Drogenpolitik Thaliastraße: Novelle allein reicht nicht

Polizei auf Kontrollgang
Der Drogenhandel an der U-Bahnstation Thaliastraße wurde Anfang Juni zurückgedrängt. Dafür poppt die Szene einfach (woanders) wieder auf.

Bei der U-Bahnstation Thaliastraße geht es derzeit recht beschaulich zu – zumindest im Vergleich zu einem Tag im April dieses Jahres. Damals standen zum Teil bis zu 25 potenzielle Dealer rund um die U-Bahnstation U6 in Gruppen verteilt auf beiden Seiten des Gürtels und boten ihre Ware feil – zumeist Cannabis. Mit potenziellen Käufern ging es in die Seitengassen der beiden Nachbarbezirke Ottakring und Josefstadt. Daneben sah man nicht selten ein paar Polizisten stehen – relativ teilnahmslos, so schien es.

Eine Stippvisite ergibt nun ein anderes Bild. Dichtes Gedränge zu Stoßzeiten gab es in der U-Bahnstation schon immer. Nur Dealer sieht man jetzt nicht mehr so viele. Der Drogenhandel wurde mit Anfang Juni aus dem öffentlichen Raum verbannt. Was ist passiert? Eine Novelle des Suchtmittelgesetzes: Für Dealen im öffentlichen Raum drohen künftig bis zu zwei Jahre Haft. Kurzfristig ist damit Abhilfe geschaffen. Aktuell berichtet die Polizei von einem neuerlichen Anstieg der Suchtmittelkriminalität entlang der Drogen-Hotspots in Wien.

Was bringt die Gesetzesnovelle?

Kommt drauf an, wen man fragt. Die Polizei sieht einen Erfolg, andere sind skeptischer.

"Überschaubar ist die Szene so lange, wie wir ständig dran sind."

"Die Novelle des Suchtmittelgesetzes hat voll gegriffen. Mit Anfang Juni hat sich die Situation schnell gebessert", sagt Roman Hahslinger, Pressesprecher der Wiener Polizei, im Oktober gegenüber kurier.at. Seit 1. Juni wurden 566 Menschen festgenommen, 390 in Untersuchungshaft genommen. "Das ist eine sehr hohe Zahl, ganz im Gegensatz zu vorher. Das hilft natürlich schon", sagt Hahslinger. Die meisten Festnahmen fanden demnach in den ersten Wochen nach der Novelle statt.

Von Seiten der Polizei sei wichtig, dass die Bevölkerung die Veränderung mitbekomme und sich sicher fühle. Weg aus dem öffentlichen Raum, lautete die Devise. "Der Verkauf verlagert sich jetzt natürlich wieder ein bisschen in den versteckten Bereich, das ist ganz klar", sagt Hahslinger. Wichtig für die Polizei: Anrainer und unbeteiligte Passanten sind nicht betroffen.

Die Strategie der Polizei gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel. Eingegriffen wird, wo die Szene gerade aufpoppt. "Überschaubar ist die Szene so lange, wie wir ständig dran sind. Sobald wir irgendwo locker lassen, wird man überschwemmt, wie man gesehen hat", sagt Hahslinger. Die schnell entstehenden Strukturen müsse man schnell zerschlagen: "Dann bleibt es überschaubar. Sonst wuchert die Szene aus."

"Sie verjagen sie halt von einem Platz zum anderen. Das Problem wird damit nicht gelöst."

Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl, Leiter des Wiener Zentrums für sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung, bezeichnet das Vorgehen der Polizei im Gespräch als "öffentliches Schauspiel" und sagt: "Die Polizei verjagt die Dealer halt von einem Platz zum anderen. Das Problem wird damit nicht gelöst." Kreissl bezieht sich auf Untersuchengen von Ökonomen, wenn er sagt, dass "eine gezielte Legalisierung" Sinn machen würde. Es handle sich demnach nicht um ein "Strafrechtsproblem, sondern um ein Gesundheitsproblem".

