Verfassungsschutz-Chef: "Politiker in Österreich im Fokus der Russen"
Der Direktor der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) Omar Haijawi-Pirchner spricht im KURIER-Interview über die Gefahr von Desinformation im Jahr der Nationalratswahl.
Verrät, wieso eine skandalträchtige Hausdurchsuchung, wie einst unter Innenminister Herbert Kickl im BVT, nicht mehr möglich wäre. Und warum Täter in den eigenen Reihen nie ganz ausgeschlossen werden können.
Ich sage Russland, was sagen Sie?
Weites Land im Nordosten der Welt. Aber ich nehme an, Sie sprechen die Spionagesituation an.
Stimmt. Erst vergangene Woche wurden zwei russischen Diplomaten wegen Spionagevorwürfen des Landes verwiesen, die Frage stellt sich: Wie sehr wird Österreich von Russland ausspioniert?
Wir sehen aufgrund des Angriffkrieges Russlands auf die Ukraine und der Bedeutung der Einflussnahme auf den Westen, dass Spionagehandlungen von Russland allgegenwärtig sind. Österreich hat vor diesem Hintergrund einen historischen Kontext. Weil es hier sehr viele internationale Organisationen gibt, weil wir der Mittelpunkt Europas sind, weil wir EU-Mitglied sind - das alles führt Österreich in den Fokus Russlands und anderer staatlicher Akteure – aber nicht nur Österreich, sondern auch andere Staaten. Wir wissen, dass wir fremden Spionagehandlungen in unserem Land gegenüberstehen und tun alles, was uns möglich ist, um diese abzuwehren.
Dass Österreich als die Agenten-Drehscheibe russischer Spione in Europa gilt, ist ein offenes Geheimnis. Hat man zu lange zugesehen?
Wir sind definitiv nicht die einzige Drehscheibe der Spionage in Europa. Aber ja, wir wissen, dass Österreich im Zusammenhang mit russischer Einflussnahme und Spionage ein wesentliches Zielland ist. Wir als DSN haben aber sicher nicht zugeschaut. Wir haben im Dezember 2021 mit unserer Arbeit begonnen. Das tun wir auch aktuell und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten.
Ein Geheimdossier soll eine Namensliste von Diplomaten enthalten, die für Putin in Wien spionieren. Wie geht man als Staatsschutz mit dieser Information um?
Wir haben diese Informationen analysiert und mit unseren Eigeninformationen abgeglichen.
Somit stehen weitere Ausweisung von Diplomaten vor der Tür?
Für Ausweisungen von diplomatischem Personal zeichnet das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten verantwortlich. In dem Kontext ist die interministerielle Zusammenarbeit aber immens wichtig und funktioniert auch wie man sieht. Uns als DSN beziehungsweise den Nachrichtendiensten Österreichs kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Insbesondere mit dem Abwehramt des Bundesministeriums für Landesverteidigung hatten und haben wir in dem Fall eine ausgezeichnete und erfolgreiche Zusammenarbeit
Aber ist es nicht bezeichnend, dass Aufdecker-Journalist Christo Grozev, der den Giftanschlag gegen Alexej Nawalny mitaufgedeckt hat, nach über 20 Jahren seine Wahlheimat Österreich verlassen hat, weil er sich hier vor dem langen Arm des Kremls nicht mehr sicher fühlt? Ist die Gefahr wirklich so groß?
Zu konkreten Personen kann ich mich nicht äußern. Aber wir haben in den letzten Jahren immer wieder gesehen, dass Russland dazu fähig ist, Tötungsoperationen in ganz Europa auszuführen.
Neben Spionage, geht es beim Thema Russland auch immer wieder um das Thema Unterwanderung. Und immer wieder wird in diesem Zusammenhang die FPÖ genannt. Jene Partei, der für Herbst die besten Chancen auf einen Wahlsieg vorhergesagt werden. Außenminister Schallenberg hat in der Pressestunde zuletzt die FPÖ sogar mit „Freunde Putins in Österreich“ übersetzt. Wie sehr könnte Russland bei einer Wahlmanipulation im Herbst seine Finger im Spiel haben?
