Afghane nach Sammelabschiebung: "Muss wieder fliehen"

Am Morgen ist der erste Sammelabschiebeflug aus Deutschland in Afghanistan angekommen. Die Stimmung bei den abgelehnten Asylwerbern reichte von Traurigkeit, Wut bis Zynismus.

Die ersten 34 in Deutschland abgelehnten afghanischen Asylbewerber sind nach einem Nachtflug aus Frankfurt am Main in der afghanischen Hauptstadt Kabul angekommen. Ihr Flugzeug landete am frühen Donnerstagmorgen um kurz nach 5.00 Uhr morgens am Hamid-Karsai-Flughafen. Dort wurden sie von viel Polizei erwartet, sowie von Vertretern der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des afghanischen Flüchtlingsministeriums.

Afghane nach Sammelabschiebung: "Muss wieder fliehen"
An airplane of Meridiana airline, chartered to deport refugees back to Afghanistan prepares to take off at the airport in Frankfurt am Main, western Germany on December 14, 2016. / AFP PHOTO / DANIEL ROLAND
Es ist eine verlorene kleine Truppe, die da im Morgengrauen am Kabuler Flughafen angekommen ist. Einer der jungen Männer riss in der Ankunftshalle die Arme hoch zum Siegessalut, aber es wirkte eher zynisch. Ein anderer kniete draußen vor dem Terminal nieder und küsste den kalten Zement. Es veriet ein wenig von dem, was er in Deutschland erlebt hat. Andere unterhielten sich leise, beantworteten die Fragen von Journalisten, gingen dann nach und nach mit Taschen oder einem Pappkarton im Arm hinaus. Wohin? Viele wissen es nicht.
Afghane nach Sammelabschiebung: "Muss wieder fliehen"
An Afghan, whose asylum application has been rejected, arrives from Germany in Kabul airport, Afghanistan December 15, 2016. REUTERS/Omar Sobhani

"Dann muss ich wieder versuchen, zu fliehen"

Die Stimmung war laut einer Reportage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gedrückt. Viele der Flüchtlinge waren traurig oder wütend. Babur Sedik (22) sagte, er habe vier Jahre in Deutschland verbracht, sei aber nie über Flüchtlingsheime oder Lager hinausgekommen. Er wisse nicht, wie es jetzt weitergehe. Er stammt aus der Provinz Kabul. Die ist noch vergleichsweise sicher. "Aber wenn die Sicherheitslage sich nicht verbessert und ich keine Arbeit finde, habe ich keine andere Wahl - dann muss ich wieder versuchen, zu fliehen. Oder ich muss nach Pakistan oder ein anderes Land gehen."

Der 22-jährige Rahmat Khan, der aus der umkämpften ostafghanischen Provinz Paktia geflohen war, sagte, dorthin könne er nicht wieder zurück. Überall seien dort die Taliban. Er habe fünf Jahre in Deutschland verbracht, zuletzt als Kellner gearbeitet, habe die Sprache gelernt. "In Deutschland wollte ich an einer besseren Zukunft für meine Familie arbeiten", sagte er. Was jetzt komme oder wohin er gehe, wisse er nicht.

Vom Krieg zerrissen

Abschiebungen in das vom Krieg zerrissene Afghanistan sind umstritten, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Talibanrebellen gibt und immer wieder zu Anschlägen kommt.

"Hier herrscht Krieg", hat EU-Botschafter Franz Michael Mellbin im Gespräch mit der dpa neulich gesagt. "Hier gibt es einen entschlossenen Feind, der den Staat herausfordert." Es passt nicht so recht zu den Szenarien "sicherer Herkunftsorte", die einige deutsche Politiker ausmalen, um die Proteste über die Abschiebung von Menschen in ein Kriegsgebiet zu dämpfen.

De Maizière: "Hinreichend sicher"

Die Aktion sei "richtig und notwendig, um das Asylsystem funktionsfähig zu halten", sagte hingegen der deutsche Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Ein Drittel der Abgeschobenen seien Straftäter gewesen. Sie seien wegen Diebstahl, Raub, Drogendelikten, Vergewaltigung und Totschlag verurteilt und aus der Haft abgeschoben worden.

