Wie Europa zum neuen Umschlagplatz für Kokain wurde
Immer häufiger werden Rekordmengen an Kokain in Europas Häfen sichergestellt. Das liegt weniger an der Kontrollmacht der Drogenfahnder: Der Schmuggel hat enorm zugenommen.
Donnerstag, 15. Dezember 2022: Zollfahnder stoßen in der niederländischen Hafenstadt Vlissingen auf knapp 1,3 Tonnen Kokain – versteckt in zwei mit Bananen beladenen Containern. Straßenverkaufswert: rund 95 Millionen Euro.
Mittwoch, 7. Dezember: Die französische Marine stoppt im Atlantik ein Schiff mit mehr als 4,6 Tonnen Kokain an Bord – im Wert von 150 Millionen Euro. Mitte November entdeckten Drogenfahnder im Hafen von Antwerpen 7,9 Tonnen Kokain. Wert: 200 Millionen Euro – wieder in einem Bananencontainer. Vergleichsweise mager der Coup, den Zollbeamte eine Woche zuvor im deutschen Duisburg verzeichneten: 635 Kilogramm Kokain, in Blöcke gepresst, 44,5 Millionen Euro wert. Und wieder in mehreren Kartons zwischen Bananen versteckt.
Europa ist eine Drehscheibe des Kokainhandels geworden, sagte Jan op gen Oorth von Europol bereits bei einer Pressekonferenz im Juni. Der europäischen Polizeibehörde zufolge wird heute mehr Kokain angeboten als je zuvor.
Ein Rekordfund jagt den nächsten. Was ihnen gemein ist: Das Kokain kommt, meist in Bananen- oder Ananasfuhren versteckt, aus südamerikanischen Ländern wie Kolumbien, Peru und Bolivien, den weltgrößten Produzenten von Kokain. Experten schätzen, dass allein in Kolumbien jährlich 970 Tonnen Kokain produziert werden.
"Gütesiegel EU"
Über die atlantischen Häfen der Niederlande, Belgiens und Deutschlands, wie Vlissingen, Rotterdam, Antwerpen und Hamburg, und mittlerweile auch Spaniens gelangt die Droge, die durch ein chemisches Verfahren aus den Blättern des Koka-Strauchs hergestellt wird, nach Europa. Aber nicht nur: Mittlerweile wird auch das für den asiatischen und australischen Markt bestimmte Rauschgift zuerst nach Europa verschifft. Die kriminellen Banden nutzen das "Gütesiegel EU": Ein Container aus der EU würde weniger schnell kontrolliert als einer aus Südamerika, so Op gen Oorth.
Nicht nur deswegen sei Europa als neue Drehscheibe attraktiv: Im Vergleich zu den USA seien die Kontrollen immer noch viel lascher, so Experten. Zwar gab Europol im Juni an, die Kontrollen verstärkt zu haben. "Aber sie reichen nicht aus angesichts der immensen Liefermengen", wird Europol zitiert. Die meisten Lieferungen kommen trotz aller Bemühungen des Zolls vermutlich durch. Es ist kaum einzuschätzen, ob die beschlagnahmten Mengen überhaupt eine Auswirkung auf den globalen Handel haben.
Schwierige Vernichtung
Das beschlagnahmte Kokain wird übrigens in den meisten Fällen vernichtet. Wenn es denn Kapazitäten dafür gibt: Der Spiegel berichtete unlängst, dass etwa in Belgien die Verbrennungsanlagen für Drogen längst nicht mehr ausreichten. Kokain kann nicht einfach verbrannt werden, es braucht Spezialöfen mit Temperaturen bis von 1.200 Grad Celsius. Zudem gelten hohe Umweltstandards, die eingehalten werden müssen.
Kommentare