Ich glaube, dass gerade Russland aktuell sämtliche Möglichkeiten zur Beeinflussung des Westens nutzt. Wir haben nicht nur in Österreich heuer noch Wahlen. Die Europawahl steht bevor, ebenso die Präsidentschaftswahl in den USA. Es gibt auch russische Desinformationskampagnen, die das Ziel haben, Ergebnisse zu beeinflussen. Für uns ist es zentral festzustellen: Welche sind das und welche technischen oder andere Wege gibt es, um Desinformation zu verbreiten. Dafür bedient sich Russland sicher seines gesamten Netzwerkes, das es in Europa hat.
Omar Haijawi-Pirchner
Der 44-jährige gebürtige Niederösterreicher ist seit 1999 im Polizeidienst. Bevor er die Agenden der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) übernahm, war er unter anderem als Chef des Landeskriminalamts Niederösterreich.
10.000
russische Spione sollen laut einem Artikel der Financial Times alleine in Wien stationiert sein. Laut Experten sind drei Gründe ausschlaggebend: Die Lage mitten im Zentrum von Europa, der Sitz vieler internationaler Organisationen in Wien und nicht zuletzt die Neutralität Österreichs.
Seit dem Jahr 2020
wurden elf russische Diplomaten aus Österreich des Landes verwiesen. Wegen Handlungen, „die mit dem diplomatischen Status unvereinbar sind“. Eine Bezeichnung, die für eines steht: Spionage.
Wie hoch ist die Gefahr solcher Desinformationskampagnen?
Die Desinformationskampagnen haben in der Pandemie begonnen und sich mit dem Beginn des Ukraine-Krieges fortgesetzt. Ein Beispiel: Erst vor wenigen Wochen wurden 30.000 Social-Bots (automatisiertes Computerprogramm, das Aufgaben abarbeitet, Anm.) in Deutschland festgestellt. Hier gab es auch Überschneidungen zu Österreich. Auch in Österreich stehen Politiker gewisser Parteien und Entscheidungsträger im Fokus der Russen, was Desinformation betrifft.
Wie sehr ist nicht nur der Staatsschutz, sondern auch die Gesellschaft in Punkto Desinformation gefordert? Ist sich der Bürger der Gefahr bewusst, die durch Spaltung und Verunsicherung ganz bewusst betrieben wird?
Es ist viel einfacher möglich geworden, über klassische oder soziale Medien Falschinformationen zu streuen, die recht häufig aufgegriffen werden. Es bedarf hier generell einer Sensibilisierung der Gesellschaft, um das Wissen zu erhöhen, dass nicht alles, was man im Internet liest, immer zu 100 Prozent den Tatsachen entspricht. Wir bereiten gerade interministeriell ein entsprechendes Projekt vor, um die Bürger hinsichtlich der Desinformation zu sensibilisieren und aufzuklären. Aber man sollte sich bewusst sein, dass es Medien gibt, die nur den Auftrag haben, Desinformation zu verbreiten. Die Anzahl dieser Medien hat seit der Pandemie zugenommen.
Bleiben wir noch kurz bei der FPÖ und ihrer Rückkehr als Regierungspartei. Als diese zuletzt unter Herbert Kickl als Innenminister das Sagen hatte, kam es zur berüchtigten Razzia im BVT - eine Destabilisierung des Nachrichtendienstes und ein Vertrauensverlust von internationalen Partnern waren die Folge. Wie will man eine Neuauflage dieser Geschehnisse verhindern?
Im Zuge der Verfassungsschutzreform haben wir auf diese Dinge reagiert und entsprechende Schutzmechanismen gesetzt, die solchen Geschehnissen vorbeugen sollen. Wir sind heute ganz anders aufgestellt als damals. Gerade im Bereich der Informationssicherheit. Etwa durch interne Audits, um Schwachstellen zu identifizieren. Zur Kontrolle gibt es auch die unabhängige Kontrollkommission, der wir sehr positiv gegenüberstehen, weil es auch ihre Aufgabe ist, solche Mängel festzustellen, die wir dann beseitigen können.
Wie sehr fürchtet man russische Spione in den eigenen Reihen? Vor allem vor dem Hintergrund des offenbaren Netzwerkes des flüchtigen Wirecard-Managers Jan Marsalek, der Informationen für Russland direkt aus dem BVT bezogen haben soll.
