Ein Todesopfer bei Fährunglück in der Adria
Wir werden verbrennen oder ersticken": Verzweifelte Hilferufe von Passagieren der in Brand geratenen Fähre "Norman Atlantic" zeigen, welches Horrorszenario sich Sonntagfrüh vor der Küste von Korfu abgespielte. 478 Menschen, darunter fünf Österreicher, kämpften stundenlang um ihr Überleben. Am Abend wurde bekannt, dass ein Mann ums Leben kam. Er und seine Ehefrau hatten versucht, über eine Rutsche ein Beiboot zu erreichen. Der Grieche fiel dabei ins Wasser und ertrank.
Das Feuer brach in den Morgenstunden auf dem Autodeck des Schiffes aus und breitete sich laut Augenzeugen rasend schnell aus. Knapp fünf Stunden nach dem Unglück wurde bekannt, dass 150 Passagiere auf Rettungsbooten in Sicherheit gebracht werden konnten. Angeblich habe das Feuer aber einige der Boote vernichtet. Jannis, ein Passagier, der sich auf ein Containerschiff retten konnte, berichtete im griechischen Radiosender Skai, dass eines der Boote möglicherweise gekentert sei: "Das ganze Schiff steht in Flammen. Meine Frau war in einem anderen Rettungsboot, das ist aber hier nie angekommen."
Schwierige Rettung
Video eines geretteten Passagiers aus dem Hubschrauber:
Einer der Ersten, die Alarm schlugen, war der Tiroler Mehmet Ali Güyen. Er erreichte seinen Bruder im Zillertal am Telefon und berichtete von schrecklichen Zuständen auf dem Schiff (siehe Bericht unten). Er wurde mittlerweile gerettet. Der Sprecher des Außenministeriums, Martin Weiss, bestätigte dem KURIER, dass die Passagierliste insgesamt fünf Österreicher führte und man umgehend einen Krisenstab eingerichtet habe.
Mittlerweile konnte ein zweiter Österreicher in Sicherheit gebracht werden. Der Tiroler sei "wohlauf", teilte Weiss mit. Noch seien drei Österreicher, zwei Vorarlberger und ein Salzburger, an Bord der Fähre. Alle Österreicher seien "unverletzt und wohlauf".
In Panik sprangen einige der Passagiere, die vom Feuer bedroht waren, in das rund 15 Grad kalte Wasser und klammerten sich an Wrackteilen fest. Unter den Geretteten befanden sich unter anderem eine Schwangere und mehrere Kinder. Es dürften auch mehrere Personen vermisst sein.
Brand im November
Die italienische Reederei Visentini hat Sicherheitsmängel an Bord der Fähre dementiert. Die Fähre sei kürzlich Kontrollen unterzogen worden. Dabei waren kleinere Probleme mit einigen Brandtüren festgestellt worden, die jedoch sofort behoben worden waren, betonte der Chef der Reederei, Carlo Visentini, nach Angaben italienischer Medien. Das staatliche griechische Fernsehen NERIT und andere Medien berichteten zuvor, dass bei einer Inspektion der Hafenbehörde von Patras am 19. Dezember unter anderem unzureichende Rettungsmittel festgestellt wurden.
Bilder von der Fähre
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi kündigte maximalen Einsatz bei der Rettung der Passagiere der brennenden, unter italienischer Flagge fahrenden griechischen Fähre an. Die italienische Marine sei "mit maximaler Beteiligung" bei der Rettung dabei, erklärte er auf Twitter. Er ist mit dem griechischen Premierminister Antonis Samaras in ständigem Kontakt.
Aus Italien sind zwei Schiffe der Küstenwache sowie Hubschrauber der Marine und der Luftwaffe gestartet, um den Passagieren Hilfe zu leisten. Aus der süditalienischen Hafenstadt Brindisi starteten zwei Schlepper mit Feuerwehrmannschaften an Bord, berichteten italienische Medien.
"Die Angst ist groß"
Albaniens Ministerpräsident Edi Rama sagte den griechischen Nachbarn Unterstützung zu. In einem Telefongespräch mit seinem Amtskollegen Samaras erklärte er sich bereit, Griechenland "mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" zu unterstützen. Das Unglück hat sich wenige Kilometer vor der albanischen Küste ereignet.
Papst Franziskus betete beim Angelus-Gebet am Sonntag für die Passagiere an Bord der griechischen Fähre. Er bete auch für die Passagiere des vermissten Flugzeugs der malaysischen Airline AirAsia sowie für die Besatzung der beiden vor der Küste der Adria-Stadt Ravenna kollidierten Tankschiffe. Der Papst betonte, er sei den Angehörigen der Passagiere nahe, die schwierige Stunden erleben, sowie den Rettungseinheiten, die im Einsatz seien.