Afghane nach Sammelabschiebung: "Muss wieder fliehen"
German Interior Minister Thomas de Maiziere attends a press conference in Berlin, on December 15, 2016 on Afghan refugees who have been sent back to Kabul. A group of 34 Afghan asylum seekers arrived in Kabul Thursday after being deported from Germany, the first such batch to be sent back after their applications were rejected. / AFP PHOTO / dpa / Kay Nietfeld / Germany OUT
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibe nicht einfach, sie sei kompliziert, sagte der Minister. Aber es gebe regionale Unterschiede. Viele Gebiete im Land seien hinreichend sicher und erlaubten eine Rückkehr. Er wies darauf hin, dass die radikalislamischen Taliban bei Anschlägen ausländische und einheimische Sicherheitskräfte im Visier hätten, nicht aber die Zivilbevölkerung. Insofern sei eine Rückkehr zumutbar. Man müsse dabei verantwortungsvoll und behutsam, aber ebenso bestimmt und konsequent vorgehen.

Viele der jungen Männer im Charterflugzeug waren schon aus Afghanistan geflohen, als die Sicherheitslage noch besser war - vor drei, vier, sieben Jahren. Sie kehren zurück in eine Krise, die in der Welt angesichts so vieler neuer, näherer oder noch größerer Krisen nur noch wenig Aufmerksamkeit erregt, obwohl sie sich stetig verschärft.

"Es bricht mir das Herz"

Einige der Abgeschobenen wissen allerdings gut, was sie erwartet. Ali Hussaini (22) weint fast. Er schluckt bei jedem zweiten Wort. Er stammt aus einer der ärmsten und am schwersten umkämpften Gegenden des Landes, aus der zentralafghanischen Provinz Urusgan. Vor fünf Jahren ist er nach Deutschland geflohen. In seinem Bezirk habe es schon damals Bombenanschläge gegeben, sagt er. Heute ist Urusgan ein Hauptziel der Taliban-Offensiven. In die Hauptstadt Tirin Kot sind sie vor einigen Wochen schon kurz eingedrungen.

"Ich wollte Sicherheit in Europa", sagt Hussaini. Und bevor die Iraker und Syrer kamen, sagt er, hätten Afghanen noch eine Chance gehabt. Aber danach: "Jahrelang warten und dann abgelehnt werden - es bricht mir das Herz." Er habe gearbeitet und Geld verdient. Als Kellner, auf dem Bau. Er habe Miete gezahlt. "Und dann kommt um vier Uhr morgens die Polizei und sagt, Afghanistan ist jetzt sicher, ich soll zurückgehen. Sie haben mir Handschellen angelegt."

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An Afghan, whose asylum application has been rejected, kisses the ground after he arrived from Germany in Kabul airport, Afghanistan December 15, 2016. REUTERS/Omar Sobhani
Der junge Mann, der den Boden vor dem Terminal geküsst hat, heißt Matiullah. 22 Jahre alt sei er, sagt er. Sieben Jahre lang war er in Deutschland. Er habe studiert, sagt er. Was, das sagt er nicht. Er liebe Afghanistan, sagt er, aber viel Hoffnung für sein Land hat er nicht. Matiullah stammt aus Laghman. Das grenzt an die umkämpften Provinzen Nangarhar und Kunar. In Kunar haben US-Drohnen jüngst hochrangige Al-Kaida-Kommandeure getötet. In Nangarhar fliegen die USA wöchentlich Luftangriffe auf Stellungen der Terrormiliz IS. „Ich komme zurück in diese Situation mit nichts“, sagt Matiullah.

Freiwilligen Rückkehrern gibt die Bundesregierung 700 Euro. Die Abgeschobenen haben 50 Euro bekommen. Die afghanische Regierung hat keine Mittel für seine heimgeschickten Bürger. Nun reihen sie sich möglicherweise ein in die neuen, großen Ströme der Heimatlosen. Die Zahl der Kriegsvertriebenen übersteigt 2016 alle Erwartungen. Mehr als 530 000 Menschen sind bisher aus ihren Dörfern geflohen - zu Anfang des Jahres hatten die UN noch mit rund 250 000 gerechnet.
Ein Mitarbeiter des Flüchtlingsministeriums sagt am Tag der Abschiebung, es gebe nun Streit zwischen EU und afghanischer Regierung. Schon ab Januar wolle die EU nun jede Woche 400 bis 500 Afghanen zurückschicken. Die Afghanen wollen das nicht. Sie wollen die Obergrenze bei zwei Flügen pro Woche und nicht mehr als je 50 Passagieren setzen. Mit mehr sei einfach nicht fertigzuwerden.

Seehofer: "Hoffentlich keine einmalige Aktion"

Innenminister De Maizière wies darauf hin, dass in diesem Jahr bereits 2300 Afghanen freiwillig aus Deutschland in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Die Bundesregierung fördere dies und habe dafür zusätzliche 40 Millionen Euro bereitgestellt. Das Instrument der freiwilligen Rückkehr funktioniere aber nur dann,
wenn Personen mit fehlender Bleibeberechtigung abgeschoben würden.

