D: Erste Sammelabschiebung von Afghanen stößt auf heftigen Protest

Maschine mit 50 abgelehnten Asylwerberbern soll in Frankfurt starten (Symbolbild)
"Einfach Menschen nach Kabul fliegen, ausladen und sie ihrem ungewissen Schicksal überlassen, ist verantwortungslos."

Die offenbar für Mittwochabend geplante erste Sammelabschiebung abgelehnter afghanischer Asylbewerber aus Deutschland in ihr Heimatland stößt auf heftigen Protest von Menschenrechtsorganisationen und Opposition. "Abschiebungen nach Afghanistan sind skrupellos und gefährden Menschenleben", erklärte die Organisation Pro Asyl am Mittwoch in Frankfurt am Main.

Nach Angaben der Organisation NoBorder soll am Mittwochabend um 18.40 Uhr vom Frankfurter Flughafen aus eine Maschine mit 50 abgelehnten Asylbewerbern nach Afghanistan starten. Flüchtlingsorganisationen riefen dagegen für 17.30 Uhr zu einer Protestkundgebung an dem Airport auf. Nach Auskunft eines Bündnisses von Flüchtlingsinitiativen handelt es sich um Flüchtlinge, die bisher in Bayern und in Hamburg untergebracht waren. Eine offizielle Bestätigung für die geplante Aktion gab es zunächst nicht.

"Diese Abschiebung darf nicht stattfinden"

D: Erste Sammelabschiebung von Afghanen stößt auf heftigen Protest
epa04217009 Guenter Burkhardt, Managing Director of Pro Asyl, speaks about receiving Syrian refugees in Germany at a press conference of the human rights organization Pro Asyl in Berlin, Germany, 21 May 2014. EPA/CHRISTOPH SCHMIDT
"Diese Abschiebung darf nicht stattfinden", forderte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. "Einfach Menschen nach Kabul fliegen, ausladen und sie ihrem ungewissen Schicksal überlassen, ist verantwortungslos. Die dort angeblich sicheren Gebiete sind nicht erreichbar und was heute angeblich sicher ist, ist es morgen nicht mehr." Burkhardt wies darauf hin, dass derzeit in 31 von 34 afghanischen Provinzen Kampfhandlungen stattfänden, bei denen es Tausende Tote gebe.

"Regelmäßig Attentate und Bombendetonationen mit vielen Toten"

Gegen die These der Bundesregierung von sicheren "internen Schutzalternativen" in der afghanischen Hauptstadt Kabul oder der Stadt Mazar-e-Sharif wandte sich auch ein Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen. Tatsächlich komme es auch dort "regelmäßig zu Attentaten und Bombendetonationen mit vielen Toten". Daher müsse afghanischen Flüchtlingen in Deutschland weiter humanitärer Schutz gewährt werden. Auch das deutsche Generalkonsulat in Mazar-e-Sharif war im November durch einen Anschlag zerstört worden.

"Eine Politik, die unter diesen erbärmlichen Umständen Flüchtlinge in ihre Heimat abschiebt, macht sich der Menschenrechtsverletzungen indirekt mitschuldig"

D: Erste Sammelabschiebung von Afghanen stößt auf heftigen Protest
Co-leader of the German Green Party Simone Peter gives a speech during the party's congress in Muenster, western Germany on November 13, 2016. A year before elections Germany's Greens are torn by an identity crisis, split on whether joining forces with Angela Merkel would be a great idea or a betrayal of their ideals. / AFP PHOTO / PATRIK STOLLARZ
Auch Grünen-Chefin Simone Peter verwies auf die "sich ständig verschlechternde Sicherheitslage" in Afghanistan. "Eine Politik, die unter diesen erbärmlichen Umständen Flüchtlinge in ihre Heimat abschiebt, macht sich der Menschenrechtsverletzungen indirekt mitschuldig", warf sie den Verantwortlichen in Bund und Ländern vor. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstagsausgabe) vor allem dem deutschen Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) vor, er treibe mit den afghanischen Flüchtlingen "ein unbarmherziges Spiel".

"Humanitärer Tabubruch"

Abschiebungen in ein Kriegsgebiet seien ein "humanitärer Tabubruch", erklärte die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Luise Amtsberg. Anders als von der Bundesregierung behauptet, sei zudem vor Ort ist eine Unterstützung derer, die nach Afghanistan abgeschoben werden, nicht gegeben.

"Die geplanten Sammelabschiebungen sind ein Skandal", erklärte die hessische Landesvorsitzende der Linkspartei, Heidemarie Scheuch-Paschkewitz. "Schutzbedürftige Menschen in ein vom Krieg zerrüttetes Land auszuweisen", sei "das Gegenteil einer humanen Flüchtlingspolitik", erklärte sie in Frankfurt. Die Linkspartei rief ebenfalls zur Teilnahme an der am Flughafen geplanten Protestaktion auf.

Nach einem Bericht des Spiegel sollen die Flüchtlinge in Kabul zunächst von lokalen Behörden aufgenommen und dann in ihre Heimatregionen geschickt werden. An deren Versorgung und angemessener Unterbringung gibt es jedoch Zweifel. De Maiziere dringt seit Monaten auf solche Abschiebungsflüge.

