Giftzwerg"
28. Februar 2018, 08:00 Uhr früh: Im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) kommt es zu einer Hausdurchsuchung. Jene Amtshandlung, die als sogenannte BVT-Razzia in die Geschichte eingehen wird und die politisch die Wogen hochgehen lässt.
In jenem Gebäude, in dem hochsensible, streng vertrauliche Akten liegen, werden diese einfach mitgenommen. Darunter auch Daten von Geheimdiensten anderer Länder. Österreichs Geheimdienst schlittert in eine veritable, internationale Vertrauenskrise.
Zu einer Zeit als Herbert Kickl (FPÖ) Innenminister ist.
23. August 2023, 13 Uhr mittags: Ein Heuriger in Sooß: Peter Gridling, 2018 oberster Geheimdienstchef, sitzt unter einem schattigen Baum. Das Wasser, das aus einem steinernen Frosch-Steinbrunnen dringt, plätschert leise. Leise spricht auch Gridling, doch seine Worte sind eindringlich. 5 Jahre nach der Razzia bei den Verfassungsschützern, hat Gridling ein Buch über die Vorgänge geschrieben.
Ein Insider, der über die Vorgänge auspackt, die die Republik erschütterten. Zum ersten Mal wird auf den gut 200 Seiten klar, wie groß der Vertrauensverlust durch befreundete Dienste in Österreich wirklich war. Doch auch politisch birgt das Buch Sprengkraft.
Ein Jahr vor der Nationalratswahl und einer Zeit, in der Herbert Kickl (FPÖ), laut Gridling "ein Dulder" der Razzia, den Kanzleranspruch stellt.
Ihr Buch heißt Überraschungsangriff. Glauben Sie, dass es auch zu einem Überraschungsangriff für das Innenministerium werden könnte?
Eine gute Frage. Für uns war es jedenfalls einer. Wir haben mit so etwas nicht gerechnet.
Mit so etwas, sprechen Sie die BVT-Razzia an. Warum 5 Jahre danach dieses Buch?
Weil in den 5 Jahren viel passiert ist. Am Anfang gab es nur das berühmte Konvolut aus anonymen Anschuldigungen, das dazu geführt hat, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen beantragt und diese durchgeführt hat. Die damalige Führung des Innenministeriums, Herbert Kickl und sein Generalsekretär Peter Goldgruber, haben das Amt, aber auch Top-Führungskräfte kriminalisiert.
Jetzt, nach 5 Jahren, viel Berichterstattung, einem U-Ausschuss und vielen Verfahren stellt sich heraus, dass das ganze, wie ein Kollege von Ihnen in einem Blog geschrieben hat, nichts anderes war "als ein Schaß". Von der Vorhaltungen in dem anonymen Schreiben ist genau gar nichts übrig geblieben.
Ein Motiv, das Buch zu schreiben, war aber auch sicher, die Reputation des Amtes und seiner Mitarbeiter ins richtige Licht zu rücken. Denn das BVT soll nicht als Erinnerung an eine korrupte, manipulierte Organisation übrig bleiben. Man hat so den Eindruck, dass in der gegenwärtigen Kommunikation der DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, die Nachfolgeorganisation des BVT, Anm.) alles, was davor war, als schlecht erscheint. Und nur gut ist, was neu ist. Aber es gibt viele Mitarbeiter aus dem BVT, die nun in der DSN arbeiten und dort einen genauso guten Job machen.
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Wenn wir von Motiven sprechen, eines dürfte doch auch die Nationalratswahl in einem Jahr gewesen sein, in der die FPÖ laut aktuellen Umfragen vorne liegt und Herbert Kickl den Kanzleranspruch stellt, oder?
Ja, auch der derzeitige Höhenflug der FPÖ war ein Anreiz. Mit dem Buch soll die Erinnerung aufgefrischt werden, was die Beiträge der FPÖ damals zu diesem BVT-Skandal waren.
Wollen Sie vor Kickl warnen?
Die Dinge sollen in Erinnerung gerufen werden. Um es mit den Worten von Norbert Hofer zu sagen: Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist, sollten wir uns nach Möglichkeit nicht wundern. Das Bild, das von Herbert Kickl in der medialen Berichterstattung gezeichnet wird, das eines polternden Giftzwergs, ist ein gefährlich falsches. Herbert Kickl ist ein entsprechender, professioneller Politiker, der seine Klientel bedient und diese Klientel scheint immer größer zu werden.
Als Ex-Staatsschützer, würden Sie Kickl als staatsgefährdend einschätzen?
Ich glaube, dass Herbert Kickl zu intelligent ist, um bewusst als Staatsgefährdender zu agieren. Aber unbestritten, hat er keine Berührungsängste mit "Neu rechten" Organisationen. Auch seine Aussage, die Identitären seien eine NGO von rechts, zeigt, dass es hier genau zu jener Verschiebung immer weiter nach rechts, bis hin zu den Rechtsextremen kommt. Man hat derzeit keine Scheu, dementsprechend anzustreifen.