Die aktuelle Vorgehensweise sei deshalb allein "Symbolpolitik". Der Handel im privaten Bereich sei sogar schwieriger zu kontrollieren. Haftstrafen würden die Situation auch nicht verbessern. Die Haft sei oft eine "Schule des Verbrechens".

"Das neue Gesetz füllt die Gefängnisse, hilft aber nicht weiter."

Auch Klaus Priechenfried, Leiter von Neustart Wien, einem Verein für Bewährungshilfe, Konfliktregelung und Soziale Arbeit, bezweifelt, dass die kurzfristigen Auswirkungen der Gesetzesnovelle von langer Dauer sein werden. Er findet klare Worte: "Haftstrafen helfen überhaupt nichts." Das Gesetz sei demnach als Gefälligkeit für die Polizei entstanden. Das Problem für Polizei, Richter, Staatsanwälte, Sozialarbeiter sei laut Priechenfried für alle dasselbe: "Wir sehen nur diejenigen, die drinnen bleiben in der Szene. Die Polizisten sind frustriert, wenn sie jemanden zum x-ten Mal verhaften." Wenn derjenige aber wieder aus der Haft entlassen wird, hat sich meist nichts verändert, schon gar nichts zum Besseren. Die Haft "dessozialisiert", sagt Priechenfried und fügt hinzu: "Das neue Gesetz füllt die Gefängnisse, hilft aber nicht weiter."

Die Ausstiege sieht man nicht, die Negativbeispiele schon, das frustriere verständlicherweise, sagt Priechenfried. Dabei gibt es laut dem Leiter von Neustart Wien mehr Ausstiege als Negativbeispiele. Beispielsweise gäbe es bei Jugendlichen, die bei Delikten erwischt wurden, eine Ausstiegsquote von 70 Prozent.

Aber was hilft?

Es hilft die Bekämpfung der Nachfrage, ist Priechenfried überzeugt. Man müsse an die Suchtkranken herankommen, denn solange jemand süchtig ist, sei seine Nachfrage gesichert. Die Stadt Wien sei hier auf einem guten Weg, glaubt Priechenfried und nennt den Rückgang von harten Drogen als Beispiel. Es sei gut, wenn die Polizei präsent ist und Druck aufbaut, aber die Drohung mit Haft allein sei keine langwierige Strategie. Man müsse "gute Angebote an die Szene machen".

Auch Kreissl sieht die Lösung des Problems nicht bei der Novelle. Jede Form der Kriminalisierung steigere nur den Preis, die Nachfrage bleibe aber ungehemmt bestehen. Das "weiche Drogenproblem" könne man durch gezielte Legalisierung lösen, beim "harten Drogenproblem" sei nicht das Strafrecht die Lösung, sondern die Behandlung als Gesundheitsproblem, ist Kreissl überzeugt.

Wo sind die Suchtkranken?

Die Anzahl der Suchtkranken in Wien ist kleiner als medial oft vermittelt. Andrea Jäger von der Sucht- und Drogenkoordination Wien geht in der Hauptstadt von 10.000 bis 13.000 opiatabhängigen Personen aus. Zum Vergleich: Laut Jäger gelten in Wien 35.000 bis 70.000 Menschen als alkoholabhängig, weitere 135.000 bis 175.000 weisen einen problematischen Konsum auf und sind gefährdet, abhängig zu werden. "Alkohol ist unsere Leitdroge, das ist auch kulturell bedingt", sagt Jäger.

Einige Suchtkranke, die in Substitutionstherapie sind, halten sich auch im öffentlichen Raum auf, vor allem auf dem Praterstern und bei der U-Bahnstation Josefstädterstraße. Jäger geht von jeweils 20 bis 25 Personen aus. Bis zum Jahr 2010 kamen rund 170 Suchtkranke täglich zum Karlsplatz. Insgesamt sind in Wien rund 7.000 Menschen in Substitutionsbehandlung. Es gebe oft den Wunsch suchtkranke Menschen nicht zu sehen, aber: "Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft", sagt Jäger.