Acht der jungen Männer waren aus Bayern abgeschoben worden, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Mitteilung am Mittwochabend bestätigte. CSU-Chef Horst Seehofer begrüßte die Maßnahme. "Und ich hoffe, dass es keine einmalige Aktion ist", sagte er in der ARD-Sondersendung "Farbe bekennen", die am Mittwochnachmittag aufgezeichnet wurde.

Afghane nach Sammelabschiebung: "Muss wieder fliehen"
Afghans, whose asylum applications have been rejected, arrive from Germany in Kabul airport, Afghanistan December 15, 2016. REUTERS/Omar Sobhani
Weitere Passagiere des Abschiebeflugs kamen aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und dem Saarland.
In Deutschland hatte die Abschiebung der Asylbewerber Proteste ausgelöst. Die nordrhein-westfälische Grünen-Politikerin Monika Düker will aus Protest ihre Funktion als flüchtlingspolitische Sprecherin der NRW-Landtagsfraktion aufgeben, wie ein Sprecher sagte.

Am Frankfurter Flughafen protestierten mehrere Hundert Demonstranten gegen die Abschiebung. Kritik kam auch von der Opposition und Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „unbarmherzigen Spiel“ von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Ärzteorganisation IPPNW hält die Maßnahme für unvereinbar mit der Achtung der Menschenrechte.

Für eine schnellere Rückführung abgelehnter Asylbewerber könnte es bald eine zentrale Einrichtung in Deutschland geben: Es werde weiter die Frage erörtert, ob zur effektiveren Rückführung eine zentrale Stelle geschaffen werden solle, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag in Berlin. Die Zahl der neuen Asylanträge ging im November zurück.

Die Rückführung von Flüchtlingen und eine zentrale Einrichtung dafür waren Thema des Treffens von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder am späten Donnerstagabend in Berlin. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), kündigte dazu einen Vorschlag des Bundes an.

Nach Angaben Merkels soll ein gemeinsames Zentrum zur Rückführung nach dem Beispiel des Terrorbekämpfungszentrums gebildet werden. Dort sollten sich permanent Beamte des Bundes und jedes einzelnen Bundeslands täglich über die Frage austauschen können, "was gerade drückt und was die zentralen Probleme sind". Anfang Februar sollten Eckpunkte dafür zusammengetragen werden.

"Wir wollen Recht und Gesetz durchsetzen, auch weil wir sonst denen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, nicht ausreichend helfen können", sagte Merkel nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten in der Nacht auf Freitag. Nach den kontroversen Diskussionen "sind wir jetzt zu einer Gemeinsamkeit im Ansatz gekommen", sagte die Kanzlerin. "Deshalb bin ich ganz zuversichtlich."

Die Zahl der neu in Deutschland gestellten Asylanträge sank im November auf 26.438. Gegenüber dem Oktober bedeutet dies einen Rückgang um 19 Prozent und gegenüber dem November des vergangenen Jahres um 54,3 Prozent, wie das deutsche Bundesinnenministerium am Freitag in Berlin mitteilte. Demnach stiegen gegen den Trend aber die Anträge vom Westbalkan.

Einem Pressebericht zufolge ist die Zahl der Abschiebungen nach Nordafrika aber sehr gering. Nur 281 Marokkaner, Tunesier und Algerier wurden in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres abgeschoben, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervorgeht, die der Berliner Tageszeitung "Die Welt" vorlag. Im ersten Quartal waren es demnach 57 Rückführungen, im zweiten 109 und im dritten 115.

Allein im vergangenen Jahr kamen dem Bericht zufolge mehr als 13.000 Nordafrikaner nach Deutschland, im dritten Quartal 2016 nur 1.180. Am häufigsten gelingen Abschiebungen in die Staaten des Westbalkans. In den ersten drei Quartalen entfielen etwa drei Viertel (14.463) aller Abschiebungen (19.914) auf diese Staaten. Zudem reisten im laufenden Jahr fast 50.000 Menschen freiwillig aus.

Die Bundesregierung will mit einem Programm im dreistelligen Millionenumfang Flüchtlingen Anreize bieten, freiwillig aus Deutschland in ihre Heimat zurückzukehren. "Wir stellen für die kommenden drei Jahre jeweils 50 Millionen Euro für das Rückkehrprogramm bereit", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der "Augsburger Allgemeinen". Das 150-Millionen-Euro-Programm mit dem Titel "Perspektive Heimat" richte sich an Asylbewerber, die in Deutschland keine Chance auf Anerkennung haben - aber auch an Flüchtlinge, die trotz Aufenthaltsrecht zurück wollen.

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