Der Kapitän des brennenden Schiffes ist der 62-jährige Italiener Argilio Giacomazzi, der aus der ligurischen Hafenstadt La Spezia stammt, berichteten italienische Medien.
Lage offenbar unter Kontrolle
Die Chartergesellschaft Anek gab am Sonntagabend bekannt, dass die Lage unter Kontrolle gebracht worden ist. Nunmehr gebe es "nur noch Rauch", sagte ein Anek-Sprecher der griechischen Nachrichtenagentur ANA. Als Zeitpunkt, zu dem der Brand unter Kontrolle gebracht wurde, nannte der Sprecher 19.30 Uhr (MEZ).
Die noch an Bord befindlichen Menschen sollte mit Strickleitern in Sicherheit gebracht werden, kündigte der Sprecher an. Das Stabilisieren der Autofähre sei noch nicht gelungen. Vielmehr sei eine Vertäuung an einem Schlepper wieder zerrissen.
Bedingungen
Sturm Während der Rettungsaktion verzeichneten die Wetterdienste Windstärke 8 bis 10 („stürmischer Wind“ bis „schwerer Sturm) auf der Beaufort-Skala. Der Wind erreicht Geschwindigkeiten von 62 bis 102 km/h. Die Wellen sind sehr hoch, die Sicht ist schlecht – was die Bergung erschwert.
Überleben im Wasser Die Wassertemperaturen in der südlichen Adria und dem Ionischem Meer betragen derzeit zwischen 14 und 18 Grad. Die Überlebenszeit hängt von vielen Faktoren ab. Laut US-Coast- Guard überlebt ein Mensch bei 10 bis 15 Grad 1 bis 6 Stunden.
In der Leitstelle Tirol gehört Krisenmanagement zum Alltag. Von der Zentrale in Innsbruck aus werden sämtliche Rettungs- und Feuerwehreinsätze im Bundesland koordiniert. Doch der Notruf, der am Sonntagmorgen gegen 5.30 Uhr eintrifft, hat mit Alltag nichts zu tun. "Wir sind von einem Zillertaler verständigt worden, dass sein Bruder sich von einem Schiff aus gemeldet hat, das bereits zur Hälfte in Flammen steht. Er wollte wissen, ob wir etwas tun können", erzählt Leitstellen-Schichtleiter Alexander Narr.
Die Notrufzentrale nahm Kontakt mit italienischen und griechischen Behörden auf, informierte das österreichische Außenministerium und nahm auch selbst einmal Telefonkontakt mit dem verzweifelten Tiroler Mehmet Ali Güyen auf, der auf der "Norman Atlantic" um sein Leben zittern musste. "Die Schilderungen waren sehr dramatisch", sagt Narr. Das Feuer habe sich rasch ausgebreitet, überall sei Rauch gewesen und die Passagiere hätten nicht gewusst, wohin. Außerdem habe es zu wenig Rettungsboote gegeben und das Personal sei offenbar überfordert gewesen.
Verzweifelte Anrufe
Mehrmals rief Mehmet Ali Güyen (44) seinen Bruder in Schlitters im Zillertal an. "Er war in Panik und hat geweint", erzählt Haci Güyen. Gegen 10 Uhr dann der letzte Kontakt: "Er hat gesagt, dass er ein Schiff sieht, das aber nicht näher kommen kann", berichtet der Tiroler. Wo sich der 44-Jährige auf der brennenden Fähre befand, wusste er nicht, sagte Haci Güyen. "Aber er konnte nicht auf die andere Seite." Es folgten bange Stunden. Im Kulturzentrum Fügen im Zillertal wartete die Familie auf ein Lebenszeichen des Verwandten.
Am Nachmittag dann die Entwarnung. "Mein Vater wurde gerettet. Er gehörte zu den ersten 20 Leuten, die mit einem Hubschrauber auf ein anderes Schiff gebracht wurden", erzählt Tochter Hilal. "Wir haben mit ihm geredet. Er hat uns von einem anderen Handy aus angerufen", berichtet die 19-Jährige. Ihr Vater stehe zwar unter Schock, sei ansonsten aber unverletzt geblieben. Das Warten sei für die Familie furchtbar gewesen. "Wir haben stundenlang nichts von ihm gehört und waren dann sehr erleichtert."
Der zweifache Vater war mit einem Bus eines Münchner Unternehmens auf der Rückreise von einem Urlaub in der Türkei nach Tirol. Mit der Autofähre sollte es vom griechischen Patras ins italienische Ancona gehen. Nach einem Zwischenstopp in Igoumenitsa kam es aber zur Katastrophe. "Vier Stunden nach der Abfahrt ist das Feuer ausgebrochen", erzählt Haci Güyen. Sein Bruder sei ohne Frau und Kinder unterwegs gewesen.