Interview-Ort wirkt auf Kickl wie "Stasi-Verhörzimmer"
Kickl hat bereits während Ihrer Zeit als BVT-Chef die Identitären als bessere NGO abgetan. Hat man nichts dazugelernt?
Ich weiß nicht, was dazu geführt hat, dass man diesen Begriff verwendet, vielleicht ist es das bewusste Signal, ihr gehört zu uns. Aus unserer Sicht damals war es so, dass die Identitären ein Beobachtungsgegenstand waren. Auch damals gab es die Idee, das sei eine NGO von rechts, aber wir haben uns durch diese verharmlosenden Äußerungen nicht irritieren lassen in der behördlichen Arbeit durch Gefahren von rechts.
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In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die FPÖ damals die parteipolitischen über die sicherheitspolitischen Interessen gestellt hat. Könnte dies bei einer blauen Neuauflage wieder der Fall sein?
Als gelernter Österreicher weiß man, wer immer an der Macht ist, wird sich seine Positionen sichern. Es wird so wieder geschehen. Der Einfluss in den Beamtenapparat hinein ist ein wesentlicher, der nicht so leicht zurückzudrängen sein wird. Dabei ist es egal, ob bei FPÖ, ÖVP oder Grünen. Es gibt den Bedarf, die notwendigen Transmissionsriemen in den Beamtenapparat hinein zu haben und die politischen Programme umzusetzen. Und ein Regierungsprogramm muss umgesetzt werden und da sind die Beamten Vollzugsexperten.
Aber es macht ein Unterschied, ob ich eine Razzia in einem Geheimdienst durchführe, oder Netzwerke aufbaue.
Das ist richtig. Dass Führungskräfte hinterfragt werden, damit hätte man bei jedem Regierungswechsel gerechnet, aber das man diesen Weg sucht, das war überraschend.
Welche Rolle hat Kickl aus Ihrer Sicht bei der Razzia genau eingenommen?
Seine Rolle war die eines Dulders. Ich habe keine Belege für eine aktive Rolle von Herbert Kickl, aber es ist eine Tatsache, dass er darüber informiert war, dass er eine Zeugin getroffen hat, dass er über die Vorgänge laufend informiert wurde und dass sein Vollstrecker, Peter Goldgruber, mehr als eine aktive Rolle an den Tag gelegt hat.
Was in Ihrem Buch überrascht, ist die genaue Analyse, wie sehr Österreich damals das Vertrauen der ausländischen Dienste verloren hat. Ein Thema, das von Innenministerium und der BVT-Nachfolgeorganisation, DSN, bisher tunlichst vermieden wurde. Wie groß war der entstandene Schaden wirklich?
Geheimhaltung ist die Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten. Das Bekanntwerden von sichergestellten Material, wie etwa einer Festplatte mit einem Back-up geheimdienstlicher Informationen, hat uns sehr geschadet. Wir waren von gewissen Austäuschen ausgeschlossen. Es ging dabei aber immer um die multilaterale Zusammenarbeit und die dortigen Arbeitsgruppen, von denen wir ausgeschlossen waren. Bilateral hat es weiterhin eine Zusammenarbeit mit den gleichen Partnern gegeben.
Inwieweit man uns bei der bilateralen Zusammenarbeit alles gegeben hat, was man uns hätte geben können, ist schwer abschätzbar. Eines der nachrichtendienstlichen Prinzipien lautet jedenfalls: Gebe, damit du bekommst. Wobei alle dazu tendieren, nur so viel zu geben, um das zu bekommen, was man selbst will. Freiwillig aber auch nicht mehr.
Man hat uns mit Argusaugen betrachtet , nachdem die beiden Sicherheitsministerien, das Innen- und das Verteidigungsministerium in FPÖ-Hand waren. Dies hat keine große Begeisterung ausgelöst. Aber Regierungszusammensetzungen in Demokratien hängen nun mal nicht von der Begeisterung, sondern von Wahlergebnissen ab.
Sie sprechen die Festplatte mit streng vertraulichen Daten an, die offen auf einem Schreibtisch eines Mitarbeiters lag. Ist dies nicht ein Verstoß gegen das Informationssicherheitsgesetz?
Das wird immer so dargestellt. Tatsache ist, dass es zu diesem Zeitpunkt das jährliche Back-up zu erfüllen galt und in Vorbereitung dazu, war die Festplatte dort. Aber dieses Büro war ein vierfach gesicherter Bereich.
Wenn Sie selbst sagen, dass die ausländischen Dienste nach so viel Aufmerksamkeit verstimmt waren, glauben Sie nicht, dass das mit der Veröffentlichung Ihres Buches wieder der Fall sein könnte?
