Tiroler Alpinist: "Wie in einem Horrorfilm"
1978 leitete Wolfgang Nairz die erste erfolgreiche österreichische Expedition auf den Mount Everest und hat den Berg dabei selbst erklommen. Nepal ist die zweite Heimat des Tirolers, die er auch seit Jahren durch Hilfsprojekte unterstützt. Die Beben-Katastrophe hat der 70-Jährige hautnah bei einer Trekking-Tour mit sechs Tiroler Freunden in der Khumbu-Region miterlebt, wie er dem KURIER am Telefon erzählt.
"Wir waren auf dem Weg nach Khumjung, einem Hauptdorf der Sherpa, als uns das Erdbeben überrascht hat. Die Erde hat zwei Minuten gewackelt, dass man kaum stehen konnte. Riesige Steinlawinen sind abgegangen und es war ein gewaltiges Rauschen und Dröhnen in der Luft", beschreibt die Alpinlegende die bangen Momente.
Den Sherpas ist der Tiroler tief verbunden. "Es ist schrecklich zu sehen, wie die Leute aus den Häusern springen, wenn es ein Nachbeben gibt. Ich habe mit Freunden gesprochen, die alle sagen: Wir sind froh, überlebt zu haben." Wolfgang Nairz und seine Begleiter sind selbst nur haarscharf Schlimmerem entgangen. "Wären wir zehn Minuten früher unterwegs gewesen, wären wir in einer Lodge gesessen, die komplett zerstört wurde."
Chaos im Basiscamp
Am Sonntag erreichte die Gruppe Lukla, wo sich der Everest-Flughafen befindet. "Heute sind den ganzen Tag die Hubschrauber geflogen und haben Verletzte aus dem Basiscamp gebracht. Dort herrscht scheinbar das pure Chaos", erzählt Nairz.
Auch der blinde Alpinist Andy Holzer ist im Katastrophengebiet. Am Tag nach dem Beben wurden dem Osttiroler Extrembergsteiger und seinen drei Begleitern zunehmend die Dimensionen des Unglücks bewusst. Holzer und seine Kameraden erlebten den Erdstoß beim Aufstieg in das ABC-Camp auf rund 6400 Metern. "Das war wie in einem Horrorfilm. Spalten haben sich geöffnet und geschlossen", berichtet Holzers Frau Sabine nach einem Telefonat mit ihrem Mann.
Auch der Grazer Clemens Strauss ist im ABC-Camp: Der Berg habe "anständig gewackelt und mit ihm unsere Zelte", so Strauss.
Die österreichischen Bergsteiger befinden sich auf der Nordseite des Mount Everest– und damit nicht dort, wo eine tödliche Lawine niederging: Bei jedem Zittern der Berge lösen sich Lawinen und Erdrutsche. Mindestens 19 Alpinisten starben allein im Basislager. Der deutsche Bergsteiger Jost Kobusch hat den Moment der Lawine gefilmt und auf Youtube hochgeladen:
Tote am Straßenrand
Der Wiener Thomas Schrom erlebte das Beben in Patan, der Schwesterstadt Kathmandus: "Es waren dramatische Bilder. Schockierend und traurig", berichtet Schrom. Er lebt seit Langem in Nepal und leitet Restaurierungsprojekte historischer Stätten, wie die alten Königspaläste rund um den "Durbar Square" in Patan. In diesem Areal stürzten ebenfalls zwei große Tempel ein. Außerhalb der Stadt seien viele Häuser in sich zusammengebrochen, zahlreiche Tote wurden vorerst am Straßenrand abgelegt. "Es schaut katastrophal aus."
Er selbst ist glimpflich davongekommen. "Mein Wohnhaus in der Altstadt steht noch, aber in der Mauer sind etliche Sprünge", sagt Schrom. Und: "Wir können wenig tun. Es geht jetzt vorrangig um die vielen Menschenleben."
3200 Todesopfer
Mindestens 3200 Menschen starben bei dem schweren Erdstoß, der Nepal, aber auch Indien, China und Bangladesch erschütterte; Zehntausende Menschen wurden verletzt. Die Hilfsorganisation Care sprach von 40.000 Verletzten in Kliniken. Das ganze Ausmaß der Zerstörung war bei Weitem noch nicht abschätzbar.
Der Erdstoß am Samstag zerstörte große Teile der Infrastruktur Nepals, zahlreiche alte Häuser sowie Weltkulturerbestätten. Mit einer Stärke von 7,8 war das Beben der gewaltigste Erdstoß in Nepal seit mehr als 80 Jahren.
Eine große internationale Hilfswelle ist angelaufen, doch zunächst wurde vor allem Kathmandu erreicht. Ganze Viertel liegen in Trümmern; Helfer graben zum Teil mit bloßen Händen verzweifelt nach Verschütteten. Krankenhäuser sind so überfüllt, dass Verletzte auf den Straßen behandelt werden.