Flugangst
Bittere Ironie des Schicksals: "Mein Bruder hat schreckliche Angst vor Flugzeugen und fährt deshalb immer mit dem Bus." Die Wahl des scheinbar sicheren Reisemittels führte auf die "Norman Atlantic", die beinahe zur Todesfalle geworden wäre. Wann der Tiroler die Heimreise antreten kann, stand noch nicht fest.
Große Sorgen machen sich die Angehörigen von Fährpassagier Erwin Schrümpf. Der Salzburger war gerade auf dem Rückweg von einem seiner zahlreichen Hilfseinsätze in Griechenland. "Er hat mir ein SMS geschickt, dass das Schiff brennt", erzählte Schrümpfs Freund, Andreas Kleespies. Der Schweizer engagiert sich wie der Passagier der Unglücksfähre beim Verein "Griechenlandhilfe".
Helfer in Seenot
Schrümpf ist der Gründer dieser Hilfsorganisation, der nach der Finanzkrise, die auch vor griechischen Spitälern nicht Halt machte, Kindern helfen will. Auf der Homepage der Griechenlandhilfe kündigte Schrümpf zuletzt noch seine Abreise an: "Zum letzten Mal in diesem Jahr beladen wir unsere Fahrzeuge und machen uns auf den Weg zu unseren Freunden nach Griechenland."
Neben Medikamenten und medizinischen Materialien hatte der Salzburger diesmal auch gespendete Spielsachen dabei, welche am 24. Dezember an Kinder im Krankenhaus von Patras verteilt wurden. Die jetzt verunglückte Fähre sollte Schrümpf nun mit dem leeren Hilfstransporter wieder zurück nach Österreich bringen.
Nachdem sich Schrümpf nach Ausbruch des Brandes bei seinem Freund und Kollegen gemeldet hatte, versuchten die Angehörigen den Schiffbrüchigen später immer wieder auf seinem Handy zu erreichen oder über die Behörden etwas herauszufinden. Seit 10 Uhr war es aber nicht mehr möglich, durchzukommen. "Es gibt keine klaren Informationen", erzählte Kleespies.
Wie es dem Salzburger geht und ob er einer jener Passagiere war, die gleich Platz in einem der Rettungsboote fanden, ist demnach unklar.
Meldungen und Hilferufe Betroffener breiteten sich im Internet rasant aus. "Betet für uns, wir brennen!", twitterte ein italienischer Fernsehsender den verzweifelten Hilferuf eines Betroffenen, der mit einem Reporter ein Telefonat geführt hatte. Auch die ersten unscharfen Bilder der Katastrophe wurden innerhalb kürzester Zeit Zehntausende Male geteilt.
Für Empörung sorgte ein Aufruf der – seriösen – italienischen Tageszeitung La Republicca auf Twitter: Die Redaktion forderte Opfer der Katastrophe dazu auf, sich bei der Zeitung zu melden. "Ist jemand an Bord? Schreibt an uns."
Dieser Aufruf ging ins Leere. Und er bewirkte das Gegenteil. Statt Twitter-freudiger Betroffener meldete sich eine empörte Leserschaft, die eine kritische Diskussion entfachte. "Wie verrückt ist das? Sind das die neuen Grenzen des Journalismus? Menschen, die um ihr Leben kämpfen, werden aufgefordert, einen Tweet zu schreiben."
Die Mittelmeer-Fähre "Norman Atlantic" hat Sonntagfrüh auf ihrem Weg von Südgriechenland nach Ancona in Italien Feuer gefangen. Hier größere Unfälle mit Fährschiffen im Mittelmeer:
16. Jänner 2007: Vier Menschen sterben und fast 90 werden verletzt, als in der Meerenge von Messina eine Schnellfähre mit einem Containerschiff zusammenprallt.
26. September 2000: Die griechische "Express Samina" läuft vor der Ägäisinsel Paros auf ein Riff und geht binnen weniger Minuten unter. 81 der etwa 560 Menschen an Bord ertrinken.
1. November 1999: Etwa 15 Seemeilen vor der westgriechischen Küste gerät die Fähre "Superfast 3" in Brand. 14 blinde Passagiere kurdischer Abstammung kommen ums Leben.
10. April 1991: Die italienische Fähre "Moby Prince" stößt vor Livorno mit dem Öltanker "Agip Abruzzo" zusammen und geht in Flammen auf. 140 Menschen sterben.
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