Das kann sein, aber ich rechne nicht damit. Ich bin seit 2,5 Jahren in Pension. Ich habe mit der DSN kaum zu tun, also weiß ich auch nicht, wie die Situation dort ist. Dafür fehlt mir die Information.
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Sie verfügen in der Pension über eine Verschwiegenheitsklausel. Inwiefern haben Sie sich vor dem Buch über dienstrechtliche Konsequenzen informiert?
Es ist richtig, dass ich der Amtsverschwiegenheit unterliege. Ich habe mir oft den Kopf zerbrochen, ob die Inhalte des Buches Gegenstand der Amtsverschwiegenheit sind. Ich denke, dass der Inhalt zwar in der Zusammenschau neu ist, aber belegt ist, durch die öffentliche Diskussion.
Wie fällt Ihr Urteil für die Nachfolgeorganisation überhaupt aus?
Die Struktur der DSN ist eine Struktur, die, wenn man sie richtig benützt, sehr gute Ergebnisse erzielen kann. Wichtig ist, dass die Leute ihre Rolle kennen, dass die Leute ausgebildet und angeleitet werden. Denn der Erfolg hängt davon ab, wie gut die Akteure ihre Rollen verstehen und diese miteinander vernetzen.
Sie waren 12,5 Jahre Direktor des BVT. Beschreiben Ihre Organisation, aber mit Ausdrücken wie Grabenkämpfe, Eifersucht, Vertrauensdefizite. Da stellt man sich unweigerlich die Frage: Welchen Haufen haben Sie denn da geleitet über ein Jahrzehnt?
Das ist eine berechtigte Frage. Im Laufe der Zeit hat es immer mehr politische Interessen gegeben, die hereingespielt haben. Sowohl im Bereich des Personals, als auch im Bereich der Aktivitäten. An und für sich nichts Schlechtes, aber man muss sicherstellen, dass dies alles in die richtige Richtung geht. Dass etwa beim Personal Leute eingestellt werden, die den Job auch tatsächlich ausfüllen können und nicht nur die richtige Kandidatin, oder der richtige Kandidat ist.
Und das ist passiert?
Ja, das ist vereinzelt durchaus passiert, dass das parteipolitische Interesse größer war, als das Interesse an dem Beitrag, den derjenige leisten kann. Hinzu kamen Durchgriffe aus Kabinett und Generaldirektion. Was am Ende dazu geführt hat, dass der Direktor in seiner Rolle als Chef sichtbar geschwächt wurde. Auch im Amt selbst.
Sie reden noch von der ÖVP-Regierung?
Ja, aber es ist egal, welche Regierung am Ruder ist. Jede wird versuchen, den größtmöglichen Einfluss auszuüben.
Sie sprechen auch Befugnisse an, die aktuell gerade wieder verstärkt gefordert werden. Braucht es wirklich den Staatstrojaner?
Ja. Ich gebe da meinem Nachfolger vollkommen recht. Die Kommunikationsmöglichkeiten und Gewohnheiten haben sich grundlegend verändert. Es muss auch möglich sein, wenn ursprünglich vorgesehen Maßnahmen nicht mehr greifen, dass man eine offene Diskussion darüber führt, wie man diese Lücke schließt. Ohne, dass man als Polizeistaat-Befürworter bezeichnet wird.
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Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie nach 26 Jahren Ihre Zutrittskarte bei Ihrer Suspendierung abgeben mussten. Was macht so etwas menschlich mit einem?
Du fühlst dich irgendwie nackt. Es beschädigt einen nicht nachhaltig, aber es ist ein seltsames Gefühl. Die ganze Situation damals, war auch für mich schwierig zu verarbeiten. Jetzt kann man zwar der Ansicht sein, der soll nicht so deppert tun, aber aus heiterem Himmel wurden mir Dinge vorgeworfen, von denen ich wusste, dass sie so nicht stimmen. Mein Versuch, das aufzuklären, ging ins Leere, öffentlich wurde ich als Krimineller hingestellt, das macht einen betroffen.
Ist ein blauer Innenminister nach alledem, was Sie beschrieben und erlebt haben, nochmals denkbar?
Ja, sicher. Ich erwarte mir von jenem Innenminister, der im Herbst 2024 kommt, dass er die Gesetze respektiert. Ich teile nicht die Ansicht von Herbert Kickl, dass das Recht der Politik zu Folgen hat. Wenn wir ein Rechtsstaat sein wollen, dann gilt in diesem Rechtsstaat auch, dass dieser einer für alle vollziehenden Organe ist. Und die Regierung ist ein vollziehendes Organ. Und wenn man diesen Rechtsstaat ändern will, gibt es dafür genau vorgesehene parlamentarische Prozeduren und die muss man beschreiten.
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