Alle öffentlichen Plätze der Stadt haben sich in Zeltlager verwandelt. Die Menschen trauen sich nicht mehr in ihre Häuser, weil Nachbeben die Region erschüttern. Auch Touristen campieren im Freien. Viele wollen so rasch wie möglich ausreisen, sitzen aber fest, weil der Flughafen wegen der Nachbeben immer wieder geschlossen wird.
20 Österreicher gesucht
Derzeit ist Hauptsaison für Bergsteiger – etwa 300.000 Touristen befinden sich in Nepal. Im Außenministerium in Wien meldeten sich laufend besorgte Angehörige von Österreichern, die in der Region sind. Etwa 88 Österreicher sollen sich gerade in Nepal aufhalten. Zu einem Großteil gab es bereits Kontakt, die Betroffenen sind unverletzt. Rund 20 Personen wurden noch nicht erreicht. Martin Weiss, Sprecher des Außenministeriums, sagte: "Die Liste verändert sich ständig."
Extrembergsteiger Reinhold Messner bezeichnete das Beben als "große Tragödie". Messner und Peter Habeler waren 1978 die ersten, die den Everest ohne künstlichen Sauerstoff bezwangen – unter der Leitung von Wolfgang Nairz. Messner zeigte sich erschüttert: "Ich bin auch überzeugt, dass die Toten viel mehr sein werden, weil die Nachrichten erst nach Tagen und Wochen nach Kathmandu kommen."
Es ist ein gutes Gefühl, jetzt nach Nepal zu fliegen und helfen zu können“, erklärte Andrea Reisinger dem KURIER, kurz bevor sie am Sonntag in ein Flugzeug nach Kathmandu stieg. Die Katastrophenhelferin des Roten Kreuzes kennt Nepal, hat zweieinhalb Jahre dort gelebt. „Wir haben damals schon präventiv Vorbereitungen für ein Erdbeben getroffen, weil klar war, dass es in dieser Region in den nächsten Jahren dazu kommen wird“, sagt Reisinger.
Von Kathmandu aus wird sie ab heute, Montag, in der Zentrale der internationalen Hilfsorganisationen agieren und auch ins Umland fahren, um zu helfen, die Menschen mit Lebensmitteln, Medikamenten und vor allem Trinkwasser zu versorgen. Wie lange sie bleiben wird ist noch unklar: „Das Ticket ist erst einmal auf einen Monat begrenzt, wenn meine Hilfe aber länger nötig ist, werde ich natürlich bleiben.“ Das Flugzeug ins Katastrophengebiet hat Andrea Reisinger am Sonntag mit ihrem Kollegen Georg Ecker bestiegen. Er ist Experte für Trinkwasseraufbereitung und ebenfalls erfahrener Katastrophenhelfer.
Eingespieltes Team
Für die beiden Österreicher ist es nicht die erste Zusammenarbeit dieser Art. Schon bei dem verheerenden Erdbeben in Haiti 2010 waren sie gemeinsam vor Ort, um zu helfen. „Mein Kollege wird sich um die Trinkwasserproblematik kümmern. Er war auch schon privat in Nepal und kennt das Land. Durch meinen zweieinhalb Jahre langen Aufenthalt sind wir bestimmt ein gutes Team, das sich auch schnell und vor allem sinnvoll einbringen kann“, erklärte Reisinger.
So atemberaubend die Landschaft und so beeindruckend die Kultur-Denkmale – der Alltag der meisten Nepalesen schaut trist aus. Das Land mit seinen rund 30 Millionen Einwohnern zählt nämlich zu den 20 ärmsten Staaten der Welt. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt gerade einmal bei umgerechnet 500 Euro. Das heißt: Statistisch gesehen stehen jedem Bürger pro Tag nur rund 1,4 Euro zur Verfügung. Fast die Hälfte der Kinder ist chronisch unterernährt, die Lebenserwartung ist die niedrigste in Asien.
Mit 147.200 Quadratkilometern ist Nepal etwa so groß wie Griechenland. Erst vor sieben Jahren konnte der Bürgerkrieg, der zehn Jahre lang im Land tobte, beendet werden. 2008 trat dann die neue Verfassung in Kraft, die Nepal zur Republik machte. Damit endete die hinduistische Monarchie, die über 240 Jahre beherrschend und von maoistischen Rebellen im Bürgerkrieg bekämpft worden war.
Trekkingtouren
Die Haupteinnahmequelle des Landes an der Südflanke des Himalaja-Massivs ist der Tourismus. Im Jahr 2012 (jüngere Zahlen existieren nicht) strömten rund 800.000 Ausländer nach
Nepal. Die meisten buchen Trekkingtouren, geübte Alpinisten versuchen sich am höchsten Berg der Welt, dem 8848 Meter hohen Mount Everest.
Und wieder andere besuchen die alten Königspaläste - und -stätten. Allein im Tal der Hauptstadt Kathmandu finden sich sieben Plätze, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.
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