Auf einem Spaziergang durch den 21. Bezirk stellt sich der Wiener Bürgermeister den Fragen seines ehemaligen Nachbarn. Kritik pariert er mit wortreicher Gelassenheit.
Wollt ihr jetzt die bessere FPÖ sein? Diese Floridsdorf-Tour muss auf dem Franz-Jonas-Platz beginnen. Dort gilt seit heute, Freitag, ein Alkoholverbot. Verfügt hat es der Wiener Bürgermeister und Bürger des 21. Bezirks, Michael Ludwig (SPÖ).
Die Frage, die sich seinem langjährigen Nachbar in einem Floridsdorfer Gemeindebau stellt: Soll dieses Alkoholverbot tatsächlich ein soziales Problem lösen oder der SPÖ helfen? Die große Frage für die Genossen im zuletzt blau eingefärbtem 21. Bezirk: Wie können wir hier unsere alte Hausmacht von den Freiheitlichen zurückgewinnen?
Michael Ludwig beteuert, dass Polizei und Sozialarbeit "der Gruppe von vierzig Alkoholikern" rasch und verantwortungsvoll entgegen treten werde. Er attestiert den Betroffenen, dass sie nicht aggressiv wären. Stellt sich aber lieber vor jene, die sich dessen ungeachtet bedroht fühlen.
Apropos stellen: Der Bürgermeister stellt sich in seinem Heimatbezirk jedem einzelnen Selfie-mit-dem-Bürgermeister-Wunsch und jedem Gespräch.
Auffallend: Viele wollen ein Foto mit Michael Ludwig. Viele heben den Daumen. Einer offenbart: "In der Familie sind wir leider zu feig. Daher bitte ich Sie: Stellen Sie sich gegen die Bedrohung unserer Demokratie."
Wo Integration wirkt
Vom Bahnhof sind es nur wenige Schritte bis zur Volkshochschule Floridsdorf, zu einem weiteren Heimspiel für den Sozialdemokraten. Hier hat Michael Ludwig seinen ersten regulären Job angetreten, in den 1980ernals Volksbildner.
Zuvor hat er sein Studium mit diversen Nebenjobs finanziert: "Bei der Post habe ich Packerl geschupft." Das passt gut ins Image eines SPÖ-Mandatars. "Später bei der Bahn auch Schienen verlegt." Hm, sein ehemaliger Nachbar vom KURIER schmunzelt.
Wohnbevölkerung: In Floridsdorf sind aktuell 186.233 Menschen gemeldet, 95.450 Frauen und 90.783 Männer.
Bezirksfläche: Floridsdorf wird in der Politik als einer der Flächenbezirke bezeichnet, tatsächlich ist er groß: 44,4 Quadratkilometer.
Wahlergebnis: 29,84 Prozent der abgegebenen Stimmen bei der Nationalratswahl 2024 in Floridsdorf entfielen auf die FPÖ. Nur an zweiter Stelle die SPÖ: 29,60 %. Unter ferner liefen: ÖVP (17,10 %), Neos (8,47 %) und Grüne (7,00 %).
Die Wiener Volkshochschulen bieten bereits seit dem Bosnien-Krieg Integrationskurse für Menschen, die in Österreich Arbeit und/oder Zuflucht suchen, lobt der Ex-Mitarbeiter.
Was zu der Frage führen muss: Hat seine Partei beim Thema Integration in den Wiener Schulen zu lange die Probleme unter den roten Teppich gekehrt? Der "Chef", wie sie ihn in seinem Büro durchaus liebevoll nennen, verzieht keine Miene. Seine aus vielen Sätzen bestehende Antwort lautet: Nein.
Dritte Station der Floridsdorfer Bürgermeister-Tour: das Krankenhaus Nord an der an Sehenswürdigkeiten armen, dafür an Pkw reichen Brünner Straße. Die Aufregungen über bauliche und finanzielle Verfehlungen liegen hier auch schon wieder Jahre zurück. In der Pandemie sorgte das Spital erstmals für positive Schlagzeilen.
Europaweit einzigartig ist das 1.000 Quadratmeter große Simulationszentrum, in dem sich Mediziner und Medizinerinnen nicht nur aus Floridsdorf auf komplizierte Eingriffe vorbereiten können.
Schön für die Wiener und Wienerinnen! Aber was sollen sie jetzt ihren lieben niederösterreichischen Freunden (zum Beispiel im angrenzenden Weinviertel) sagen, die zum Teil in Wien arbeiten und künftig länger auf Operationen warten sollen?
Michael Ludwig antwortet erneut höflich und unaufgeregt, die Botschaft ist jedoch glasklar: Beschwert euch bitte bei eurer Landeshauptfrau und ihrem Landeshauptfrau-Stellvertreter. Wir können über alles reden, allerdings auch über eine faire Finanzierung. Schlusssatz: "Unsere Türen stehen offen."
Ein vom Ableben hart bedrohter Patient war vor einigen Jahren auch der Schlingermarkt. Mit dessen jüngster Entwicklung zeigt sich der weiterhin in Floridsdorf wohnende Stadtchef sehr zufrieden: Sowohl über sein verändertes Aussehen (mit einem Anger in der Mitte) als auch mit dem Spirit durch neue und verbliebene Standler. Frequenz fehlt halt noch, speziell an Wochentagen.
Apropos Marktwirtschaft: Zur Kritik der Opposition, wonach die Stadtregierung das Riesen-Budgetloch erst nach den Wahlen präsentieren werde, lautet Ludwigs Antwort auf einen Nenner gebracht: Stimmt nicht, alles transparent, im Gegensatz zum Bund.
Letzte Station der Floridsdorf-Tour: Der Schlingerhof, ein Gemeindebau, errichtet in den Jahren 1924 bis 1926. Kaum jemand in der Stadt kennt die Geschichte des kommunalen Wohnbaus in Wien besser als der studierte Historiker. Gute Geschichte, oft erzählt.
Dass es inzwischen auch in Wien junge Menschen gibt, die sich das Wohnen nicht mehr leisten können, bestreitet Michael Ludwig nicht. Dennoch werde in der Stadt ausreichend unternommen, dass speziell jene, die finanziell unter Druck geraten sind, über die Runden kommen können.
Zu Mittag wird übrigens kein weißer Spritzer kredenzt. Der bleibt ein Markenzeichen seines Parteifreunds, seines Vorgängers als Bürgermeister und Vornamenvetters, des Ottakringer Michls.
Kommentare