Unterdessen übt der Rechnungshof hierzulande heftige Kritik am Betrieb des Anhaltezentrums Vordernberg und stellt dessen Sinnhaftigkeit infrage. Das 2014 eröffnete Zentrum in der Obersteiermark, in dem Schubhäftlinge auf ihre Abschiebung warten, arbeite unwirtschaftlich, verursache viel zu hohe Kosten und sei völlig unterbelegt, kritisieren die Rechnungshofprüfer in einem Bericht das zuständige Innenministerium. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Generalsynode der Evangelischen Kirche protestiert mit einer Resolution gegen die aktuelle Abschiebepraxis in Österreich. In den vergangenen Tagen sei es verstärkt zu Anhaltungen von Asylwerbern gekommen, um diese laut Dublin-III-Verordnung in andere Länder rückzuführen, so die Kritik der in Innsbruck tagenden Generalsynode.

"Praktisch über Nacht werden schutzbedürftige Menschen angehalten, rückgeführt oder abgeschoben, ohne Rücksicht auf ihr persönliches Schicksal, ihre Sicherheit oder ihr weiteres Fortkommen", heißt es in der am Samstag verabschiedeten Resolution. "Dieser Akt erfolgt in vielen Fällen, ohne den Menschen die Möglichkeit zu geben, in Österreich ein Asylverfahren einzuleiten oder den Abschluss eines solchen Verfahrens abzuwarten. Diese betroffenen Menschen stehen diesen Maßnahmen ohnmächtig und schutzlos gegenüber." Schwierig sei die Situation auch für die vielen ehrenamtlichen Helfer. Deren zivilgesellschaftliches Engagement werde durch das Vorgehen der Behörden desavouiert.

Mit ihrer Protestresolution wendet sich die Generalsynode direkt an die Bundesregierung und fordert diese auf, "unnötige Härten, insbesondere bei kranken und bei allen anderen besonders schutzbedürftigen Personen, die humanitäre Ausnahmeklausel der Dublin-Verordnung in Anspruch zu nehmen", zu vermeiden. Die Generalsynode ist das "Kirchenparlament" und höchste gesetzgebende Organ der Evangelischen Kirche A.B. und H.B. in Österreich.

Für eine schnellere Rückführung abgelehnter Asylbewerber könnte es bald eine zentrale Einrichtung in Deutschland geben: Es werde weiter die Frage erörtert, ob zur effektiveren Rückführung eine zentrale Stelle geschaffen werden solle, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag in Berlin. Die Zahl der neuen Asylanträge ging im November zurück.

Die Rückführung von Flüchtlingen und eine zentrale Einrichtung dafür waren Thema des Treffens von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Länder am späten Donnerstagabend in Berlin. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), kündigte dazu einen Vorschlag des Bundes an.

Nach Angaben Merkels soll ein gemeinsames Zentrum zur Rückführung nach dem Beispiel des Terrorbekämpfungszentrums gebildet werden. Dort sollten sich permanent Beamte des Bundes und jedes einzelnen Bundeslands täglich über die Frage austauschen können, "was gerade drückt und was die zentralen Probleme sind". Anfang Februar sollten Eckpunkte dafür zusammengetragen werden.

"Wir wollen Recht und Gesetz durchsetzen, auch weil wir sonst denen, die eine Aufenthaltserlaubnis haben, nicht ausreichend helfen können", sagte Merkel nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten in der Nacht auf Freitag. Nach den kontroversen Diskussionen "sind wir jetzt zu einer Gemeinsamkeit im Ansatz gekommen", sagte die Kanzlerin. "Deshalb bin ich ganz zuversichtlich."

Die Zahl der neu in Deutschland gestellten Asylanträge sank im November auf 26.438. Gegenüber dem Oktober bedeutet dies einen Rückgang um 19 Prozent und gegenüber dem November des vergangenen Jahres um 54,3 Prozent, wie das deutsche Bundesinnenministerium am Freitag in Berlin mitteilte. Demnach stiegen gegen den Trend aber die Anträge vom Westbalkan.

Einem Pressebericht zufolge ist die Zahl der Abschiebungen nach Nordafrika aber sehr gering. Nur 281 Marokkaner, Tunesier und Algerier wurden in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres abgeschoben, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervorgeht, die der Berliner Tageszeitung "Die Welt" vorlag. Im ersten Quartal waren es demnach 57 Rückführungen, im zweiten 109 und im dritten 115.

Allein im vergangenen Jahr kamen dem Bericht zufolge mehr als 13.000 Nordafrikaner nach Deutschland, im dritten Quartal 2016 nur 1.180. Am häufigsten gelingen Abschiebungen in die Staaten des Westbalkans. In den ersten drei Quartalen entfielen etwa drei Viertel (14.463) aller Abschiebungen (19.914) auf diese Staaten. Zudem reisten im laufenden Jahr fast 50.000 Menschen freiwillig aus.

Die Bundesregierung will mit einem Programm im dreistelligen Millionenumfang Flüchtlingen Anreize bieten, freiwillig aus Deutschland in ihre Heimat zurückzukehren. "Wir stellen für die kommenden drei Jahre jeweils 50 Millionen Euro für das Rückkehrprogramm bereit", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der "Augsburger Allgemeinen". Das 150-Millionen-Euro-Programm mit dem Titel "Perspektive Heimat" richte sich an Asylbewerber, die in Deutschland keine Chance auf Anerkennung haben - aber auch an Flüchtlinge, die trotz Aufenthaltsrecht zurück wollen.

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