Anschlag in Wien: Neue Erkenntnisse zum Waffenlieferanten

Gedenkveranstaltung an die Opfer des Terroranschlags vor einem Jahr in der Wiener Innenstadt
Drei Monate bevor er dem späterem Attentäter ein Sturmgewehr nach Wien brachte, hatte der Slowene dasselbe Modell einem Tschetschenen geliefert.

Neue Erkenntnisse zu Marsel O., dem Waffenlieferanten des Wien-Attentäters, der beim Anschlag in Wien vom 2. November 2020 vier Passanten getötet hatte, ehe er von der Polizei erschossen wurde, hat am Dienstag die Rechercheplattform Dossier publik gemacht. Demnach hatte der Slowene, der dem späteren Attentäter im Juni 2020 auf Vermittlung ein Sturmgewehr der Marke Zastava M70 nach Wien brachte, schon im März 2020 eine baugleiche Waffe nach Wien geliefert.

Mutter übte Druck aus

Abnehmer im Frühjahr 2020 war ein Tschetschene, der mit dem Attentat nichts zu tun hatte und der die Waffe auch nur kurzzeitig besessen hatte - auf Betreiben seiner Mutter gab er das im ehemaligen Jugoslawien hergestellte, auf der Technik des Kalaschnikow-Sturmgewehrs AK-47 beruhende Modell samt Munition und einer mitgelieferten Handgranate wieder zurück.

Dessen ungeachtet wurde der Tschetschene für den kurzzeitigen illegalen Waffenbesitz im April 2021 vom Wiener Landesgericht zu zehn Monaten bedingter Haft verurteilt. Der slowenische Waffenhändler konnte für diesen Deal - ebenso wie für das drei Monate später mit dem Wien-Attentäter abgewickelte Sturmgewehr-Geschäft - aufgrund eines Fehlers der Staatsanwaltschaft Wien nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte.

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Das ließ sich Dossier von der Anklagebehörde bestätigen. Wegen einer im Jahr 2021 irrtümlich verfügten Verfahrenseinstellung war Marsel O. für sämtliche allfällige Verstöße nach dem Kriegsmaterialgesetz nicht mehr zu belangen - eine nachgebaute Kalaschnikow fällt unter das Kriegsmaterialgesetz.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hatte diesen Lapsus der Strafverfolgungsbehörde Ende Mai als "inakzeptablen Fehler, der klare Konsequenzen nach sich ziehen muss" bezeichnet und eine Stärkung der internen Fachaufsicht sowie strukturelle Änderungen in der betroffenen Behörde angeordnet.

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In diesem Zusammenhang erscheinen Dossier-Recherchen insofern bemerkenswert, als diese nun zeigen, dass das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Ende März 2021 die zuständige Staatsanwältin in einem Anlassbericht um Anordnung der Festnahme von Marsel O., einen Europäischen Haftbefehl und eine Hausdurchsuchung ersucht hatte.

Der Verfassungsschutz stieß damit aber auf kein Gehör. "Mangels konkreter Terrorismusverdachtslage" seien die Festnahme sowie die Hausdurchsuchung "nicht bewilligt worden", zitiert Dossier aus dem Endbericht des LVT.

Vater war Polizist

Folglich wurden weder der Wohnsitz von Marsel O. in Slowenien durchsucht noch sein Handy beschlagnahmt, das er nachträglich ablieferte und für das er acht verschiedene Rufnummern verwendet hatte.

Es kam auch zu keinem Auslieferungsersuchen seitens der Wiener Justiz, die gegen den Mann ein Inlandsverfahren führte, weil Slowenien die Übernahme der Strafverfolgung des Mannes abgelehnt hatte. Wie Dossier herausfand, soll dessen Vater in Slowenien etliche Jahre als Polizist gearbeitet haben.

Auf die Frage, womit er sein Geld verdiene, hatte sich Marsel O. zuletzt als Händler in der Bau- und Speditionsbranche deklariert und ein Einkommen von rund 2.000 Euro ins Treffen geführt. Für die Ermittlerinnen und Ermittler des Wiener LVT war seinerzeit "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen", dass er seine "Einkünfte nur aus dem Gewinn aus illegalen Geschäften - unter anderem dem Handel mit Waffen - lukriert". Das schreibt Dossier unter Berufung auf einen Beamten, der dies im Mai 2021 notiert hatte.

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Adam M., der Marsel O. den Waffendeal an den späteren Wien-Attentäter vermittelt hatte und der dafür im vergangenen Februar nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, hatte wiederum in einer seiner Beschuldigteneinvernahmen zur Person des Slowenen angegeben, dieser sei in seiner Heimat und in Österreich "sehr gut" vernetzt: "In Slowenien geht das sogar bis hin zu Kontakten in die Politik, sofern seine Erzählungen stimmen. Ich glaube, wenn man genug Geld hat, kann Ruda (der Spitzname von Marse O., Anm.) fast alles möglich machen."

Wie Dossier jetzt weiters öffentlich machte, soll Adam M. seinen Bekannten darüber hinaus bereits Anfang 2021 gegenüber ermittelnden Beamten des Suchtgifthandels im großen Stil belastet haben, ohne dass das bisher zu strafrechtlichen Ermittlungen in diese Richtung geführt hätte.

"Er ist ein Drogendealer"

"Ruda ist ein Drogendealer. (...) So habe ich ihn kennengelernt. Ich habe meistens zehn bis 20 Gramm Kokain für mich und meine Freunde gekauft. Er bringt sehr viele Drogen nach Österreich. Wenn man ihn gut bezahlt, liefert er es überallhin nach Österreich. Ich habe auch gehört, dass das Geschäft in Graz sehr gut läuft", zitiert die Rechercheplattform aus den Angaben von Adam M.

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