Am 22. Oktober 1948 herrschte am Zentralfriedhof der Ausnahmezustand. Baron Karl, ein beliebter Obdachloser, wurde beigesetzt. Rund 10.000 Menschen gaben ihm das letzte Geleit, es mussten sogar mehr Straßenbahngarnituren eingeschoben werden, um die kondolierenden Menschenmassen zu bewältigen.
Vergessen ist der Obdachlose in seinem Heimatbezirk Favoriten bis heute nicht. So beschäftigt sich etwa der Autor und Musiker Peter Steinbach eingehend mit Baron Karl (der eigentlich Karl Baron hieß und nicht mit dem gleichnamigen Team-Strache-Politiker zu wechseln ist). In zwei Büchern – und nun auch ein Bühnenwerk.
Mit Nino Holm, einem der Gründungsmitglieder der Ersten Allgemeinen Verunsicherung (EAV), hat Steinbach „Baron Karl – Die Erste Wiener Sandleroperette“ geschrieben, die am 1. September im Haus der Begegnung Favoriten Vorpremiere feiert.
Damit folgen Steinbach und Holm dem Trend, dass sich Kulturschaffende vermehrt mit Identitätsstiftendem für einzelne Grätzel oder ganze Bezirke auseinandersetzen.
Baron Karl war wegen seiner kinderfreundlichen Art und seines goldenen Herzens populär, sagt Historikern Fritzi Kraus. Sie berichtet in ihrem Podcast „Erzähl mir von Wien“ regelmäßig über die Geschichte der Stadt. „Baron Karl hatte selbst fast nichts“, sagt Kraus. „Das wenige teilte er mit hungernden Kindern.“ Diese unterhielt er zudem mit Geschichten.
Einhändiger Handstand
„Und er beherrschte den einhändigen Handstand“, sagt Musiker Holm. Letzterer werde von Hauptdarsteller Erwin Leder aber nicht verlangt. Der Schauspieler ist Cineasten als Obermaschinist Johann aus dem Kult-Film „Das Boot“ aus den 80er-Jahren bekannt.
Auch der Regie-Posten ist hochrangig besetzt: Inszeniert wird das Stück von Robert Persché, der heuer auch an der Oper Graz bei „Der Zauberlehrling“ Regie führt.
Ursprünglich hatte Baron Karl eine Tischlerlehre angefangen. Bei der Arbeit hatte er aber einen schweren Unfall. Nachdem er aus der Ohnmacht erwacht war, war er für immer verändert: Er wollte nur noch musizieren und lebte auf der Straße. Auch eine unglückliche Liebesgeschichte dürfte seinen Lebenswandel mitgeprägt haben. Diese werde in der Operette thematisiert, sagt Holm.
Das Favoritner Original sei früher sogar Teil der Alltagssprache gewesen, sagt Historikerin Kraus. Zu Kindern sagte man etwa: „Du bist schmutzig wie der Baron Karl“. Aber er sei auch ein Symbol der Hoffnung gewesen. Im 1. Weltkrieg wurde unter den Soldaten „Gut gehen wird’s uns erst wieder, wann uns der Baron Karl ans aufspielt“ zu einer geflügelten Wendung.
Bemerkenswert ist, dass der Baron den Nationalsozialismus unbeschadet überstand – obwohl er immer wieder über das Regime spottete. Etwa mit: „Wenn einer dumm ist, geht er zum Militär – dort kann er Spieß werden. Und wenn er noch dümmer ist, wird er Gauleiter“.
Von einer Internierung ist trotzdem nichts bekannt. Baron Karl dürfte nur gegen Ende des Krieges in einem Obdachlosenasyl in einer Art Gefangenschaft gewesen sein. Nach der Befreiung tanzte er auf der Straße.
Nachdem er 1948 von einem Lastwagen überfahren worden war, trauerte ganz Favoriten. Sein Sarg wurde unter den Klängen eines anderen Originals versenkt, jenen des „Lieben Augustin“.
Mittlerweile befindet sich Baron Karls Grab nicht mehr am Zentralfriedhof, sondern am evangelischen Friedhof am Matzleinsdorfer Platz. Es wurde 1995 vom Bezirksmuseum Favoriten gekauft. Bis heute wird es als Prominenten-Grab geführt.
Bis Oktober sind elf Vorstellungen der Sandleroperette geplant. Alle Termine auf www.wiener-blues.at
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