Wenn wir jetzt konkrete Verdachtsmomente vorliegen hätten, dass es Personen innerhalb unserer Organisation gibt, die Informationen bewusst nach Außen spielen, dann würden diese Personen umgehend aus der Organisation entfernt und strafrechtlich verfolgt werden. Ich sage aber auch, dass man weltweit sieht, dass es Innentäter immer geben kann. Man kann nur bestmögliche Vorkehrungen treffen – das tun wir. Aber zu 100 Prozent ausschließen kann man Innentäter nie.
Ist man überhaupt gerüstet für die neue, hybride Form der Kriegsführung?
Ja, das sind wir. Insbesondere seit der Trennung in die Bereiche Nachrichtendienst und Staatsschutz mit einem gemeinsamen Informations- und Lagezentrum und aufgrund anderer Vorkehrungen sind wir innerhalb der DSN für diese Szenarien gerüstet.
In Deutschland haben die abgehörten Taurus-Gespräche verdeutlicht, wie leichtfertig auch Sicherheitsprofis mit hochsensiblen Informationen umgehen. Experten sprechen von „Hack und Leak“, also, dass nicht nur Informationen etwas von Russland ausspioniert, sondern dann auch veröffentlicht werden. Wie schätzen Sie die Gefahr dafür in Österreich ein?
Aus der Zeit der DSN ist mir in Österreich kein Fall bekannt, wo Informationen gehackt oder geleakt wurden. Aber keine Behörde oder Organisation ist davor gefeit, dass so etwas passiert. Unsere Mitarbeiter werden zu diesem hochsensiblen Thema laufend sensibilisiert und geschult. Und für einen möglichen Ernstfall sind wir vorbereitet.
Hat die DSN überhaupt genug Personal um diesen neuen Bedrohungen entgegenzuwirken?
Wir haben seit Beginn der DSN sehr viel neues Personal rekrutiert. Wichtig ist, dass wir dabei auch die Qualität stetig entwickeln. Wir haben aufgrund einzelner Bedrohungslagen, wie die Lage im islamistischen Extremismus und Terrorismus seit dem 7. Oktober oder die Lage bei der Spionage seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine, sehr viel neues Personal zugeführt. Aber es ist in solch hochsensiblen Bereichen auch wichtig, dass man das Personal ordentlich auswählt und entwickelt. Es geht nicht nur um reine Quantität, sondern stark auch um Qualität.
Weg von Russland, hin zum Terror. Nach wie vor gilt im Land die zweithöchste Gefährdungslage. Doch um das Thema ist es sehr ruhig geworden. Ist jetzt alles gut?
Nein, es ist sicher nicht alles gut. Die Terrorwarnstufe ist nachwie vor auf Stufe 4 von 5. Wir sehen, dass sich die Lage definitiv nicht beruhigt. Wir haben in Österreich eine sehr starke Jugendliche-Szene, viele, die sich im Internet radikalisieren und die bereit sind, Gewalt anzuwenden. Der Islamische Staat oder Al Kaida erstarken zeitgleich wieder. Es gibt sehr viele Gewaltaufrufe für den Westen von diesen Organisationen. Das Risiko für einen terroristischen Angriff in Österreich ist weiter sehr erhöht.
Gibt es ein Szenario für einen möglichen Angriff?
Wir haben in den letzten Jahren immer gesagt, das höchste Risiko geht vom radikalisierten Einzeltäter aus, der mit einfachsten Tatmitteln, wie Messern, oder Fahrzeugen, Anschläge ausübt. Diese Einschätzung bleibt bestehen. Wir sehen aber auch, dass durch die vermehrten Aufrufe vom Islamischen Staat, oder Al Kaida, das Risiko für großangelegte und koordinierte Anschläge wieder steigt. Wie etwa 2015 in Paris.
In ihrem Haus steht 2024 der Abschluss der LSE-Reform bevor. Geht sich das noch aus?
Wir sind bei der LSE-Reform auf einem sehr guten Weg. In den Bundesländern können sich die Landesämter nun den wichtigsten Dingen widmen und das ist vordergründig die Extremismusprävention und der Einschätzung von Gefährdern. Ich gehe davon aus, dass die Reform in Kürze zur Gänze umgesetzt ist.
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