Wie "Mein Kampf" zum Bestseller wurde

Vor einem Jahr wurde eine kritische Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" veröffentlicht. Bis dato wurden 85.000 Exemplare verkauft.

Vor der "Büchse der Pandora" warnte die Vorsitzende der Israelitschen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, kurz vor der Veröffentlichung einer kommentierten Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf" (mehr dazu hier). Ein Jahr danach ist die kritische Edition des Institutes für Zeitgeschichte ein Bestseller: 85.000 Exemplare wurden nach IfZ-Angaben verkauft.

Ende Jänner erscheint nun die sechste Auflage des Buches, das Hitlers Machwerk mit einordnenden, wissenschaftlichen Kommentaren versieht. Im April 2016 schaffte es das Buch auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste - und das, obwohl ein Bestseller von Seiten der Wissenschafter nie geplant war. "Diese Verkaufszahlen haben uns überrollt", sagt Institutsdirektor Andreas Wirsching im Interview (siehe unten). An 70 Veranstaltungen zum Thema haben Mitarbeiter des Institutes teilgenommen - auch im Ausland von Amsterdam über Moskau und Toronto bis Zürich.

Wie "Mein Kampf" zum Bestseller wurde
An opened page of a copy of an annotated version of Adolf Hitler's book "Mein Kampf" is pictured prior to a press conference for it's presentation in Munich, southern Germany, on January 8, 2016. New copies of Hitler's "Mein Kampf" hit bookstores in Germany for the first time since World War II, unsettling some Jewish community leaders as the copyright of the anti-Semitic manifesto expires. The southern German state of Bavaria was handed the copyright of the book in 1945, when the Allies gave it control of the main Nazi publishing house following Hitler's defeat. For 70 years, it refused to allow the inflammatory tract to be republished out of respect for victims of the Nazis and to prevent incitement of hatred. / AFP / Christof STACHE

Publikation korrigiere sachliche Fehler

Vor rund zwei Monaten bekamen Projektleiter Christian Hartmann und sein Team den mit 50.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis "Gesellschaft braucht Wissenschaft". "Der Historiker Christian Hartmann und sein Team schließen mit der historisch-kritischen Edition von 'Mein Kampf' eine große Lücke in der Forschung über den Nationalsozialismus in Deutschland", hieß es in der Begründung. "Die Publikation zeigt Hitlers Falschaussagen und Verdrehungen auf, korrigiert sachliche Fehler und erläutert den zeitgenössischen Kontext."

Das Institut selbst fasst zusammen: "Es gab keine Strafanzeigen gegen die kritische Edition des IfZ, keine Propaganda-Aktionen von rechter Seite und auch keine durchschlagenden Kampagnen rechtsgesinnter Verlage, unmittelbar nach Ablauf des Urheberrechts 'Mein Kampf' auf den Markt zu bringen." Eine unrühmliche Ausnahme bildet nur der rechte Verlag "Der Schelm", der im vergangenen Jahr ankündigte, Hitlers Originaltext "ohne lästige Kommentare von Gutmenschen" nachdrucken zu wollen und der das Buch als "wissenschaftlichen Quellentext" auf seiner Homepage bewirbt. Er rief damit die Staatsanwaltschaft auf den Plan.

Wie "Mein Kampf" zum Bestseller wurde
A copy of the book 'Hitler, Mein Kampf. A Critical Edition' lies on a display table in a bookshop in Munich, Germany January 8, 2016. For the first time since Adolf Hitler's death, Germany is publishing the Nazi leader's political treatise 'Mein Kampf' ('My Struggle') unleashing a highly charged row over whether the text is an inflammatory racist diatribe or a useful educational tool. REUTERS/Michael Dalder

Politik- und geschichtsinteressierte Leser

Das Ziel, diesem und ähnlichen Vorhaben den Wind aus den Segeln zu nehmen, sieht Wirsching mit der seriösen, wissenschaftlich kommentierten Ausgabe dennoch erreicht. "Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Text vagabundieren zu lassen." Die Käufer der Ausgabe, so sagt das IfZ, "sind keine Ewiggestrigen oder gar Rechtsradikale", sondern seien vielmehr politik- und geschichtsinteressierte Leser. Viele Lehrer seien darunter.

Inzwischen ist auch der Einsatz von "Mein Kampf" als Quelle im Geschichtsunterricht ein heiß diskutiertes Thema geworden (mehr dazu hier). Die bayerische Landeszentrale für politische Bildung arbeitet derzeit an einer Handreichung, wie Auszüge aus "Mein Kampf" auch im Geschichtsunterricht genutzt werden können. Vor der Veröffentlichung soll der Landtag informiert werden. Einen konkreten Termin gibt es noch nicht. Ein Sprecher des Kultusministeriums sagte: "Es geht darum, sensibel mit einer schwierigen und historisch sehr belasteten Quelle umzugehen."

"Es wäre absurd, in die Diskussion der 50er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war's."

