„Die Instagram-Fotos vor unserer Kirche sind nicht enden wollend“, sagt Pfarrer Harald Mally. Und er kennt sich damit aus: Er ist auf der Social-Media-Plattform unter dem Namen „pfarald“ zu finden.
Die Handyfotografen, die die Wotrubakirche als Kulisse für ihre Bilder nutzen, seien sehr willkommen, aber „leider kommt es in letzter Zeit auch vermehrt zu Nacktfotografie“, so Mally. „Das muss ja nicht sein.“
Jugendtreff
Die Kirche ist generell nicht nur ein Ort christlicher Zusammenkünfte. „Es war schon immer ein magischer Anziehungspunkt“, sagt etwa der 32-jährige Michael P.
Früher habe er sich dort am Abend mit Freunden getroffen. „Auf den Blöcken sind wir dann mit Alkohol und einer Shisha gesessen und haben irgendeinen Blödsinn geredet.“
Bequem war das nicht unbedingt, aber dafür billiger als ein Lokalbesuch. Bis heute wird der Platz als Treffpunkt der Bezirksjugend genutzt.
Verbunden fühlt sich P. der Wotrubakirche auch heute noch. Vor drei Jahren sei darum auch sein Sohn hier getauft worden, im Beisein des Freundeskreises von früher.
„Das hat einfach gepasst, weil das schon immer ein Ort war, bei dem wir gemeinsam füreinander da waren.“ Außerdem: Wenn schon Kirche, dann so, sagt er, denn es sei hier anders als die Norm.
Das Anderssein trifft nämlich nicht nur auf die Optik zu. Auch in der Gemeinde wird vieles fortschrittlich ausgelegt.
Kirche als Yoga-Studio
Im Jahr 2019 hat Pfarrer Mally etwa Yoga- und Meditationskurse organisiert – der KURIER berichtete. Das ist ungewöhnlich, weil Yoga von katholischen Hardlinern als „satanistisch“ bezeichnet wird.
Für Mally war es einfach ein Angebot zur Burnout-Prävention. Auch er hat mitgemacht, in dunkelblauer Anzughose und im hellblauen Hemd.
Seit März wird auch mit einem Banner über den Kircheneingang auf die moderne Denkweise hingewiesen. „Jesus liebt und segnet alle Menschen“ steht dort in den Farben des Regenbogens.
Es ist ein Zeichen des Protests gegen das Veto des Vatikans zur Segnung wieder verheirateter und gleichgeschlechtlicher Paare.
Jeder solle sich in seiner Gemeinde willkommen fühlen, so Mally. Dazu passend wird die geografische Lage der Kirche am Georgenberg auf einer Inschrift als „Ge(b)orgenberg“ bezeichnet.
Die Umgebung der Kirche, mitten im Maurer Wald, trägt zu ihrer Popularität bei. Kein Wunder also, dass auch die Pfadfinder hier zu Hause sind.
Die Gruppe 57 ist in den Räumen unter der Kirche untergebracht. „Man geht raus und steht sofort im Wald“, sagt Tobias Bernhardt, Leiter bei den 57ern. „Das ist eine absolute Luxussituation für eine Gruppe aus Wien.“
Das Heimatgefühl, das der Platz bei so vielen auslöst, ist vielleicht schon in der Geschichte: Immerhin steht der Bau für das Heimkommen.
Die Mutter der Wotrubakirche, Margarethe Ottillinger, geriet nach dem Zweiten Weltkrieg als hohe Beamtin ins Fadenkreuz der sowjetischen Besatzungsmacht.
Bei einem der stalinistischen Schauprozesse wurde sie wegen Landesverrats und Wirtschaftsspionage zu 25 Jahren Strafarbeitslager verurteilt.
Gelübde abgelegt
Während ihrer Gefangenschaft in Sibirien legte Ottillinger das Gelübde ab, im Fall einer Rückkehr eine Kirche zu stiften. Ihr Wunsch ging in Erfüllung: Nach Abschluss des Staatsvertrages 1955 wurde Ottillinger tatsächlich nach Österreich überstellt.
Rund 20 Jahre später wurde auf ihr Geheiß, nach den Plänen von Architekt Fritz Wotruba, auf dem Areal der ehemaligen Luftwaffenkaserne am Georgenberg die Kirche errichtet.
Wotruba selbst wollte mit der Kirche einen Ort schaffen, an dem ein gewisses Entsagen möglich ist. Einen Ort, der „trotz größter Einfachheit schön ist und glücklich macht.“
Entsagt wird am Georgenberg zwar nicht. Aber das mit dem Glück ist gelungen.
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