Sie zeichnet ein positives Bild: "Das Ziel, die Menschen ins Gesundheits- und Sozialsystem zu integrieren, haben wir erreicht. Seit 2010 haben wir die Angebote verdoppelt. Es gibt die Ambulanz der Suchthilfe Wien, wir haben die Notschlafstellenplätze verdoppelt, wir haben die Tageszentren verdoppelt und den Klientinnen und Klienten stehen mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter für Beratungen zur Verfügung. Dadurch gelingt die Integration sehr gut."

Wer sind die Dealer?

Ein Großteil kommt laut Polizei aus West- und Nordafrika. Viele warten auf einen positiven Asylbescheid. Oft stecken internationale Organisationen dahinter, die den Drogenhandel abwickeln. Wird ein Dealer hierzulande verhaftet, wird er kurzerhand in ein anderes Land geschickt, schildert Polizeisprecher Hahslinger das Vorgehen der Hintermänner.

Die Gruppe der Nord-und Westafrikaner ist aber nur eine Gruppe von Straßendealern, sagt Klaus Priechenfried. Sie werden eingesetzt als kleine Dealer. Sie haben nicht viel zum Leben, meist keinen klaren Aufenthaltsstatus, zum Teil hängen sie in langen Verfahren und dürfen keiner legalen Arbeit nachgehen. Das mache viele Junge laut Priechenfried zu "leichten Opfern", sie geraten in den Drogenhandel. Wenn sie erwischt werden, dann ist das den großen Dealern im Hintergrund egal, sagt Priechenfried. Die Gerüchte über größere Organisationen im Hintergrund kennt er, kann sie aber weder belegen noch widerlegen.

Mit 17 Jahren, weit weg von der Heimat, vielleicht noch traumatisiert und nichts zu tun, überrascht es nicht, dass manche nicht widerstehen können, sagt Preichenfried. Das sei aber nur eine kleine Gruppe. Eine andere Gruppe seien Suchtkranke. Dann gibt es noch jene, die Drogen als Geschäft erkennen und damit Geld verdienen.

Wie sieht die Wiener Drogenpolitik aus?

Die Politik der Stadt Wien hat ein klares Ziel. Es darf wienweit kein verfestigter Drogenhandelsplatz entstehen. Dafür arbeiten verschiedene Institutionen zusammen. Neben der Polizei sind das unter anderem die Sucht und Drogen Koordination Wien, die Wiener Linien, die MA 48, die ÖBB und die Bezirke. Andrea Jäger von der Sucht und Drogenkoordination Wien: "Was den Drogenhandel betrifft, gibt es ein wienweites Monitoring."

Die Polizei allein könnte in diesem Bereich auf sich gestellt nicht viel ausrichten, das sagt auch Pressesprecher Roman Hahslinger: "Gedealt wird dort, wo es die entsprechende Infrastruktur gibt." Bauliche Maßnahmen können einen Platz, der zum Drogenhandel genutzt wird, unattraktiv machen. Das bestätigt auch Andrea Jäger von der Sucht- und Drogenkoordination Wien. Um den Praterstern zu entschärfen wurde beispielsweise beim Umbau auf eine offene, einsichtigere Architektur gesetzt. Ein Treffpunkt für Drogenhändler und Suchtkranke bleibt er wegen der Lage und der guten Verkehrsanbindung trotzdem – die Situation ist aber überschaubar.

Und was sagt man auf der Thaliastraße?

"Es macht endlich wieder Spaß hier zu arbeiten," sagt eine Verkäuferin in einer nahe der U-Bahnstation gelegenen Bäckerei. Im Frühjahr war es dagegen "ein Horror". Die Situation sei jetzt sehr entspannt. An einem Würstelstand nahe der U-Bahnlinie hört man Ähnliches. Es sei kein Vergleich zu früher.

Allerdings sind jetzt auch wieder mehr Dealer unterwegs, sagt ein Anrainer. An der Seite zum achten Bezirk entlang der U-Bahnstation, da sollen sich wieder ein paar vermeintliche Dealer tummeln, heißt es am Würstelstand.

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