Institutsdirektor Wirsching reagiert bei der Idee eher verhalten. "Ich habe da persönlich ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu dieser Frage", sagt er. "Es wäre absurd, in die Diskussion der 50er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war's. Ich warne da vor einer zu starken Hitler-Zentrierung in der öffentlichen Diskussion und vor allem im Geschichtsunterricht."

Als die Urheberrechte an Adolf Hitlers Machwerk "Mein Kampf" ausliefen, brachte das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München eine kommentierte Ausgabe der Hetzschrift auf den Markt. Institutsdirektor Andreas Wirsching spricht ein Jahr nach der Veröffentlichung im dpa-Interview über einen ungeplanten Bestseller und erklärt, warum er "Mein Kampf" im Geschichtsunterricht auch kritisch sieht.

Auch wenn Sie das nicht wollten: Die kritische "Mein Kampf"-Ausgabe Ihres Institutes ist längst zum Bestseller geworden. Hat Sie das überrascht?

Andreas Wirsching: Dass es bei den 4.000 Exemplaren der ersten Auflage nicht bleiben würde, davon sind wir schon ausgegangen. Aber inzwischen sind wir bei 85.000 verkauften Büchern. Ende Jänner kommt die sechste Auflage auf den Markt. Diese Verkaufszahlen haben uns überrollt, damit konnte wirklich niemand rechnen.

Wie waren denn die Reaktionen?

Inzwischen ist aus dem anfänglichen Hype eine fachwissenschaftliche Diskussion geworden. Wissenschafter arbeiten damit. Es gibt auch die ersten Rezensionen in Fachorganen, die teilweise sehr gut ausfallen und teilweise etwas kritischer.

Mit dem Erscheinen Ihrer Edition kam auch die Frage auf, ob Auszüge aus dem Buch als Quelle im Schulunterricht verwendet werden sollten. Wie stehen Sie dazu?

Der bayerische Landtag hat das Thema ja stark diskutiert und in diesem Jahr erscheint eine Handreichung der Landeszentrale für politische Bildung zum Umgang mit "Mein Kampf" im Unterricht. Ich bin auch der Meinung, dass jeder clevere Lehrer aus unserer Ausgabe auch so schon etwas ziehen und damit arbeiten kann. Allerdings habe ich da persönlich ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu dieser Frage. Es wäre absurd, in die Diskussion der 50er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war's. Ich warne da vor einer zu starken Hitler-Zentrierung in der öffentlichen Diskussion und vor allem im Geschichtsunterricht.

Seit die Urheberrechte an "Mein Kampf" zum Jahresende 2015 ausgelaufen sind, kann ein Nachdruck nicht mehr urheberrechtlich, sondern nur noch mit dem Straftatbestand Volksverhetzung verhindert werden. Der rechtliche Status Ihrer Edition war darum etwas unklar. Gab es seit Erscheinen denn irgendwelche Anzeigen gegen Ihr Institut?

Nein. Wir haben da Vorsorge getroffen und schon vor dem Erscheinen der Edition bei den Amts- und Landgerichten eine sogenannte vorläufige Hinterlegung gemacht mit Informationen über unsere kritische Ausgabe. Damit kann man eine einstweilige Verfügung im Zweifel verhindern - aber es gab justiziell gar nichts.

Sie sind vor allem mit dem Ziel angetreten, denjenigen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die "Mein Kampf" 70 Jahre nach Hitlers Tod nicht aus wissenschaftlichen Gründen wieder verbreiten wollen. Hat das geklappt?

Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Text vagabundieren zu lassen. Das sieht man auch daran, dass der rechte Leipziger Schelm-Verlag Mitte 2016 angekündigt hat, "Mein Kampf", wie es hieß, "ohne lästige Kommentare von Gutmenschen" nachzudrucken. Weitere Vorhaben dieser Art sind uns nicht bekannt.

Wird Ihre Edition noch in andere Sprachen übersetzt?

Es wird eine französische Ausgabe geben. Das ist zwar keine Eins-zu-Eins-Übersetzung. Es wird bei Übersetzungen ja immer gekürzt und überarbeitet. Aber unsere Kommentare werden zu zwei Dritteln übersetzt. Daneben habe ich von einem Projekt in den Niederlanden gehört. Aber wir werden aller Voraussicht nach keine weiteren Übersetzungen betreuen und auch keine Lizenzen vergeben. Das überschreitet einfach die Kapazitäten unseres Institutes. Am Anfang gab es 70 Übersetzungsanfragen, da sind wir schon etwas nervös geworden. Aber die haben sich de facto nicht konkretisiert. Das einzige, was mir machen würden, wäre eine englische Übersetzung, weil die Reichweite sehr groß wäre. Da gibt es aber noch keine konkreten Vorhaben.


Zur Person: Der Historiker Andreas Wirsching ist Direktor des Institutes für Zeitgeschichte. Vorher war er Geschichtsprofessor an den Universitäten Tübingen und Augsburg. Außerdem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

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