Schuften als Amazon-Zusteller: Prozess macht Zustände öffentlich

Im Saal 41 des Landesgerichts für Strafsachen in Wien lernen Zuhörer am Dienstag einiges: Es geht nicht um Schwerkriminalität. Es geht um den Alltag von Paketzustellern. "Prekär" ist eine höfliche Bezeichnung.
Angeklagt ist nämlich ein ehemaliger Amazon-Paketzusteller. Ihm wird vorgeworfen, den Inhalt von 113 Paketen ausgetauscht zu haben. Bestellte der Kunde etwa teure Schuhe, waren im Packerl billige Socken. So zumindest in der Theorie. Zudem soll der 37-Jährige ein Packerl, in dem sich ein Staubsauger befand, von einer Haustür weg gestohlen haben.
Der Angeklagte, er hat mittlerweile den Job gewechselt und ist jetzt als Hausmeister in einer Schule tätig, gibt den versuchten Staubsauger-Diebstahl in Kaltenleutgeben, NÖ, zu. "Das war vor Weihnachten. Ich habe die Pakete vor den Türen gesehen und eines weggenommen. Ich habe Geld gebraucht, ich wollte meinem Kind ein Geschenk kaufen." Doch dabei wurde er beobachtet. Der Besitzer des Pakets verfolgte ihn - und rief die Polizei.
Doch dass er den Inhalt von Packerl ausgewechselt haben soll, bestreitet der Angeklagte. "Ich hab mich ja schon beim Stehlen so blöd angestellt, dass ich gleich erwischt wurde."
Was der Mann dann von seinem früheren Arbeitsalltag erzählt, sorgt bei einigen Zuhörern für Kopfschütteln. "Ich habe mir die Pakete im Lager in Wien-Liesing abgeholt. Das waren täglich 200 bis 250. Der Transporter war so voll, dass ich die Pakete sogar am Beifahrersitz gestapelt habe." Dann wurde den Fahrern eine optimierte Route vorgegeben. "Das waren täglich 180 Stopps."
Doch die Arbeitszeit begann nicht mit der Abholung im Amazon-Lager. "Wenn mein erster Stopp 150 Kilometer entfernt war und ich 1,5 Stunden hingefahren bin, hat meine Arbeitszeit dann angefangen, wenn ich das erste Paket zugestellt habe", schildert er. Teilweise wäre er bis 23 Uhr unterwegs gewesen. "Bei manchen Leuten musst du 2 oder 3 Mal hinfahren, bis du das Paket übergeben kannst. Dann musst du Stiegen hinauflaufen, oder es gibt Probleme im Verkehr", erklärt er. Also habe er schlampig gearbeitet, wie er zugesteht. "Was meinen Sie damit?", fragt Richter Wolfgang Etl. "Manche Pakete habe ich am Postkasten oder vor der Tür abgestellt."
Die Paketlieferungen von Amazon passieren über Subfirmen, wie auch ein Amazon-Manager, der als Zeuge geladen ist, bestätigt. "Die Routen werden elektronisch vorgegeben. Es wird die effizienteste Route berechnet", erklärt der Manager.
Dass falsche Lieferungen bei den Kunden landen, komme immer wieder vor. Das kann aber mehrere Gründe haben. Etwa Fehler bei der Sortierung - oder auch, dass der Kunde unehrlich ist. "Ein gewisser Prozentsatz ist da normal." Ab wann man misstrauisch wird? "Ab einer Fehlerquote von drei Prozent schaue ich mir das an."
Beim Angeklagten sei die Quote "extrem auffällig" gewesen. Wie hoch genau, will der Richter wissen. Der Manager hat keine Antwort parat. "Ich kann das erheben lassen", bietet er an. "Heute wäre es wichtig gewesen", antwortet der Richter.
Auch, welche Ware ausgetauscht worden sein soll - und was sich schlussendlich in der Post befand - kann der Manager nicht beantworten. Die falsche Ware jedenfalls konnten die Kunden behalten - und bekamen auch noch die ursprünglich bestellte. "Das muss ich nicht zurückschicken?", fragt der Richter nach. "Nein."
Für Etl ist der Fall klar: "Wir sind von einer Verurteilung weit entfernt. Wir haben zig Möglichkeiten, wie es zu den falschen Waren gekommen sein kann. Bei der Bestellung, der Verpackung oder der Auslieferung." Zudem ist unklar, ob tatsächlich minderwertige Ware zugestellt wurde. "Und der Angeklagte wurde bei keinem einzigen Faktum beobachtet."
Für den Versuch, ein Packerl zu stehlen, muss sich der Mann aber noch einmal vor Gericht verantworten - konkret beim Bezirksgericht. "Ich glaube, da kommt eine Diversion infrage", beruhigt er den Angeklagten.
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