Causa Heumarkt: Eine Baustelle des politischen Versagens
Spannend, was der Wiener Vorwahlkampf alles bewirken kann: Nach jahrelangem Hin und Her rund um die umstrittene Neugestaltung des Heumarkts ging es am Wochenende plötzlich Schlag auf Schlag.
Die rot-grüne Stadtregierung hat den Bau des 66-Meter–Turms am Sonntag kurzerhand für zwei Jahre eingefroren. Die Bundesregierung legte am Montag nach: Die Pause sei zu wenig, sagte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) an der Seite von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP): „Das Projekt muss verworfen und gestoppt werden.“
Regierung bringt Heumarkt-Hochhaus ins Wanken
Spätestens jetzt ist klar: Es geht schon lange nicht mehr wirklich um den Erhalt des Welterbetitels, der durch das Bauprojekt gefährdet ist. Die Causa ist längst zum Politikum geworden. Türkis-Blau nutzt sie, um sich für die Wien-Wahl in Stellung zu bringen.
Obwohl der Bund auch in den Jahren davor ein Machtwort hätte sprechen können, begann der Streit zwischen Stadt und Bund um das Welterbe erst, als ÖVP und FPÖ eine Koalition bildeten. Sie haben mit dem Heumarkt ein weiteres Thema entdeckt, um die rot-grüne Stadtregierung anzugreifen.
Der Streit kommt vor allem zwei Protagonisten persönlich entgegen: Vizekanzler Strache und Minister Blümel werden bei der Wien-Wahl zentrale Rollen einnehmen. Blümel tritt bekanntlich als Spitzenkandidat an, Strache wahrscheinlich auch.
Notbremse
Die Wiener SPÖ musste am Sonntag ebenfalls taktieren. Sie verschob die finale Entscheidung über das Hochhausprojekt um zwei Jahre – und damit auf einen Termin nach der Wien-Wahl 2020. Der Gefahr, kurz vor der Wahl den Welterbestatus zu verlieren, wollte man sich dann doch nicht aussetzen.
In die Bredouille hat sich Rot-Grün vor Jahren selbst gebracht. Die Stadtregierung rund um den damaligen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), die die Neugestaltung auf den Weg brachte, war sich ihrer selbst zu sicher. Man unterschätzte die Sprengkraft, die das Projekt birgt – und zwar gleich in mehrerlei Hinsicht.
Erstens: Die UNESCO ist nicht so zahnlos, wie sie manche Stadtpolitiker sahen. Als Wien nicht auf ihre Warnungen reagierte, setzte die UNESCO die Welterbestätte auf die Rote Liste. Am Samstag drohte sie mit dem definitiven Entzug des Status.
Zweitens: Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) war politisch zu naiv. Ihr Eintreten für den Turm hat sie die Karriere gekostet. Die Partei hat ihr nie verziehen, dass sie die Flächenwidmung gegen den Wunsch der Basis durchboxte. Mit ein Grund, warum sie sich im Sommer zurückzieht.
Drittens: Die Projektgegner aus der Zivilgesellschaft entpuppten sich als äußerst hartnäckig – und zogen vor Gericht. Das Bundesverwaltungsgericht könnte nun sogar eine Umweltverträglichkeitsprüfung verordnen.
Falsch eingeschätzt haben dürfte das Projekt nicht zuletzt auch Investor Michael Tojner. Er hat trotz zahlreicher Warnungen den Bau mit seiner massiven Höhe vorangetrieben. Dafür bekommt er nun die Rechnung präsentiert: Alleine die bisherigen Verzögerungen haben ihm Kosten in Millionenhöhe beschert. Der neuerliche Aufschub wird sein Budget zusätzlich belasten.
Eislaufverein bangt
Unterdessen bringt die Projektpause auch den Wiener Eislaufverein in finanzielle Probleme. Aufgrund des unklaren Zeitplans kann er sein Areal nicht mehr so leicht untervermieten.
Dazu kommt, dass der Platz zunehmend verfällt. Weil Tojner seit Jahren eine Generalsanierung in Aussicht stellt, hat der Verein seit 2008 nichts mehr investiert. Er fordert nun Unterstützung von der Politik.
Vielleicht bietet sich das ja für die eine oder andere Partei als Wahlkampfversprechen an.
Hintergund
Zehn österreichische Stätten
Neben dem historischen Zentrum ist in Wien das Schloss Schönbrunn samt seiner Gärten Welterbestätte. Ebenfalls vertreten sind die Wachau, die Semmeringbahn, die Region um den Neusiedler See, das Schloss Eggenberg samt der Grazer Innenstadt, die Salzburger Altstadt, Hallstatt und urzeitliche Buchenwälder (u. a. in Dürrenstein). Das einzige heimische Welterbe unter Wasser sind versunkene prähistorische Pfahlbauten (u. a. in Atter- und Mondsee).
Die Liste
Voraussetzung für die Aufnahme in die Welterbeliste ist, dass Bewerber eines von zehn Kriterien aus einem Katalog und zusätzlich die Punkte „Einzigartigkeit“ und „Authentizität“ (Kulturstätten) bzw. „Integrität“ (Naturstätten) erfüllen.
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